Es sieht nicht gut aus für das Freihandelsabkommen. Die Wirtschaft schürt nun irrationale Ängste. Dabei wäre es gar kein großer Verlust, wenn TTIP nicht zustände käme.
Kommentar von Silvia Liebrich, veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung
Es sieht nicht gut aus für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. 14 Gesprächsrunden haben amerikanische und europäische Verhandler inzwischen hinter sich, trotzdem sind sie sich in entscheidenden Punkten nicht wirklich nähergekommen. Ein Abschluss noch in diesem Jahr, wie ihn etwa Kanzlerin Angela Merkel oder der scheidende amerikanische Präsident Barack Obama gern sähen, ist in weite Ferne gerückt. Immer unwahrscheinlicher scheint zudem, dass es überhaupt zu einem Abschluss kommen wird.
Diese Erkenntnis setzt sich nun auch in Wirtschaft und Industrie durch. Panik macht sich breit. Was daran abzulesen ist, dass lautstark debattiert wird, wer für ein mögliches Scheitern verantwortlich sein könnte. So beklagt Industrie-Präsident Ulrich Grillo den mangelnden Einsatz der Bundesregierung und sprach gar von einem „Foulspiel aus Berlin“.
In der CDU will man das natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Finanzminister Wolfgang Schäuble und Unionsfraktionschef Volker Kauder zeigen schon mal auf Sigmar Gabriel. Sie werfen dem Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzenden mangelnden Kampfgeist vor, gerade so, als würde dieser mit am Verhandlungstisch sitzen.
Zugleich skizzieren Freihandelsbefürworter wahre Horrorszenarien, sollte das Abkommen nicht zustande kommen. TTIP sei für Deutschland von „fast existenzieller Bedeutung“, betont etwa Kauder. Von einem unverzichtbaren Bollwerk gegen China ist immer wieder die Rede, oder davon, dass wohl Großbritannien nach dem Brexit den großen Freihandels-Coup mit den USA landen werde, um die EU auszustechen. Beschämend ist, dass selbst die grausame Terrorwelle in Europa im Zusammenhang mit dem transatlantische Abkommen genannt wird.
Solche Aussagen sind irreführend und schüren nur irrationale Ängste. Großbritannien könnte zusammen mit den USA nicht annähernd einen so bedeutenden Wirtschaftsraum bilden wie die Europäische Union. Die Briten werden sich außerdem hüten, ihre wichtige Kundschaft in Europa zu vergrätzen. Eine feindliche Handelspolitik gegen China verbietet sich schon allein aus ökonomischen Gründen. Die Wirtschaftsmacht ist längst ein unverzichtbarer Handelspartner für Europa und Amerika.
Sollte TTIP tatsächlich scheitern, dann vermutlich nicht daran, dass vermeintlich freihandelsfeindliche Mächte oder nachlässige Politiker ihr Unwesen treiben, sondern schlicht daran, dass die Differenzen – wie in mancher Ehe – einfach zu groß sind. So wird es von amerikanischer Seite Zugeständnisse für die europäische Autoindustrie nur geben, wenn die EU ihre Agrar- und Lebensmittelmärkte weitgehend öffnet, um nur ein Beispiel zu nennen. Ein hoher Preis für ein Abkommen, dessen ökonomischer Nutzen umstritten ist und das von vielen Bürgern abgelehnt wird, weil sie völlig zu Recht Nachteile für sich und die Gesellschaft befürchten.
Eine Erfolgsgarantie hat es für TTIP nie gegeben
Das vielleicht größte Missverständnis ist: Eine Erfolgsgarantie für TTIP hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Die einzelnen EU-Länder haben der Kommission ein Mandat für Verhandlungen erteilt, nicht mehr und nicht weniger. Die laufenden Gespräche dienen dazu, die gegenseitige Kompromissbereitschaft auszuloten und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Gelingt das nicht, kommt kein Vertrag zustande. Im Wirtschaftsleben ist das ein ganz normaler Vorgang. Sollte ein Abschluss gelingen, dann müssen nicht nur das EU-Parlament, sondern auch die der Mitgliedsländer das letzte Wort haben. Alles andere wäre aus Sicht der EU-Bürger inakzeptabel.
Sollte der Daumen für TTIP nach unten weisen, bedeutet das keinesfalls den Niedergang der europäischen-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen, wie Befürworter behaupten. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Der transatlantische Handel hat bislang auch so gut funktioniert. Einheitliche Standards, etwa für Blinklichter an Autos, lassen sich auch auf anderem Weg vereinbaren.
Ein Scheitern von TTIP birgt zudem auch eine große Chance. Nämlich die, es beim nächsten Mal besser zu machen. Was Europa, die USA und der Rest der Welt wirklich brauchen, sind wegweisende und faire Abkommen, die andere Nationen nicht ausgrenzen, sondern zum Mitmachen einladen. Abkommen, von denen Wirtschaft und Menschen gleichermaßen profitieren, etwa durch höhere Umwelt-, Verbraucher- und Sozialstandards. Der eigentliche Fehler ist, dass TTIP so nie konzipiert war. Es ist deshalb kein großer Verlust, wenn aus dem Abkommen am Ende nichts wird.