Am Montag, den 29. Februar 2016, gab EU-Hadelskommissarin Cecilia Malmström bekannt, dass sich die EU mit Kanada auf eine Reform des CETA-Abkommens geeinigt habe. Wichtigster Punkt: Statt der gänzlich privat organisierten und besetzten Schiedstribunale bei Investitionsstreitigkeiten (ISDS) soll künftig ein Handelsgericht über Unternehmerklagen entscheiden. Ein Fortschritt?
Dazu veröffentlichte der Deutschlandfunk am 1. März 2016 ein Gespräch.
Beim Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada ist nun der ausgehandelte Vertragstext veröffentlicht. Trotz einiger Änderungen sei aber weiter ein Sonderklagerecht von Investoren gegen Regierungen vorgesehen, sagte der Europa-Abgeordnete der Linken, Helmut Scholz, im DLF. Eine Grenze nach oben bei den Schadenersatzforderungen werde nicht gesetzt.
Helmut Scholz im Gespräch mit Jule Reimer
Jule Reimer: Seit gestern ist er allen Bürgern zugänglich, der Text des Freihandelsabkommens CETA zwischen EU und Kanada. Alle Texte zuvor waren geleakt worden, also eigentlich mehr oder weniger illegal veröffentlicht worden. Einer, der jedoch die Texte schon immer weitgehend mitlesen durfte, ist der Europaabgeordnete Helmut Scholz von der Linken, der für seine Fraktion im Handelsausschuss des Europäischen Parlaments sitzt. Herr Scholz, wichtigster Punkt: der reformierte Investorenschutz – das hatte die Bundesregierung versprochen – und Schiedsgerichte. Ist jetzt alles gut?
Helmut Scholz: Erst einmal, bei der Bewertung – schönen guten Tag – von CETA geht es nicht um die Frage, ob einem Kanada sympathisch ist, sondern es geht um die Bewertung eines knallharten Freihandelsabkommens. Gegen dieses Abkommen gibt es Protest sowohl der Mitgliedsstaaten der EU als auch immer stärker in Kanada. Und wenn die über ISDS sprechen, dann beschreibt das den Investorenschutz, und auch die nun geänderte Fassung gibt Investoren ein Sonderklagerecht gegen Regierungen.
Reimer: Aber die Richter zum Beispiel sollen jetzt ja unabhängiger ernannt werden. Die sollen auch länger amtieren. Das klingt doch nach einem ganz anderen Charakter.
Scholz: Ja, sie werden anders benannt. Aber es ist nach wie vor praktisch kein eigenes Gericht, sondern es ist eine gesonderte Rechtsprechung. Kanada ist ein Rechtsstaat, Deutschland ist ein Rechtsstaat und auch die EU verfügt über den Europäischen Gerichtshof und das sollte den Investoren reichen. Das reicht auch den kanadischen Investoren bislang, denn auch ohne CETA und ISDS haben sie 117 Milliarden Euro in der EU investiert und europäische Investoren zum Beispiel haben, soweit ich weiß, über 225 Milliarden Euro in Kanada investiert. Was auf dem Tisch liegt, ist kein unabhängiger Gerichtshof, sondern man benutzt nur den Begriff, weil Bürger mehr Vertrauen in ein Gericht haben als in etwas, was Tribunal heißt, wie es bisher bei ISDS war. Was vereinbart wurde mit Kanada ist nämlich die gemeinsame Errichtung eines multilateralen Investment-Tribunals. Wer in einem solchen Tribunal sitzt, kann im Gegensatz zu einem richtigen Richter an einem öffentlichen Gericht auch andere Einkommensquellen haben, zum Beispiel als Partner in einer internationalen Kanzlei. Das heißt, nicht das öffentliche Recht, die demokratische Verfassung sind der Bezugspunkt, sondern Grundlage der Entscheidung dieses, jetzt Gerichtshof genannten Tribunals ist nicht die Verfassung, sondern der Text des Freihandelsabkommens als solches. Das, glaube ich, ist problematisch, und um vielleicht auch noch mal den Zusammenhang zu TTIP zu bringen: Dieses Tribunal auch in CETA kann übrigens von 38.000 US-Unternehmen genutzt werden, die eine Niederlassung in Kanada haben, und das sind alle großen amerikanischen Konzerne.
Reimer: Aus Verbrauchersicht: Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der hat ja vergangene Woche in Deutschland gefordert, in TTIP das Vorsorgeprinzip zu verankern, was die Europäer praktizieren. Spielt das in CETA eine Rolle? Wäre das genauso wichtig in CETA?
Scholz: Es ist wichtig und wir haben in CETA ein Umweltkapitel, in dem das Vorsorgeprinzip explizit benannt wird. Ich bewerte das durchaus positiv. Zugleich aber gibt es die Sorge oder könnte ich die Sorge auch anmelden, dass ISDS-Klagen oder die Drohung mit einer Klage in der Praxis dann dieses Vorsorgeprinzip in der Gesetzgebung wiederum unterwandert, und damit haben wir so eine Art Dualsystem und damit haben wir auch eine Grauzone in diesen jetzt vorliegenden CETA-Texten.
Reimer: Sind denn für Schadensersatzforderungen, falls Unternehmen sich verletzt fühlen in ihren Rechten, Grenzen gesetzt in CETA?
Scholz: Nicht, dass ich wüsste. Das wird dann eingeführt und dort sind die Summen dann relativ groß oder können sehr groß sein.
Reimer: Kanada hat sich bisher nicht als Klimaschützer hervorgetan, zumindest unter der Vorgängerregierung unter Premier Harper. Spielt Klimaschutz in dem Abkommen eine Rolle? Ist irgendwie verankert, dass der gegenüber Handelsinteressen vielleicht nicht zurückstehen darf?
Scholz: Ich habe gesagt, wir haben ein Umweltkapitel in dem CETA-Text drin. Wir wissen aber auch, dass es eine sehr einflussreiche Teersand-Lobby in Kanada gibt, Stichwort Fracking, die wiederum versucht, über die realen wirtschaftlich dann vereinbarten Lieferungen Druck auf beide Regierungen auszuüben. Denn die jetzige kanadische Regierung hat ja auch dem Umweltschutz großen Stellenwert beigemessen. Damit entsteht direkter Druck in einer indirekten Einflussnahme auf die Umsetzung dann eines solchen Abkommens hinsichtlich der Absenkung von möglichen Grenzwerten.
Reimer: Noch ganz kurz: Wie geht es weiter? Wird das EU-Parlament zustimmen?
Scholz: Das Europäische Parlament muss zustimmen, bevor dieser Text überhaupt Realität werden könnte. Wir sind Co-Gesetzgeber. Soweit ich weiß, soll spätestens Ende Juni laut Fahrplan der EU-Rat der Kommission die Aufgabe erteilen zu unterzeichnen, so dass dann der Unterzeichnung des Abkommens mit der übersetzten Variante des Abkommens in alle Sprachen der EU auch die Ratifizierungsphase im Europäischen Parlament beginnen kann. Ich rechne damit, dass wir Ende des Jahres spätestens die direkte und unmittelbare Ratifizierung in Angriff nehmen werden.
Anmerkung (pw): Der deutsche Richterbund hat nicht nur ISDS scharf kritisiert, sondern auch den nun in den CETA-Vertrag aufgenommenen Investitionsgerichtshof. Siehe dazu unser Hinweis vom 2. Februar.