Große Agrarkonzerne sind in Mexiko die Gewinner des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA. Doch mit genmanipuliertem Saatgut treffen sie auf erbitterten Widerstand. Ein Artikel von Sandra Weiss, erschienen im Magazin „Welt-Sichten“, Ausgabe 12/2015.
AGRARINDUSTRIE IN MEXIKO
Beim Mais hört der Spaß auf
Die Exportlandwirtschaft ist das neue Hätschelkind der mexikanischen Regierung. Der Agrarsektor verzeichnete in den ersten sechs Monaten dieses Jahres ein Wachstum um 6,3 Prozent – die Gesamtwirtschaft wächst dagegen nur um zwei Prozent. Erstmals seit Inkrafftreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) vor 21 Jahren exportiert Mexiko mehr Lebensmittel als es importiert, was freilich auch am schwachen Peso und am guten Wetter liegt. Erdbeeren, Brokkoli, Avocados, Auberginen, Mangos – die Palette der Produkte ist groß.
Dabei bleibt der drittgrößte Lebensmittelproduzent Lateinamerikas noch unter seinen Möglichkeiten, besonders im Handel mit Europa. 80 Prozent der Exporte gehen in die USA. „Nach Spanien verkaufen wir gerade einmal Produkte im Wert von 150 Millionen US-Dollar. Das ist nichts“, sagte Landwirtschaftsminister Enrique Martínez unlängst. Diesen Betrag will er in den nächsten drei Jahren mindestens verdreifachen. Außerdem streckt er seine Fühler nach Japan und China aus. Ist Nafta ein Erfolgsmodell für Mexikos Landwirtschaft?
Nettoimporteur von Lebensmitteln
Auf den zweiten Blick differenziert sich das Bild. In Puebla, 800 Kilometer südöstlich von Sayula, kämpft ein alter Bauer mit einem Holzpflug. Schweißgebadet versucht er, das Gefährt in der Furche zu halten, das ein klappriges Pferd über den steinigen Acker zieht. Hinter ihm wirft seine Frau Maiskörner in die Furche, wie es schon Generationen vor ihr getan haben. Viele Kleinbauern beackern ihre paar Hektar von Hand oder mit höchstens einer Pferdestärke. Wie die Ernte wird, hängt von vielen Faktoren ab: Von der Qualität des Saatguts, vom Wetter, von den Schädlingen und davon, welchen Preis die Zwischenhändler zahlen.
„Nur 15 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe arbeiten für den Export“, sagt Víctor Suárez, Präsident der Vereinigung zur Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte (Anec). „Auf sie konzentrieren sich die staatlichen Subventionen. Die Kleinbauern, die weniger als fünf Hektar bewirtschaften, gelten als unproduktiv und bekommen höchstens Sozialhilfe.“ Mit der schrittweisen Öffnung der Landwirtschaft im Zuge von Nafta verloren die Kleinbauern ihren Absatzmarkt. Das früher autarke Mexiko wurde zum Nettoimporteur von Lebensmitteln, weil die Bauern nicht mit den stark subventionierten US-Agrarprodukten konkurrieren konnten.
„Früher gab es eine staatliche Ankaufstelle für Agrarprodukte, die Preisschwankungen aufgefangen hat. Die wurde wegen Nafta aufgelöst. Jetzt hängen wir von den Zwischenhändlern und den Großmärkten ab, die die Preise drücken“, klagt Suárez. Von niedrigen Preisen für Erzeuger haben die Verbraucher aber nichts. Denn der Lebensmittelmarkt ist von Oligopolen beherrscht, die den Wettbewerb verzerren. Eine einzige Firma, Maseco, kontrolliert zwei Drittel des mexikanischen Maismehlsektors, Coca-Cola-Femsa und Pepsico dominieren den Getränkemarkt, industriell gefertigtes Brot ist in der Hand des Bimbo-Konzerns. Drei Unternehmen teilen den Markt für Eier und Hühnerfleisch untereinander auf und drei weitere, darunter der Lebensmittelmulti Nestlé, kontrollieren zwei Drittel des Marktes für Milchprodukte, wie die Bundeskommission für Wettbewerb (Cofeco) in einer Studie festgestellt hat. Fast alle sind börsennotiert und fahren Gewinne für ihre Aktionäre ein.
Das hat Folgen für die Preise: 2013 sanken laut Welternährungsorganisation (FAO) die Nahrungsmittelpreise für die Verbraucher weltweit im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 14 Prozent. In Mexiko dagegen legten die Verbraucherpreise nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) um sieben Prozent zu. Gleichzeitig steigerten börsennotierte Lebensmittelkonzerne wie Bachoco, Bimbo, Minsa und Herdez ihre Gewinne um 20 Prozent.
Auf Märkten mit Wettbewerbsverzerrungen zahlen die Konsumenten 40 Prozent mehr, als wenn ein gesunder Wettbewerb herrschen würde“, erklärt die Cofeco. Und Suárez fügt hinzu: „Die industrielle Landwirtschaft hat uns nicht nur arm, sondern auch krank gemacht.“ Unter dem Druck der Märkte hätten viele Kleinbauern aufgehört, vielfältige Feldfrüchte für den Eigenbedarf anzubauen, und beschränkten sich auf wenige Produkte für den Verkauf. „Die restlichen Lebensmittel müssen sie zukaufen, aber die industriellen Nahrungsmittel sind fettreich und überzuckert.“
Die Bauern gehören zu den Verlierern
Die Fettleibigkeit ist in Mexiko in den vergangenen 20 Jahren so rasant gestiegen wie nirgends sonst auf der Welt. Jedes dritte Kind und jeder zweite Erwachsene ist übergewichtig. Chips, Erfrischungsgetränke, Pizza und Hamburger sind zu den ohnehin kalorienreichen Speisen wie Tortillas, Tacos und Maismehltaschen hinzugekommen. Jährlich sterben 80.000 Menschen an Diabetes, fast ebenso vielen müssen Gliedmaßen amputiert werden – das treibt die Gesundheitskosten in die Höhe.Die Produzenten der Nahrungsmittel sind mehrheitlich ebenfalls Verlierer des Freihandels. Bei den Bauern bleibt kaum etwas hängen. Für einen Liter Milch bekommen sie 3,5 Peso (18 Eurocents). Im Supermarkt kostet er 15 Peso. Für eine Tonne Mais zahlt Cargill den Bauern 2500 Peso (137 Euro). Den Mühlen, in denen der Mais zu Mehl verarbeitet wird, verkauft der US-Gigant die Tonne für mehr als das Doppelte – und streicht dafür noch Subventionen ein, wenn er mexikanischen statt billigeren importierten Mais kauft. Suárez Schätzung zufolge haben zwischen 350.000 und 500.000 Kleinbauern in den vergangenen 20 Jahren ihren Besitz aufgegeben und sind abgewandert.Viele von ihnen verdingen sich nun als Tagelöhner, etwa in San Quintín, das im Bundesstaat Baja California an der Grenze zu den USA liegt. Dort bauen US-Konzerne in Allianz mit Firmen lokaler Politiker Erdbeeren für den Export an. Die Arbeitsbedingungen sind sklavenähnlich. Auf den Plantagen arbeiten Frauen und Kinder zehn Stunden am Tag für umgerechnet weniger als zehn Euro, ohne Sozial- oder Krankenversicherung. Unlängst streikten die Tagelöhner zum ersten Mal, die Plantagenbesitzer ließen den Streik mit Hilfe der Polizei niederschlagen.Die internationale Berichterstattung und ein drohender Boykott der US-Importeure brachte die Firmen zur Räson: Sie zahlen nun zehn US-Dollar für einen Acht-Stunden-Tag. Doch noch immer haben die Reallöhne nicht wieder das Niveau von 1993 erreicht, bevor Nafta in Kraft trat. 1980 konnte ein Mexikaner laut UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (Cepal) mit seinem Durchschnittslohn sogar zwei Mal mehr Waren einkaufen als heute. Trotz Nafta und Sozialprogrammen hat die Armut in Mexiko kaum abgenommen. 1994 galten 52 Prozent aller Mexikaner als arm, 2014 immer noch 45,5 Prozent.Agrarkonzerne haben es auf das Land der Kleinbauern abgesehen
Die Kleinbauern stehen zusätzlich unter Druck, weil es die multinationalen Agrarkonzerne auf ihr Land abgesehen haben. Nachdem die Hersteller von gentechnisch verändertem Saatgut, darunter US-Konzerne wie Cargill, Monsanto und das Schweizer Unternehmen Syngenta, Südamerika in eine Gentech-Sojawüste verwandelt haben, würden sie ihr Imperium gerne auf Mexiko ausweiten und dort gentechnisch veränderten Mais anbauen.Ihre Argumente: Die Maisproduktion in Mexiko sei unwirtschaftlich, der Ertrag liege mit 3,17 Tonnen pro Hektar ein Drittel unter dem weltweiten Durchschnitt. Zehn Prozent der mexikanischen Ernte werde von Schädlingen zerstört, das spreche für genmanipulierte Sorten. Bei denen könne ein punktgenau eingesetztes und völlig harmloses Pestizid Insekten fernhalten.Die Kleinbauern hingegen müssten unspezifische Insektenvernichtungsmittel einsetzen, die viel toxischer sind. All das ist in der Wissenschaft umstritten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat den Unkrautvernichter Glyphosat von Monsanto, gegen den Genmais resistent ist, zudem vor kurzem als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Doch nicht nur deshalb treffen die Konzerne auf erbitterten Widerstand. Mexiko ist die Wiege des Mais. Er gehört zur mexikanischen Identität und wird bis heute in seiner ganzen Vielfalt angebaut und verzehrt. Rund tausend verschiedene Sorten gibt es, schwarz, weiss, rot, gelb, orange, bunt. Zahlreiche Riten und Mythen ranken sich um ihn. Mexikos Küche wäre ohne ihn nicht denkbar – vor kurzem hat sich deshalb eine Gruppe bekannter Chefköche mit den Kleinbauern und Umweltschützern solidarisiert.
Die Politik hingegen sieht nur nackte Zahlen und spürt den Druck der Lobby. 2005 verabschiedete der Kongress ein Gesetz über biologische Sicherheit, das die Aussaat gentechnisch modifizierter Organismen zulässt. 2009 erteilte die Regierung von Felipe Calderón auf dieser Grundlage die ersten Lizenzen für Versuchsfelder. Die Gegner erstritten vor Gericht eine Suspendierung der Genehmigung. Seither dauert der Streit an, der hauptsächlich in Gerichtssälen und in den Medien ausgefochten wird. In dem Zermürbungskrieg können die Konzerne auf einheimische Verbündete zählen: Neben dem Landwirtschafts- und dem Wirtschaftsministerium werden sie vom Unternehmerverband AgrioBio unterstützt, dessen Vorsitzender in Mexiko gleichzeitig Präsident der multinationalen Firma Dow Agro-Sciences ist, und von der Vereinigung Nationaler Maisbauern (CNPAMM).
2013 erließ ein Bundesgericht eine einstweilige Verfügung, die die Aussaat von Genmais stoppt, bis höchstrichterlich ein Grundsatzurteil gefallen ist.
Der vorläufige Stopp hielt zwei Jahre lang 93 Berufungen und Einsprüchen stand – bis im August dieses Jahres ein anderer Richter das Urteil widerrief, weil „nicht genügend technische Experten“ gehört worden seien. Die Bauern fürchten, dass die Gentechnik-Lobby Fakten schaffen will. „Schon jetzt sind zahlreiche Felder kontaminiert“, sagt der Gentechnik-Experte Alejandro Espinosa, „denn die Regierung hat trotz des Verbots immer wieder Versuchsfelder erlaubt. Irgendwann ist diese Entwicklung nicht mehr umkehrbar.“ Das Umweltministerium hat bislang 89 Felder registriert, auf denen sich gentechnisch veränderte Sorten mit den herkömmlichen vermischt haben.Für Víctor Suárez von der Vereinigung zur Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte sind die Probleme vielfältig: „Die gentechnisch veränderten Monokulturen laugen den Boden aus, fördern die Abholzung und die Steppenbildung. Das ist gerade in Mexiko fatal“, sagt er. „Außerdem ist das Saatgut um ein Drittel teurer als das herkömmliche, und man begibt sich in Abhängigkeit von einem Lieferanten.“ Die heimischen Maisbauern hätten die Produktion in den vergangenen drei Jahren auch ohne Gentechnik gesteigert. Das einzige, was fehle, um diesen Weg erfolgreich weiterzugehen, sei eine langfristige Vision für die Landwirtschaftspolitik.