Die sechs Lügen über CETA und TTIP

Manipulation und Desinformation der Öffentlichkeit durch die Betreiber von TTIP erreichen langsam das Niveau der schwarzen Clownerien in der Brexit-Kampagne. Mit einer Mischung aus Heilsversprechen, Drohungen des wirtschaftlichen Untergangs und Diffamierung aller Kritiker sollen TTIP und CETA doch noch durchgesetzt werden.

Ein Kommentar von Johannes Voggenhuber, Mitglied der österreichischen Grünen im EU-Parlament von 1995 bis 2009.

 

Lüge Nr.1: „TTIP ist die Schaffung einer Freihandelszone zwischen den USA und Europa.“

In Wahrheit hat TTIP mit einer „Freihandelszone“ (Beseitigung tarifärer Handelshemmnisse!) herzlich wenig zu tun. Es gibt längst nur mehr minimale Zölle zwischen USA und EU. Die Freihandelszone existiert also schon. Es ist ein bewusster Etikettenschwindel um die eigentlichen Ziele zu verschleiern.

Lüge Nr.2: „Die Demokratie wird durch TTIP nicht ausgehöhlt.“

Bei TTIP und CETA geht es um die systematische Gleichschaltung des Rechts in den USA, Kanada und Europa durch ein neues, transatlantisches, politisches Regime unter massivem Einfluss von Industrie und globalen Konzernen. Dieses demokratisch illegitime politische Regime soll über gemeinsame „Regulierungsbehörden“ verfügen, mit formellen Einspruchsrechten der Industrie und mit nichtöffentlichen Verfahren zur Abwehr, Veränderung oder Verschleppung unerwünschter Gesetze. mit Vorlagepflichten aller Gesetzesvorhaben ohne Wissen der Parlamente und ohne jede demokratische Öffentlichkeit.

Damit würde den Bürgerinnen und Bürgern schrittweise das innerste Grundrecht der Demokratie entwunden, in den zentralen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bereichen autonom entscheiden zu können, welche Gesetze sie sich geben und wie sie leben wollen. TTIP ist ein direkter Anschlag auf die Demokratie.

Lüge Nr 3: „Europäische Rechtsprinzipien werden nicht angetastet.“

Neben der Vereinheitlichung des Rechts geht es bei TTIP wie bei CETA vor allem um Sonderrechte und eine Sonderjustiz zum Schutz von Investoren – Sonderrechte wie sie keine andere Interessengruppe in der Gesellschaft besitzt – incl. Klagerecht und Schadenersatz bei frustrierten Gewinnerwartungen gegen gewählte demokratische Gesetzgeber, gegen die souveräne Gestaltungsfreiheit demokratischer Gesellschaften und ihrer Parlamente.

Es existiert inzwischen eine ganze mafiose „Industrie“, die unter dem Titel „Investitionsschutz“ Staaten und ihre Parlamente nötigen und mit Milliarden-Klagen Fortschritte in Umweltschutz, Gesundheit, Konsumentenschutz, Produktsicherheit, u.s.w. unterbinden. Das Grundprinzip des Rechtsstaates, die Gleichheit vor dem Gesetz soll für Investoren nicht mehr gelten.

Lüge Nr.4: „Europäische Standards werden nicht unterschritten.“

Damit wird suggeriert, nur Waren, die diesem Standard entsprechen, würden auf den europäischen Markt kommen. Das ist unwahr und eine Verletzung des Vertrauens der Bürger in die allgemeine Geltung des Rechts. US-Produkte, die europäische Standards nicht erfüllen, kommen trotzdem ungehindert auf den europäischen Markt. Selbst die Kennzeichnungspflicht solcher Produkte ist völlig unzureichend. Damit wird eine freie, informierte Entscheidung der Konsumenten bewusst unterdrückt.

Prekäre Arbeitsverhältnisse, stagnierende Löhne und der fortschreitende Abbau der Sozialleistungen würden ökonomisch schwache Bevölkerungsteile mehr und mehr von minderwertigen, industriellen Massen-Nahrungsmitteln abhängig machen. Der Preisdruck durch Massenprodukte jenseits von europäischen Standards würde zu Wettbewerbsverzerrungen führen und damit zu einem massiven Druck auf bestehende Umwelt-Gesundheits und Konsumentenschutzbestimmungen. Und genau das ist auch die Absicht der TTIP-Betreiber.

Lüge Nr.5: „An unserer Umweltpolitik ändert sich nichts.“

In Wahrheit würde durch TTIP das Grundprinzip europäischer Umwelt- und Gesundheitspolitik ausgehebelt, An die Stelle des europäischen „Vorsorgeprinzips“ würde das „US-Schadensprinzip“ treten. Die Beweislast würde vom Produzenten auf die Konsumenten abgewälzt. Der Gesetzgeber könnte gegen schädliche Produkte erst nach bereits eingetretenen Schäden bzw. bei wissenschaftlich erwiesenen schädlichen Wirkungen einschreiten.

Der Nachweis eines solchen Kausalzusammenhangs ist aber oft erst nach Jahrzehnten oder gar nicht möglich. Durch Massenproduktion von Waren und deren Verteilung rund um die Welt trotz des Verdachtes auf ihre Gefährlichkeit, können so verheerende Schäden entstehen.

Europa besitzt auch kein Haftungs- und Schadenersatzrecht, das die katastrophalen Folgen dieses Schadensprinzips abmildern könnte. TTIP ist ein direkter Anschlag auf die Pflicht des Staates zur Vorsorge vor Risiken für Umwelt und Gesundheit und Produktsicherheit.

Lüge Nr. 6: „Die Kritik an den Schiedsgerichten ist nun ausgeräumt.“

In Wahrheit sollen durch TTIP und CETA zentrale Prinzipien einer ordentlichen Gerichtsbarkeit, die in Jahrhunderten errungen wurden, abgeschafft oder eingeschränkt werden: Öffentlichkeit der Verfahren, Recht auf den gesetzlichen Richter, das Berufungsrecht.

Nun sollen Schnellverfahren und Schiedsgerichte, die im Umgang mit Staaten ohne funktionierende unabhängige Justiz entwickelt wurden, „zum Schutz von Investitionen“ auch zwischen den USA und Europa eingerichtet werden. Für Menschen, deren Umwelt und Gesundheit oder Eigentum oder soziale Rechte durch Investoren geschädigt werden, gelten diese Verfahren natürlich nicht. Das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz soll für Investoren nicht mehr gelten. TTIP ist ein direkter Anschlag auf den Rechtsstaat und die ordentliche Gerichtsbarkeit.

Zum Glück ist die europäische Zivilgesellschaft längst aufgewacht. und die systematische Diffamierung der Kritik in Politik und Medien wird sie nicht mehr gefügig machen. Noch immer nicht genug Vertrauensverlust von Politik und Medien in Europa? Noch immer nicht genug Auftrieb für die extreme politische Rechte? Noch immer nicht genug Zorn in Europa?