Am 19. September 2016, zwei Tage nach den sieben Großdemos, trifft sich die SPD zu einem Konvent, einem kleinen Parteitag. Mit dabei ist die bisherige Landeschefin der Gewerkschaft ver.di, Leni Breymaier, die derzeit für den Landesvorsitz der baden-württembergischen SPD kandidiert.
Einen Tag nach dem Konvent, der vor allem das CETA-Abkommen debattiert, wird sich Breymaier in Konstanz der SPD-Basis vorstellen. Hier nun ein Interview, das sie Mitte Juli der Stuttgarter Wochenzeitung „Kontext“ gab.
Von Johanna Henkel-Waidhofer (Interview)
Frau Breymaier, die NRW-SPD hat sich bereits gegen TTIP gestellt. Die Bayern-SPD gegen CETA. Macht das Beispiel Schule?
Wenn es nach mir geht, ja. Am 17. September gibt es Demonstrationen in der ganzen Republik, auch in Stuttgart, und zwei Tage danach hat die SPD einen Parteikonvent auf Bundesebene. Wir haben uns 2014 selber Spiegelregeln gegeben, Bedingungen formuliert. Wenn diese roten Linien jetzt überschritten sind, dann ist TTIP abzulehnen.
Sind sie überschritten?
Sie sind. Und wir werden im September einen Punkt nach dem anderen abschichten. Ich war, ehrlich gesagt, skeptisch, ob dieser Prozess wirklich zum Erfolg führt. Ich weiß, dass Sigmar Gabriel und viele in der SPD solche Abkommen im Grunde gut finden. Auch ich finde Freihandelsabkommen nicht per se schlecht. Schon allein deshalb ist Gabriel hoch anzurechnen, dass er im September vor zwei Jahren dem Parteikonvent einen Beschluss mit Mindestregeln vorgelegt hatte. Es war ein kluger Schachzug, zu sagen, das sind unsere Regeln, hier ist unsere rote Linie. Das war ja auch mit dem DGB abgestimmt. Es hätte ja auch sein können, dass uns die Unterhändler der USA in entscheidenden Fragen entgegenkommen. Kreative Vorschläge, zum Beispiel zu den Schiedsgerichten, lagen ja schon auf dem Tisch. Und Gabriel, der Bundeswirtschaftsminister, hat sich auch für sie eingesetzt. Jetzt sehen wir aber, dass die Brüsseler Strategie, vor allem einigungsfähige Punkte abzuhaken und anderes auszuklammern, nicht weitergeführt hat. Vergangene Woche soll es unter anderem um den Abbau von Zöllen in der Automobilindustrie gegangen sein. Das sind aber Fragen, die auch ohne völkerrechtliches Abkommen zu lösen sind.
Wie hätten die US-Unterhändler Entgegenkommen signalisieren müssen?
Da gibt es viele Bereiche. Mir als Gewerkschafterin ist der Arbeitsschutz besonders wichtig. Große Sorge bereitet mir, dass die USA sechs der acht IAO-Kernarbeitsnormen nicht ratifiziert haben – unter anderem die Norm zur Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen. Zwei für eine soziale Marktwirtschaft unverzichtbare Normen. Ein weiteres Thema ist der Investitionsschutz. Da wollen private Unternehmer ihr Geld zurück, wenn Investitionen nicht zum gewünschten Erfolg führen. Nicht in Schwellenländern. Bei uns, in den USA. Wo bitte bleibt da das unternehmerische Risiko? Und dieser Investitionsschutz stellt ausländische Unternehmen besser als unsere eigenen, Google und Co. haben dann zusätzliche Klagemöglichkeiten vor privaten Gerichten. Das haben unsere Unternehmen und die Politik in diesem Frühjahr auch endlich gemerkt. Prompt kam die Forderung: Wir brauchen auch für inländische Unternehmen private Schiedsgerichte und Investitionsschutz. Am Ende droht eine privatisierte Paralleljustiz für Konzerne. Und das alles für ein Wachstumsversprechen von 0,5 Prozent in zehn Jahren. Das ist doch nicht darstellbar.
Im Land hat sich die SPD in der vergangenen Legislaturperiode aber zu einem konditionierten Ja zu TTIP durchgerungen, rote Linien hin oder her.
Aber auch die baden-württembergische SPD hat die Beschlüsse des Konvents mitgetragen. Und der Ministerpräsident muss ja nur in die Beschlüsse seiner Grünen schauen …
… die auch der Einrichtung eines TTIP-Beirats der alten Landesregierung zugrunde lagen, der dann als Feigenblatt kritisiert wurde.
Das sehe ich nicht so. Denn im Beirat laufen die Debatten wirklich transparent, die Sitzungen sind öffentlich und im Netz dokumentiert. Jeder kann sich das reinziehen. Ich bin Mitglied des Beirats und hatte immer den Eindruck, dass erstens hier die Gegner und Gegnerinnen in der Mehrzahl sind und dass wir auch die besseren Argumente haben. Da sind drei Dutzend Leute um einen Tisch gesessen, Gewerkschafter, die Vertreter von Umwelt- und Naturschutzverbänden, der Städte und Gemeinden, der damaligen Opposition, der Verbraucherzentrale, der Zivilgesellschaft und so weiter. Noch im April haben wir uns mit Auswirkungen auf unsere Wirtschaft auf der einen und die Entwicklungs- und Schwellenländer auf der anderen Seite befasst. Da waren sicher auch 60 Zuhörer und Zuhörerinnen dabei. Ich finde das nicht trivial. Wenngleich ich weiß, am Ende wird das alles nicht in Baden-Württemberg entschieden.
Kritischer sehe ich, dass wir im Beirat bis heute nicht über das Nettesheim-Gutachten der Landesregierung zu CETA gesprochen haben. Schließlich bestätigt dieses Gutachten unsere Befürchtung, dass die Daseinsvorsorge, insbesondere der Kommunen, nachhaltig gefährdet wird.
Aber nur 60 Menschen im Publikum – da hätte der Andrang durchaus größer sein können.
Viel mehr haben ja gar keinen Platz. Außerdem konnte das ja live im Netz verfolgt werden. Aber insgesamt können wir uns wirklich nicht beklagen. Im vergangenen Oktober waren in Berlin rund 250 000 Menschen auf der Straße. 250 000! Das ist eine gesellschaftliche Bewegung, wie ich sie lange nicht erlebt habe. Bedauerlich ist, wie verschiedene Medien mit dem Protest umgehen. Eine Viertelmillion Menschen war „Sonntag aktuell“ nicht einmal eine Erwähnung wert. Wenn ich das vergleiche mit der großen gesellschaftlichen Bewegung Anfang der Achtziger gegen den NATO-Doppelbeschluss – das war ein riesiges Thema. Über die Kundgebung im Bonner Hofgarten ist damals wochenlang geredet und berichtet worden …
… aber auch in der Gesellschaft insgesamt.
Stimmt. Das waren andere Zeiten, das heißt aber nicht, dass nicht auch am 17. September Hunderttausende auf die Straßen gehen werden. Die Mobilisierungsmöglichkeiten sind ja inzwischen andere.
Ist TTIP ein Thema für den Bundestagswahlkampf?
Natürlich. Die US-Unterhändler machen Druck, dass alles Wesentliche vor der Präsidentschaftswahl Anfang November unter Dach und Fach ist. Dazu wird es wohl nicht kommen, das kann ich mir nicht vorstellen. Also wird weiter gerungen werden. Wir müssen klarmachen, dass nicht sein kann, dass alles, was jemals privatisiert wurde, nicht wieder rekommunalisiert oder reverstaatlicht werden kann, dass alle geschützten Ursprungsbezeichnungen fallen sollen, wenn es nach den Bauern geht, die in den USA italienischen Asiago oder griechischen Feta produzieren. Ich habe gelesen, dass Amerika gerade im Käse versinkt, weil die Hersteller die Mengen hochgefahren haben, die Nachfrage aber eingebrochen ist und zugleich auch noch beliebter europäischer Käse eingeführt wird. Würden die Ursprungsbezeichnungen fallen, könnten eigene amerikanische Produkte im Wert von mehr als 800 Millionen Euro besser vermarktet werden. Und im Gegenzug europäische schlechter, weil die Herkunft verschleiert wird. Das ist doch ein Wahnsinn.
Was heißt das alles für CETA? Die kanadischen Verhandlungspartner legen Wert auf den kleinen, feinen Unterschied, dass es sich um ein Handels- und nicht wie bei TTIP um ein Freihandelsabkommen handelt.
Es gibt auch in der SPD Stimmen, die da einen Unterschied machen. Ich sehe das nicht so. Reprivatisierungen sollen auch nach CETA nicht möglich sein. Und Eigentumsverletzungen sollen auch vor Schiedsgerichten eingeklagt werden können. Ich finde, dass beide Verträge ein Unding sind, sie werden völkerrechtlich geschlossen. Angenommen, wir haben eines Tages in Deutschland eine Mehrheit für die Rente mit 60, dann können wir die demokratisch einführen. Was aber in CETA und TTIP steht, das ist mit parlamentarischen Mehrheiten nicht mehr zu verändern. Das ist die Selbstentmachtung der Parlamente. Außerdem schließt CETA Dritte, vor allem Entwicklungsländer, aus. Ich hoffe sehr, dass die Parlamente dagegen stimmen werden. Wenn wir den Ländern, die nicht beteiligt sind an den Handelsabkommen, die Luft zum Atmen und das Wasser zum Trinken nehmen, wenn wir ihre Rohstoffe ausbeuten und ihnen dafür unser altes Zeug rüberschieben, dann müssen wir uns über Kriege nicht wundern. So schaffen wir die Fluchtursachen selber. Denn in Wahrheit hat sich doch noch kein einziges der Heilsversprechen an ärmere Länder im Zusammenhang mit Freihandelsabkommen tatsächlich erfüllt.