TiSA, das unbekannte Abkommen

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Zuerst TTIP, dann CETA: Diese Abkürzungen kennen inzwischen viele. Aber wie sieht es mit TiSA aus, dem Trade in Services Agreement, das ebenfalls geheim verhandelt wird? Worum es beim Dienstleistungsabkommen zur Privatisierung möglichst vieler öffentlicher Bereiche geht, zeigt diese Analyse der Gewerkschaft ver.di, die vor einem Jahr verfasst wurde, aber weitgehend unbekannt blieb.

Seit 2012 verhandelt die EU über ein Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen, das Trade in Services Agreement (TiSA). Anfang 2013 wurde der EU-Kommission von den Regierungen der EU- Mitgliedsstaaten ein offizielles Verhandlungsmandat erteilt. Über TISA wird plurilateral, d.h. in einer Gruppe von „willigen“ Staaten, verhandelt. Dies ist auch eine Reaktion auf die stockenden Weiterverhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO, in dem 1995 das General Agreement on Trade in Services (GATS) abgeschlossen wurde. Die derzeitigen TISA-Verhandlungspartner sind Australien, Chile, Costa Rica, die EU, Hongkong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Liechtenstein, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Peru, Südkorea, Schweiz, Taiwan, die Türkei und die USA. Uruguay und Paraguay, die beide ursprünglich mit dabei waren, haben sich aus den Verhandlungen zurückgezogen (siehe dazu den Beitrag in der Wochenzeitung WOZ).

Die TiSA-Verhandlungsführer haben das Mandat, eine „überaus ambitionierte“ Liberalisierung des Dienstleistungshandels zu erreichen. Im Gegensatz zu anderen Handels- und Investitionsabkommen geht es bei TiSA ausschließlich um den Handel mit Dienstleistungen. Eingeschlossen wären:

  • die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen;
  • die Nutzung von Dienstleistungen im Ausland;
  • ausländische Direktinvestitionen;
  • die Dienstleistungserbringung durch den vorübergehenden Aufenthalt von Personen im Land des Dienstleistungsempfängers.
  • Wie die Verhandlungen zum geplanten Abkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten TTIP, sind auch die zum TiSA geheim. Im Dezember 2014 und im Sommer 2015 von Wikileaks veröffentlichte Verhandlungsdokumente zeigen aber, welche möglichen Auswirkungen ein solches Abkommen haben könnte.

Nahezu alle Branchen betroffen

In Anlehnung an das GATS-Abkommen ist auch für TiSA geplant, die Prinzipien des uneingeschränkten Marktzugangs und der Inländerbehandlung (ausländische Anbieter von Dienstleistungen müssen genauso behandelt werden wie inländische) über das gesamte Abkommen anzuwenden. Der Marktzugang ausländischer Anbieter soll über eine Positivliste geregelt werden. Auf dieser werden länderspezifisch explizit die Sektoren genannt, die liberalisiert werden sollen. Alle anderen Bereiche bleiben geschützt.

Anders als im GATS-Abkommen (aber in Anlehnung an die Dienstleistungskapitel in TTIP und CETA) soll bezüglich des Prinzips der Inländerbehandlung eine Negativliste angewendet werden. Auf dieser Liste müssen alle Bereiche, in denen inländische Anbieter weiterhin bevorzugt behandelt werden sollen explizit genannt werden. Geschieht dies nicht, werden sie automatisch liberalisiert.

Die TiSA-Verhandlungsführer arbeiten an neuen sektoralen Vereinbarungen über die Regulierung von Finanzdienstleistungen, Telekommunikationsdiensten, elektronischem Handel, Seeverkehr, Luftver- kehr und Straßenverkehr, freiberuflichen Dienstleistungen, Energiedienstleistungen und Post- und Kurierdiensten. Generell ausgenommen von den Verhandlungen sind, wie schon in anderen von der EU verhandelten Abkommen, die audiovisuellen Dienstleistungen, d.h. Fernsehen, Radio und Film.

Mögliche Gefahren für öffentliche Dienstleistungen

Mit TiSA wird versucht, über einen völkerrechtlich bindenden Vertrag ein bestimmtes Liberalisierungsniveau festzuschreiben und die Möglichkeit zur öffentlichen Regulierung einzuschränken. Der zentrale Hebel sind dabei die sogenannten Stillstands- und Sperrklinkenklauseln.

Eine Stillstandsklausel würde den bis dato erreichten Stand der Liberalisierung von Dienstleistungen in jedem Land zementieren und damit jede Entwicklung von einer marktorientierten zu einer staatlich organisierten Erbringung öffentlicher Dienste unmöglich machen. Diese Klausel würde nicht per se eine alleinige öffentliche Leistungserbringung verhindern; sie würde aber deren Entstehung in Sektoren unmöglich machen, die zurzeit dem Wettbewerb durch den privaten Sektor geöffnet sind.

In gleicher Weise würde eine Sperrklinkenklausel automatisch alle zukünftigen Maßnahmen zur Liberalisierung von Dienstleistungen in einem Land unumkehrbar machen. Auch diese Klausel würde nicht per se die alleinige öffentliche Leistungserbringung verbieten. Wenn eine Regierung jedoch die Privatisierung öffentlicher Dienste beschließen würde, wäre es ihr zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich, wieder zu einem öffentlichen Modell zurückzukehren.

Eine Rekommunalisierung in Sektoren, die dem Abkommen unterliegen, wäre aufgrund beider Klauseln unmöglich.

Zwar verfolgt die EU bezüglich der Daseinsvorsorge in Verhandlungen zu Handelsabkommen die Strategie, Ausnahmen für Bereiche der Daseinsvorsorge festzulegen. Dieses geschieht über ein mehrstufiges System. Zunächst werden Dienstleistungen, die in hoheitlicher Gewalt erbracht werden, komplett von den Abkommen ausgenommen. Grundlage ist eine Definition innerhalb des General Agreement on Trade in Services (GATS), wonach hoheitliche Aufgaben weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Anbietern erbracht werden dürfen.

Zweitens integriert die EU in von ihr abgeschlossenen Freihandels- und Investitionsabkommen eine so genannte Public-Utility-Ausnahme. Laut dieser können in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten Dienstleistungen, die auf nationaler oder örtlicher Ebene als öffentliche Aufgaben („public utilities“) betrachtet werden, staatlichen Monopolen oder ausschließlichen Rechten privater Betreiber unterliegen. Über allgemeine Ausnahmen hinaus formulieren die EU bzw. auch einzelne Mitgliedstaaten regelmäßig Liberalisierungsvorbehalte zu einzelnen Branchen. Diese werden in den Anhängen der Abkommen aufgelistet und betreffen etwa den Bereich öffentlich finanzierter Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen und die Wasserversorgung.

Allerdings könnte die Schutzwirkung dieser Ausnahmen lückenhaft sein – jedenfalls wird sie immer löchriger. Im Falle der Dienstleistungen, die in hoheitlicher Gewalt erbracht werden, ist das Schutzniveau gering, da nur wenige Dienstleistungen weder kommerziell noch im Wettbewerb erbracht werden. Im Wesentlichen können nur Verwaltung, Justiz und Polizei so vor aus einem Vertrag erwachsenden Anforderungen geschützt werden. Die Ausnahmen im Rahmen der Public-Utility-Ausnahme bzw. für einzelne Branchen können zwar grundsätzlich alle Bereiche der Daseinsvorsorge erfassen, müssten aber auch die Ausnahme von sämtlichen Prinzipien eines Abkommens (wesentlich sind üblicherweise Marktzugang, Inländerbehandlung und Meistbegünstigung) gewährleisten, damit nicht möglicherweise Schlupflöcher entstehen. Dies ist bei der auf den Aspekt des Marktzugangs – und dort auch nur für Monopole bestehenden Aus- nahme, wie sie die Public-Utility-Klausel bietet – nicht der Fall bzw. muss bei branchenbezogenen Ausnahmen jeweils Branche für Branche geprüft werden.

Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards unter Druck

Ein wichtiger Bereich, der bisher im Rahmen der GATS-Verhandlungen ohne Ergebnis geblieben ist, betrifft die sogenannten innerstaatlichen Regulierungen. Bei diesen geht es um wichtige Regulierungen zur Sicherung von Standards etwa für die Verbraucherinnen und Verbraucher oder auch bezüglich der Berufsbildung, über die Regulierungsbehörden auf nationalstaatlicher bzw. teilweise auf europäischer Ebene entscheiden. Konkret zählen zu ihnen Qualifikationserfordernisse und -verfahren, technische Normen und Zulassungserfordernisse:

  • Qualifikationserfordernisse und -verfahren enthalten sowohl die Bildungsabschlüsse und die beruflichen Prüfungen und Zulassungen, die zur Erbringung einer speziellen Dienstleistung erforderlich sind, als auch die Verfahren zur Prüfung der Qualifizierung eines Dienstleistungserbringers.
  • Technische Normen beziehen sich auf Regulierungen, die die „technischen Eigenschaften der Dienstleistung selbst“ betreffen und auf die „Vorschriften, die bei der Erbringung der Dienstleistung“ eingehalten werden müssen.
  • Zulassungserfordernisse beziehen sich zum einen auf berufliche Zulassungen. Darüber hinaus umfassen sie auch alle Anforderungen, die ein Unternehmen erfüllen muss, um von der Regierung die Erlaubnis zur Erbringung einer Dienstleistung in einem Markt zu erhalten. Beispiele wären die Lizenzierung von Gesundheitseinrichtungen und Labors, die Akkreditierung von Universitäten und Schulen, Sendelizenzen, Abfallentsorgungsanlagen, Kraftwerken usw.

Regulierungen, die die Struktur von Dienstleistungsmärkten bestimmen, sowie Regulierungen, die nur für inländische Anbieter gelten, werden bereits im TiSA-Kerntext beseitigt (Marktzugang und Inländerbehandlung). In einem von Wikileaks veröffentlichten Verhandlungsdokument zum Bereich innerstaatlicher Regulierungen wird aufgeführt, welchen weiteren Beschränkungen Staaten unterliegen, wenn sie Teil von TISA sind.So können private oder öffentliche Monopole in Frage gestellt werden, wenn sie Quersubventionen zugunsten nicht-monopolistischer Dienstleistungen tätigen. Auch dürfen Staaten den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr zugunsten von Dienstleistungen oder im Sinne einer ausländischen Direktinvestition nicht beschränken, wenn sie bei dieser Dienstleistung Verpflichtungen eingegangen sind.

Im Entwurf des Annexes zu innerstaatlichen Regulierungen vom Februar 2015 wird zwar gesagt, dass die Vertragsparteien das Recht behalten, zu regulieren, was das Recht, neue Regulierungen einzufüh- ren, beinhalte. Allerdings müssen die Regulierungen in Einklang mit den TISA-Regeln stehen und das selbst dann, wenn sie nichtdiskriminierend sind und dazu da sind, grundlegende kulturelle, soziale oder ökologische Rechte zu garantieren. Damit würde der staatliche Handlungsspielraum bei Regulierungen der genannten drei Arten eingeschränkt werden. Und selbst dieses beschränkte staatliche Recht auf Regulierung findet sich im aktuellen Textentwurf (April 2015) nicht mehr wieder.

Verschärft wird diese Einengung des staatlichen Handlungsspielraums durch drei Kernverpflichtungen:

  • Regierungen müssen sich verpflichten, dass die gewählte Regulierung „nicht belastender als nötig ist, um die Qualität der Dienstleistung zu gewährleisten.“
  •  Die Regulierung muss auf Grundlage „objektiver und transparenter Kriterien, wie Kompetenz und der Fähigkeit, die Dienstleistung anzubieten“ erfolgen.
  • Alle Maßnahmen, die den Dienstleistungshandel beeinflussen, müssen in einer „angemessenen, sachlichen und unparteiischen Art und Weise“ erfolgen, müssen „unparteiisch gegenüber allen Bewerbern“ sein und Entscheidungen müssen „auf unabhängige Art und Weise“ gefällt werden.

 

Der staatliche Handlungsspielraum bei Regulierungen wird eingeschränkt sowie Regulierungen insgesamt als etwa negatives, auf ein Minimum zu reduzierendes Übel angesehen. Und wenn reguliert werden darf, dann nur hinsichtlich der Leistungsqualität und der Fähigkeit, Leistungen anzubieten. Andere Kriterien, wie z.B. soziale oder ökologische, kommen nicht vor.

Wie das TISA zu weitreichenden Deregulierungen von Märkten und Einschränkungen des Schutzes von Bürgerrechten führen kann, zeigen die Bereiche Finanzdienstleistungen und Datenschutz.

Weitere Liberalisierung von Finanzdienstleistungen

Zu den TiSA-Verhandlungen im Bereich Finanzdienstleistungen wurden bereits mehrere Dokumente von Wikileaks veröffentlicht. Analysen zu den Dokumenten gehen davon aus, dass die TiSA-Regelungen zu einer weiteren Deregulierung der internationalen Finanzmärkte führen würden.

So sieht der Entwurf des Anhangs zu Finanzdienstleistungen vor, dass eine Stillstandsklausel greifen soll, die künftige Regulierungen verhindern würde. Auch sollen Maßnahmen, die „signifikant nachteilige Auswirkungen“ auf ausländische Finanzdienstleister haben, beseitigt werden müssen. Diese weite Formulierung kann das Einfallstor für weitgehende Deregulierungsforderungen ausländischer Finanzdienstleister sein.

Und einige Verhandlungsparteien gehen über diese Positionen sogar hinaus und vertreten noch radikalere Forderungen. Die Schweiz etwa setzt sich dafür ein, dass alle neuen Finanzdienste eines Landes von den anderen TISA-Vertragspartnern automatisch zugelassen werden müssen.

Datenschutz in Gefahr

Im Dezember 2014 wurde ein Vorschlag der USA zu den Themen elektronischer Handel, grenzüberschreitender Datenaustausch und Technologietransfer geleakt. Dieser sieht vor, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht mehr verlangen können, dass US-Unternehmen Daten von Europäerinnen und Europäern auch in Europa verarbeiten müssen.

Bisher können Unternehmen, die grenzüberschreitend digitale Dienstleistungen anbieten, dazu verpflichtet werden, das europäische Datenschutzrecht anzuwenden. Nach Willen der USA sollen die Daten von Kommunikationsanbietern künftig ungehindert zwischen Ländern ausgetauscht werden können. Demnach dürfte kein Unterzeichner einen Diensteanbieter eines anderen Unterzeichners daran hindern, Informationen zu übertragen, auf sie zuzugreifen, sie zu verarbeiten oder zu speichern. Das schließt persönliche Daten mit ein, wenn der Vorgang in Zusammenhang mit der Ausführung der Geschäfte des Diensteanbieters steht.

Der TISA-Anhang zum Thema elektronischer Handel, der im Juni 2015 von Wikileaks veröffentlicht wurde, bestätigt die Befürchtungen, die sich aus dem US-amerikanischen Vorschlag bezüglich des Datenschutzes ergeben haben. Er enthält unter anderen diese Formulierung: „Kein Unterzeichner darf einen Diensteanbieter eines anderen Unterzeichners daran hindern, Informationen innerhalb oder außerhalb des Territoriums des anderen Unterzeichners zu übertragen, [auf sie zuzugreifen, sie zu verarbeiten oder zu speichern], eingeschlossen persönliche Daten, wenn der Vorgang in Zusammen- hang mit der Ausführung der Geschäfte des Diensteanbieters steht.“ Ohne weitere Einschränkungen stünde das im Widerspruch zu der geplanten EU-Datenschutzgrundverordnung, die den Datentransfer aus der EU heraus an bestimmte Bedingungen knüpfen will.

Forderungen und Perspektiven

Angesichts dieser Gefahren, die TiSA für die Qualität öffentlicher Leistungen, ein hohes Niveau von Arbeits-, Sozial- und Verbraucherstandards, die Regulierung der Finanzmärkte und den europäischen Datenschutz bedeutet, fordert ver.di:

Die Verhandlungen dürfen keine Geheimsache sein. Verhandlungsdokumente müssen veröffentlicht werden, damit Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft rechtzeitig informiert sind.

  • Es darf weder einen Druck zugunsten einer Liberalisierung oder Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen geben, noch die Rückkehr zu einer stärkeren oder gar rein öffentlichen Leistungserbringung durch Sperr- und Stillstandsklauseln verhindert werden. Die öffentliche Da- seinsvorsorge muss vom Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen werden.
  • Es darf keine Beschränkungen von Regulierungsmöglichkeiten geben, die dazu führen, dass das Niveau von Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards abgesenkt wird.
  • Es darf über die TISA-Verhandlungen nicht zu einer weiteren Liberalisierung der Finanzmärkte kommen.
  • Die europäischen Datenschutzstandards, wie sie die geplante EU- Datenschutzgrundverordnung vorsieht, dürfen nicht gefährdet werden. Von ausländischen Unternehmen erhobene Daten müssen deshalb vor Ort unter Berücksichtigung des Datenschutzrechts verarbeitet werden.