Anfang Februar hat sich das EU-Parlament mit dem Dienstleistungsabkommen Trade in Services Agreement (TiSA) beschäftigt, das derzeit in Genf verhandelt wird. Die Abgeordneten konnten sich zwar auf etliche Verbesserungen einigen – ob die EU-Kommission auf sie hört, ist allerdings höchst ungewiss.
Eine Einschätzung von Ska Keller, grüne EU-Abgeordnete, 10.02.2016
Das Europarlament hat den Bericht zum Dienstleistungsabkommen TiSA am 3. Februar 2016 mit großer Mehrheit angenommen. Wir haben, obwohl wir sehr intensiv am Bericht gearbeitet hatten, bei der Abstimmung im Plenum gegen die Annahme gestimmt.
Warum? Zunächst einmal ging es bei der Abstimmung nicht um ein „Ja“ oder „Nein“ zum Dienstleistungsabkommen TiSA an sich. Vielmehr soll der Bericht die Positionen des Europaparlaments zu einem möglichen TiSA-Abkommen festlegen und damit Einfluss auf die weiteren Verhandlungen über das Abkommen nehmen. Das Parlament steckt mit dem Bericht ab, unter welchen Bedingungen eine Annahme des TiSA-Abkommens mögliche wäre. Die Verhandlungen über das Abkommen selbst werden wohl in diesem Jahr nicht zu einem Ende kommen und so wird das Parlament auch in nächster Zeit nicht endgültig über ein TiSA-Abkommen abstimmen.
Wir Grüne haben bei der Erstellung des TiSA-Berichts intensiv mitgearbeitet und darauf gedrängt möglichst viele rote Linien festzuzurren. Dabei waren wir teilweise erfolgreich und konnten viele Forderungen verankern.
Der entscheidende Punkt für unser Abstimmungsverhalten war allerdings, dass wir Grünen die EU-Kommission explizit dazu aufzufordern wollten, ihr Verhandlungsmandat und damit ihre Verhandlungsstrategie entsprechend der Parlamentskritik zu ändern. Die Mehrheit im EU-Parlament hat dem nicht zugestimmt. Damit fehlen den Forderungen der Abgeordneten die Zähne. Sie bleiben ohne Konsequenzen.
Dennoch konnten wir einige positivere Punkte im Bericht verankern:
- Kompletter Schutz der öffentlichen Daseinsfürsorge. Im TiSA-Bericht formuliert das Europaparlament die weitgehendste Schutzklausel für öffentliche Dienstleistungen, die es jemals in einem Bericht forderte. Die Gesundheitsvorsorge, Bildungsangebote, Wasserversorgung und Entsorgung sowie alle Dienstleistungen von allgemeinem und allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sollen von den Verhandlungen ausgenommen werden. Dabei soll es irrelevant sein, ob diese Dienstleistungen privat oder staatlich finanziert werden oder ob es sich um gegenwärtige oder zukünftige Dienstleistungen handelt.
- Die TiSA-Verhandlungen müssen multilateralisiert werden. Beim TiSA-Abkommen würden 23 Länder die Regeln für die Globalisierung von Dienstleistungen festlegen. Das ist undemokratisch und birgt die Gefahr der Zerstückelung des Welthandels. Wir konnten dazu die Forderung verankern, dass das TiSA Abkommen multilateralisiert werden muss. Wir wollen im globalen Rahmen die Regeln über den Handel mit Dienstleistungen verbessern.
- Nein zu schleichender Entdemokratisierung. Das Parlament hat sich dafür ausgesprochen, dass es keine Stillhalte- und Sperrklinkenklauseln im TiSA-Abkommen geben soll. Diese Klauseln sehen vor, dass einmal gemachte Liberalisierungsschritte nicht mehr zurückgenommen werden können. Wäre die kommunale Wasserentsorgung zum Beispiel liberalisiert worden, so könnte diese auch nicht mit per Gesetz wieder dem Weltmarkt entzogen werden. Diese Positionierung ist ein Erfolg.
- Der Globale Süden muss besonders geschützt werden. Die verhandelnden Parteien des TiSA-Abkommens verlangen von allen Staaten das gleiche Maß an Marktöffnung. Doch gerade für sich entwickelnden Industrien in armen Ländern ist das oft verheerend. Denn sie können sich nicht gegen die billigen Produkte der schon industrialisierten Länder wehren. Deshalb haben wir im Bericht darauf beharrt, dass sogenannte Entwicklungsländer besondere Konditionen eingeräumt bekommen.
- Die Deregulierung der öffentlichen Beschaffung muss freiwillig blieben. Mit dem TiSA-Abkommen soll es zu einer weitgehenden Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens kommen. Das bedeutet zum Beispiel, dass die öffentliche Hand bei Aufträgen an Private keine räumlichen, sozialen und/oder ökologischen Kriterien an die Auftragsvergabe knüpfen darf. Hier fordert das Parlament nun, dass solch eine Liberalisierung optional für die teilnehmenden Länder sein muss. Das ist deshalb so wichtig, da das Prinzip der Freiwilligkeit auch auf bei der Reform der Regeln der Welthandelsorganisation verankert werden soll.
- Beim Thema Datensicherheit und Finanzmarktdienstleistungen konnten wir das Schlimmste verhindern. So fordert das Parlament, dass ein TiSA-Abkommen keine Bestimmungen enthalten soll, die die bestehenden und zukünftigen Regelungen über den europäischen Datenschutz einschränken könnte. Bei den Finanzdienstleistungen sollen die europäischen Regulierungen, die nach der Finanzkrise beschlossen worden sind, nicht unterminiert werden.
Jedoch können wir Grüne mit der Gesamtheit des jetzt verabschiedeten Berichts nicht zufrieden sein. Das liegt stark an zwei wichtigen Punkten:
- Undemokratische Strukturen: Der Bericht spricht sich nicht gegen sogenannte Negativlisten aus. Mit diesem Mechanismus kommt es automatisch zur Marktfreigabe für alle bestehenden und zukünftigen Dienstleistungen – es sei denn, diese werden extra von diesem Mechanismus ausgenommen. Das ist der schleichende Entzug der demokratischen Kontrolle über die Regulierung von zum Beispiel Dienstleistungen, die durch neue Technologien erst ermöglicht werden. Diese sind automatisch für die Liberalisierung freigegeben.
- Abschiebeabkommen werden Pflicht. Dienstleistungen werden oft von Menschen direkt an Ort und Stelle erbracht. Um Dienstleistungen zu erbringen, müssen diese in ein Land ein- und ausreisen können. Im Bericht wird allerdings gefordert, dass mit allen Staaten, aus welchen Dienstleistungserbringer/innen einreisen können, Abschiebeabkommen geschlossen werden sollen. Das geht viel zu weit und wir können es nicht mittragen.
Die guten Inhalte der Resolution unterstützen wir, doch leider ist es bisher viel zu oft dazu gekommen, dass die Europäische Kommission nicht auf die Forderungen des Europaparlaments eingegangen ist. Es ist uns wichtig, dass die Kommission ihre Verhandlungsstrategie wirklich ändert. Die Europaabgeordneten wollten leider unseren Vorschlägen in diese Richtung nicht folgen. Das zeigt, dass vielen Parlamentarier/innen nicht um einen wirklichen Kurswechsel bei den TiSA-Verhandlungen bemüht waren. Daher mussten wird den Bericht in der Konsequenz ablehnen.