„Bei Tisa geht es noch um viel mehr als bei Ceta und TTIP“
Neben TTIP und Ceta gibt es noch ein Handelsabkommen mit vier Buchstaben, das selbst von FreihandelskritikerInnen so gut wie unbeachtet bleibt: Tisa – das Trade in Services Agreement.
Manchmal genügen vier Buchstaben, um Massenproteste auszulösen. TTIP ist so ein Fall, das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Oder Ceta, jener europäisch-kanadische Pakt, der schon fertig ausgehandelt ist. Gegen diese beiden Verträge wollen Kritiker am Samstag in sieben deutschen Großstädten demonstrieren. In ihren Augen hebeln TTIP und Ceta die Demokratie aus; sie bangen um Europas Standards, etwa beim Verbraucherschutz oder bei Lebensmitteln. „Stoppt TTIP, stoppt Ceta“ lautet die Parole, die am Wochenende zu hören sein wird. Das Anti-Piraterie-Abkommen haben Gegner schließlich auch scheitern lassen: vier Buchstaben, Acta.
Doch da ist noch ein anderes Handelsabkommen mit vier Buchstaben, das selbst von Freihandelskritikern so gut wie unbeachtet bleibt: Tisa – das Trade in Services Agreement. Im Windschatten von TTIP und Ceta wurde es in den vergangenen Monaten verhandelt. Jetzt belegen vertrauliche Vertragsdokumente: Die Gespräche sind schon ziemlich weit. Wikileaks veröffentlicht die Dokumente an diesem Donnerstag, die Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR konnten vorab einen Einblick nehmen – in Gespräche, die offenbar nur noch um Details kreisen.
Auf 18 Seiten haben die Unterhändler schon ihr „Kernabkommen“ zusammengeschustert. Einzelne Abschnitte fehlen darin noch, sind aber auch schon weitgehend verhandelt. „Jeder Staat soll Dienstleistungen und deren Anbieter nicht schlechter behandeln, als er seine eigenen Dienstleistungen und deren Anbieter behandelt“ – so lautet der Schlüsselsatz des Abkommens. Wer in einem anderen Tisa-Land ein Telefonnetz betreiben will, Schiffe bewegen oder nur seinem Beruf nachgehen will, soll auf keine gezielten Hindernisse stoßen.
Fernsehmärkte, Brieftransport, Telefontarife oder Gesundheits-Dienste
Dabei stellen die Servicebranchen drei Viertel der europäischen Wirtschaftsleistung und drei Viertel aller Jobs. Bis Ende des Jahres sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Klappt das, entstünde ein neuer milliardenschwerer Markt für Dienstleistungen. Kritiker fürchten schon jetzt eine neue Liberalisierungswelle: Tisa enge die Rechte der Staaten ein, die eigenen Firmen zu bevorzugen – und schaffe so eine neue Spirale des Wettbewerbs.
„Bei Tisa geht es noch um viel mehr als bei Ceta und TTIP“, sagt Linken-Chef Bernd Riexinger. „Tisa soll für Konzerne zu Gold machen, was der Allgemeinheit gehört.“ Sie machten Profit aus Bedürfnissen von Menschen. Sein Plädoyer: „Die Verhandlungen müssen sofort eingestellt und alle Dokumente veröffentlicht werden.“ Das Abkommen, findet auch die grüne Handelspolitikerin Ska Keller, „bedroht die regionale Wirtschaft“. Tisa stoppen, fordert auch sie.
Weniger Spielraum
Tatsächlich würde das Abkommen nationale Spielräume beschränken – etwa sogenannte Local-Content-Vorgaben, die einen bestimmten Anteil inländischer Dienstleistungen vorschreiben. Andererseits haben die 23 Freunde auch allerhand Klauseln geschaffen, die ihnen weiterhin offenhalten, ihre nationalen Standards zu definieren. Ein Klagerecht für Firmen ist nicht vorgesehen, anders als bei TTIP und Ceta. Beschweren können sich nur einzelne Staaten bei anderen Tisa-Ländern.
Bestrebungen dieser Art gibt es schon seit Jahrzehnten. 1994 öffneten die WTO-Mitglieder erstmals ihre Märkte für Dienstleistungen ein Stück weit – seinerzeit mit dem sogenannten Gats-Abkommen. Aber seitdem ist wenig passiert – auch, weil die Welthandelsrunde Doha feststeckt. Diesen Stillstand soll Tisa überwinden. Die Ziele sind äußerst ambitioniert. So erhoffen sich die USA von Tisa eine Steigerung ihrer Exporte von Dienstleistungen um 600 Milliarden Euro. Entsprechend viel Druck machen die Amerikaner – zumal sie unter Zeitdruck stehen. Am liebsten würden sie Tisa noch unter Präsident Obama abschließen.
Doch offene Fragen, das belegen die vertraulichen Unterlagen, gibt es noch zuhauf. Da ist das Thema der globalen Datenflüsse im Bereich Telekommunikation. Die USA dringen auf vollkommene Freiheit der Informationsflüsse und bestimmte Verpflichtungen beim Cloud Computing, bei denen unklar ist, ob sie im Einklang mit dem EU-Datenschutz stehen. Dafür haben sie wenig Interesse am Verhandlungsblock „Mode 4“. Darin geht es um „temporäre Arbeitsmigration“: Fachkräfte, die vorübergehend ins Ausland gehen.
Ähnlich bei maritimen Dienstleistungen rund um Häfen. Die USA verteidigen hier ihren Jones Act aus den 1920er-Jahren, ein Bundesgesetz über den Seehandel zwischen US-Häfen. Er ist nur Schiffen erlaubt, die in den USA hergestellt wurden, Amerikanern gehören und von ihnen betrieben werden. Ausländische Anbieter wollen die USA weiter fernhalten.
Seit dreieinhalb Jahren laufen die Verhandlungen, die Freunde treffen sich meist in Genf, abwechselnd führen die USA, die EU und Australien den Vorsitz. Zu 19Runden traf man sich bislang, die Verhandlungen zwischen 23 Partnern gestalten sich schwierig. Allein 47 Seiten lang ist die Liste der Nachforderungen, die Brüssel an die anderen Freunde verschickt hat. Von dort kommen ähnliche Listen zurück. „Die Gespräche“, so heißt es dennoch in Brüssel, „führen zu guten Fortschritten“.
Tatsächlich sehen einzelne Abschnitte des Vertragswerks fertig aus. Etwa die 37Paragrafen, die sich mit der Streitbeilegung befassen – wenn ein Staat meint, ein anderer halte sich nicht an die Tisa-Regeln. Große Streitpunkte sucht man hier vergebens, jedenfalls in den nun zirkulierenden Unterlagen. Auch die Mechanismen, wie das Abkommen in Gang gesetzt wird, wie neue Staaten dazukommen oder aussteigen können, sind fast fertig. Nur: Die Öffentlichkeit nahm kaum Notiz.
Womit noch nicht sicher ist, dass Tisa nicht auch noch die Massen auf die Straße lockt – es hat schließlich vier Buchstaben, das Abkommen der guten Freunde.