Der folgende Beitrag ist zuerst in der Süddeutschen Zeitung vom 11. August erschienen. Wir haben ihn leicht korrigiert.
Von Thomas Öchsner, Berlin
Der Protest auf der Straße geht zunächst einmal weiter. Am 17. September wollen in sieben Großstädten Tausende Gegner der geplanten Freihandelsabkommen TTIP und Ceta protestieren. (…) Ihnen geht es nicht nur um die umstrittenen Chlorhühnchen, deren Einfuhr nach Deutschland viele Menschen fürchten. Die Gegner der Abkommen mit den USA und Kanada sehen die in Europa geltenden Standards für den Verbraucher- und Umweltschutz in Gefahr.
So, wie es jetzt aussieht, müssen sich die Kritiker allerdings gar nicht mehr so viele Sorgen machen, zumindest wenn es um die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) mit den USA geht. Die Chancen, dass das Abkommen – wie von der EU-Kommission angepeilt – bis Ende des Jahres zum Abgang von US-Präsident Barack Obama unter Dach und Fach ist, sind jedenfalls nur noch äußerst gering. Das geht aus einer „Zwischenbilanz“ des Bundeswirtschaftsministeriums hervor, die nun an andere Ressorts der Bundesregierung weitergeleitet wurde. Darin wird unverblümt dargelegt, an welchen Stellen es bei den Gesprächen hakt.
14 Gesprächsrunden haben die TTIP-Verhandler seit Juni 2013 hinter sich gebracht. Aber „bislang gibt es in keinem der 27 bis 30 Kapitel, die das TTIP-Abkommen am Ende umfassen könnte, eine Verständigung in der Sache“, stellen die Fachleute in dem mehr als 20 Seiten starken Papier fest. Zwar lägen für einige Themen „konsolidierte Texte“, also zumindest schriftliche Angebote der jeweiligen Seiten mit ersten Bewertungen der Gegenseite vor. Dies habe aber „keine Aussagekraft über Möglichkeiten der inhaltlichen Verständigung“. Ein Sprecher des Ministeriums sagte dazu: In einigen Bereichen habe man sich angenähert. „In anderen gibt es weiter erheblichen Diskussionsbedarf.
Das gilt etwa für das Thema Investitionsschutz. Hier liegen noch keine vorformulierten Texte vor. Die Europäer pochen auf einen Investitionsgerichtshof mit einer Berufungsinstanz. Die Amerikaner bevorzugen private Schiedsgerichte. Unvereinbar erscheinen auch die Positionen zum Kapital „Nachhaltigkeit“: Die EU will hier laut Wirtschaftsministerium „substantielle Verpflichtungen“ in den Bereichen Arbeit, Umwelt und Klimaschutz vereinbaren. Die USA wünschten sich „weniger weitreichende inhaltliche Verpflichtungen“.
Weit auseinander liegt man auch bei den Agrarzöllen: Die Vereinigten Staaten, in die fast zehn Prozent aller deutschen Exporte gehen und die damit der für Deutschland größte Absatzmarkt sind, wollen alle diese Zölle abbauen. Die EU besteht zunächst auf Ausnahmen für „sensible Agrargüter“, zum Beispiel für Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch, Milchprodukte, Gemüse oder Obst. Europa ist dabei zu weiteren Zugeständnissen bereit. Dafür sollen die USA aber beim Streitpunkt öffentliche Beschaffung der EU entgegenkommen.
In den USA heißt die Devise oft noch: „Buy America“. Europäische Anbieter gehen bei Aufträgen von öffentlichen Instituten deshalb oft leer aus. Nach dem Willen der EU sollen sich daher die amerikanischen Behörden für Anbieter aus Europa öffnen. Die USA lehnen es aber ab, US-Bundesbehörden sowie Ebenen darunter „auch nur ansatzweise einzubeziehen“, heißt es im Wirtschaftsministerium. Dies sei beim Thema öffentliche Beschaffung „die größte Hürde“.
Die Zeit drängt
Insgesamt liegen dem Bericht zufolge für elf geplante Kapitel noch keine konsolidierten Texte vor. Dazu zählen etwa die Themen Energie und Rohstoffe, Antikorruption, Schutz des geistigen Eigentums, Finanzdienstleitungen (Befugnisse von Aufsichtsbehörden), die Frage der Kennzeichnung von Kleidung oder den Schutz geografischer Herkunftsangaben.
Doch die Zeit drängt: Mitte September sollte es ursprünglich in die Endrunde bei den TTIP-Verhandlungen gehen. Dann wollen EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und der US-Handelsbeauftragte Michael Froman sich die dahin vorliegenden Ergebnisse näher anschauen. Am 22. September ist dann ein Treffen von Malmström mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und den Ressortkollegen aus anderen EU-Staaten geplant. Im Hause Gabriel überwiegt jedoch die Skepsis. Der Wirtschaftsminister glaubt wohl selbst nicht mehr daran, dass TTIP in der jetzigen Form etwas wird. Für ihn ist Ceta, das geplante Freihandelsabkommen mit Kanada, ein gutes Vorbild für weitere Verhandlungen mit den USA.
In dem Zwischenbericht wird darauf hingewiesen, dass die USA noch nicht einmal die transpazifische Partnerschaft, obwohl zu Ende verhandelt, unterzeichnet hätten. Außerdem hätten sich im US-Wahlkampf beide Kandidaten „kritisch zu Freihandelsabkommen geäußert“. Es sei daher unklar, „welche Bedeutung das Thema auf der Agenda der nächsten Präsidentin beziehungsweise des nächsten Präsidenten haben wird“. Zumindest die Demonstranten wird dies erfreuen.