Von wegen Transparenz! Die EU-Kommission igelt sich ein. Dazu erschien in der Süddeutschen Zeitung am Freitag, 14. August, folgender lesenswerter Bericht.
- Minister aus EU-Ländern, die wissen wollen, was Europäer und Amerikaner in Sachen TTIP verhandeln, erhalten die Dokumente nun nicht mehr.
- Stattdessen dürfen sie die Papiere nur zu bestimmten Zeiten in einem Brüssler Leserraum einsehen.
- Die Verhandlungen sind größtenteils geheim, bestimmte Details kennen noch nicht einmal deutsche Parlamentarier, die aber über den Vertrag abstimmen sollen.
Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Alexander Mühlauer, Brüssel
In Sachen Transparenz ist Cecilia Malmström ein gebranntes Kind. 2010, damals war sie noch EU-Innenkommissarin, musste sie miterleben, wie das EU-Parlament das Swift-Abkommen ablehnte – die Verhandlungen über den Austausch von Bankdaten mit den USA. Einer der Fehler, so sagte sie später, sei wohl mangelnde Transparenz gewesen. Das sollte sich bei ihrem nächsten großen Projekt nicht wiederholen.
Inzwischen ist die Schwedin Handelskommissarin, zuständig auch für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP – und wollte diesen Fehler nicht wiederholen. „Wir müssen mehr Transparenz in die Verhandlungen bringen“, sagte sie kurz nach Amtsantritt der SZ. „Wir können Vertrauen schaffen, indem wir in einen offenen Dialog treten.“ Doch ein knappes Jahr später haben sich die Dinge schon wieder geändert.
Der handelspolitische Ausschuss der EU jedenfalls erhielt kürzlich ein dürres Schreiben, Betreff: der schriftliche Bericht über die 10. Verhandlungsrunde. Wegen einer „wichtigen Verletzung der Sicherheit“ bei früheren Berichten werde Nummer zehn nur im Leseraum ausgelegt, Öffnungszeiten: montags, mittwochs und freitags von neun bis zwölf Uhr mittags. Wollen Beamte aus EU-Staaten wissen, worüber Europäer und Amerikaner Mitte Juli eine Woche lang in Brüssel sprachen, müssen sie sich in den Brüsseler Leseraum bequemen. Früher gingen solche Dokumente den Hauptstädten zu.
Die Kommission vermutet die Wurzel des Problems in Deutschland
Gegenüber den Vertretern des wöchentlich tagenden Handelsausschusses wurde die Kommission noch deutlicher. „Ausführlich“ habe die Kommission die unbefugte Weitergabe vertraulicher Dokumente behandelt, berichtete der deutsche Abgesandte in seinem vertraulichen Kabelbericht. „Hintergrund war die Veröffentlichung zahlreicher Verhandlungsdokumente auf der Webseite Correctiv.org.“ Süffisanterweise machte das Essener Recherche-Zentrum nicht nur die Berichte der Runden 5, 6, 7, 8 und 9 öffentlich, sondern über den Tagesspiegel auch die jüngste Anti-Transparenz-Offensive der EU-Kommission.
Nicht von ungefähr vermutet die Kommission die Wurzel des Problems in Deutschland. Es gebe Mitgliedstaaten, „bei denen die Verhandlungsdokumente an Datenbanken ihrer nationalen Parlamente übermittelt würden“, kabelte der deutsche Beamte in die Heimat, und setzte in Klammern: „gemeint offensichtlich DEU“. Das steht für Deutschland. Die betreffenden Mitgliedstaaten trügen selbst Verantwortung für die Verschärfung.
Dabei legt gerade der Deutsche Bundestag höchsten Wert auf Informationen aus den Verhandlungen. Erst kürzlich beschied die US-Botschaft den Wunsch von Bundestags-Präsident Norbert Lammert (CDU) abschlägig – der hatte für deutsche Parlamentarier den Zugang zu so genannten „konsolidierten Verhandlungstexten“ eingefordert, jenen Texten also, die sowohl die europäische als auch die amerikanische Verhandlungsposition sichtbar machen. „Das aktuelle Verfahren sieht das nicht vor“, schrieb die US-Botschaft. Die entsprechenden Lesereäume bleiben damit Regierungsvertretern vorbehalten.
Mauschelei sei das, Geheimniskrämerei
Bei den TTIP-Kritikern im Bundestag sorgt der jüngste Vorstoß für entsprechend große Empörung. Derlei Mauscheleien seien unerträglich, sagt etwa der Linken-Politiker Klaus Ernst – „als ginge es um geheime Kriegsstrategien und nicht um internationale Handelspolitik“. Bürger und Parlamentarier hätten das Recht auf volle Information. „Wir fordern null Toleranz gegenüber jeder Geheimniskrämerei bei den Freihandelsabkommen“, sagt Ernst. Mauscheleien, Geheimniskrämerei: Schon rückt sie wieder näher – jene Intransparenz, die Malmström doch unbedingt beenden wollte. Derweil sammelt die Enthüllungsplattform Wikileaks Spenden, um 100 000 Euro Belohnung auf vertrauliche TTIP-Dokumente ausloben zu können. So nährt die Verschwiegenheit der einen den Ehrgeiz der anderen.
Die Kommission selbst sucht nun nach einer Lösung, um beides zugleich zu erreichen: Vertraulichkeit und Transparenz. Einige der nun so schwer zugänglichen Dokumente enthielten Details über Europas Verhandlungsstrategie, sagte ein Kommissionssprecher. „Ihre Veröffentlichung könnte die Verhandlungsposition der EU unterminieren.“ Zudem seien Teile der US-Position darin sichtbar – und auch die USA reagieren empfindlich, wenn solche Details nach außen geraten. Zusammen mit den Mitgliedstaaten arbeite man nun an einem neuen, sicheren System. Bis Ende des Jahres könne es dann wieder Zugang zu allen Dokumenten in den Hauptstädten geben. Jedenfalls für den kleinen Kreis der Berechtigten.