Falls die von der Tageszeitung „Die Welt“ am Wochenende verbreitete Meldung stimmt (siehe unten), dann hat Sigmar Gabriels Versuch, die TTIP-KritikerInnen zu spalten, einen Rückschlag erlitten. Der SPD-Wirtschaftsminister und Vizekanzler hatte mit seiner Idee eines internationalen Gerichtshofs so manche in der SPD beruhigt; auch die meisten sozialdemokratischen EU-Abgeordneten glaubten an eine solche Lösung.
ExpertInnen allerdings (wie der Konstanzer Simon Pschorr) sagen seit langem, dass die USA einem internationalen Gerichtshof nie zustimmen werden. Sie haben offenbar recht behalten.
USA fürchten Eingriff in nationale Souveränität
Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA kommt ins Stocken. Den von der EU geforderten internationalen Handelsgerichtshof lehnen die USA strikt ab. Dabei soll er eine Schattenjustiz verhindern.
Von Martin Greive
Die USA lehnen nach Informationen der „Welt am Sonntag“ einen internationalen Handelsgerichtshof ab. „Eine solche Instanz kommt nicht infrage. Die USA werden keine Einmischung in ihre nationale Souveränität dulden“, hieß es in amerikanischen Verhandlungskreisen. Ein Handelsgerichtshof war von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und der EU-Kommission ins Spiel gebracht worden.
Seit gut zwei Jahren verhandelt die EU mit den Vereinigten Staaten über ein Freihandelsabkommen, kurz: TTIP. 2016 wollen beide Seiten die Verhandlungen abschließen. Das Abkommen ist allerdings stark umstritten, besonders in Deutschland.
So lehnen Kritiker insbesondere die in TTIP vorgesehenen Schiedsgerichte ab. Unternehmen können Staaten vor diesen privaten Gerichten verklagen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, etwa bei Enteignungen. Kritiker fürchten, US-Konzerne könnten EU-Staaten künftig jederzeit vor Gericht zerren, wenn ihnen Gesetze nicht passten. So werde eine private Schattenjustiz aufgebaut.
Gabriel und die EU-Kommission sind auf diese Bedenken eingegangen. Sie wollen TTIP nutzen, um die Schiedsgerichtsverfahren zu modernisieren. So sollen künftig Revisionen möglich sein. Richter sollen nicht mehr von den Streitparteien selbst, sondern von öffentlichen Instanzen berufen werden.
Außerdem wollen sie sehr eng fassen, wann Konzerne klagen können. Am Ende sollen die Reformen in einen internationalen Handelsgerichtshof münden. Eine ähnliche Instanz für Streitfragen in der Handelspolitik gibt es bereits bei der Welthandelsorganisation in Genf.
Die USA stehen diesen Ideen allerdings skeptisch gegenber. Enteignungen könne man nicht an einem Handelsgerichtshof verhandeln. In Brüssel glaubt man aber nicht, dass Washington sich der Diskussion wird verweigern können. Denn in den USA werde die Debatte über Schiedsgerichte ebenfalls noch an Fahrt gewinnen, heißt es. Auch sei die amerikanische Seite zuletzt bereits auf einige Bedenken der EU eingegangen.
Quelle: Die Welt, 9.8.2015