Im Schweizer Online-Magazin Infosperber erschien vor wenigen Tagen folgender Bericht über die jüngsten Entwicklungen bei den TiSA-Verhandlungen:
Dienstleistungsabkommen TiSA: Trotz Druck der USA geht’s nicht so schnell. Bern hat schon Konzessionen gemacht – beim Service Public. Die EU drängt auf Privatisierung.
Von Isolda Agazzi*
Das Trade in Services Agreement TiSA – seit 2012 ausserhalb der Welthandelsorganisation (WTO) von 23 Mitgliedern vorangetrieben – sollte noch vor Ende des Jahres unter Dach und Fach gebracht werden. Am 5./6. Dezember war dafür eine Ministerkonferenz in Genf anberaumt. Diese wurde kurzfristig annulliert. Wie es mit TiSA weitergeht, bleibt vorläufig in der Schwebe. Zu gross und zahlreich waren die Differenzen, namentlich bei der Liberalisierung der öffentlichen Dienstleistungen und dem Datenschutz.
Die Raubritter von der EU
Am 7. Oktober enthüllte Wikileaks, dass die Europäische Union (EU) von den beteiligten Entwicklungsländern verlangt hat, dass sie ihre staatlichen Service public-Angebote nicht weiter ausbauen sollen – und zwar für immer. Das betrifft etwa die Telekommunikation in Costa Rica, Mexiko und Pakistan, Umweltdienstleistungen in Costa Rica, Panama und Peru, den Energie- und Bergbausektor in Mexiko und Pakistan oder das Verbot, lokales Personal bei der Rekrutierung zu bevorzugen in Mauritius. Das ist umso befremdlicher, als die EU behauptet, sie wolle ihren eigenen Service public nicht liberalisieren. Denn das hiesse, dass der Service public der Entwicklungsländer ausländischer Konkurrenz gegenüber geöffnet und letztlich privatisiert werden könnte.
Kommt dazu, dass viele Länder ihren Service public quersubventionieren, um so sicherzustellen, dass die Grundversorgung auch in abgelegenen, «unrentablen» Gebieten gewährt bleibt. Akzeptierten die Entwicklungsländer die Begehren der EU, so wären sie wegen der Sperrklinkenklausel (ratchet clause) fortan ausländischen Anbietern von Dienstleistungen ausgeliefert: Diese Klausel verbietet es, Privatisierungen rückgängig zu machen, selbst wenn diese nicht die gewünschten Resultate bringen. Die EU geht aber noch weiter: Sie verlangt von den an TiSA beteiligten Entwicklungsländern die Marktöffnung im Detailhandel, im Flugverkehr und Seetransport.
Schweiz will Umwelt- und Informatikdienstleistungen liberalisieren
Und die Schweiz? Sie hat unter Druck der EU in ihrem dritten überarbeiteten Angebot vom 21. Oktober ihren Widerstand in Bezug auf kommunale und kantonale Umweltdienstleistungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen bereits aufgegeben. All dies wird der Sperrklinkenklausel unterworfen.
Dabei hat die Schweiz, wie übrigens auch die EU, immer versichert, TiSA werde nicht zu einer Privatisierung des Service public führen. Das neue Schweizer Angebot bedeutet aber nichts anderes, als dass Gemeinden und Kantone in Fragen von Abfall- und Abwasserentsorgung bei zukünftigen Investitionen liberalisieren müssen und – wegen der Sperrklinkenklausel – nicht mehr darauf zurückkommen können. Umweltverträglichkeitsprüfungen müssten neu nicht mehr zwingend an Schweizer Büros vergeben werden.
Der Anhang über Ursprung und Herkunft von Dienstleistungen («Localisation») verbietet eine Reihe von Massnahmen. So darf zum Beispiel ein Land (wie etwa die Schweiz) nicht mehr vorschreiben, wo ein Dienstleistender seinen Wohnsitz hat, dass seine Arbeit mit einer Anwesenheit hierzulande verbunden sein und auf hiesige Befindlichkeiten Rücksicht nehmen muss. Dabei wäre es sinnvoll, solcherlei regulieren zu können, etwa wenn es um Konsumenten-, Unternehmens- oder Umweltschutz geht. Aber auch im Hinblick auf die nationale Sicherheit.
In ihrem neuen Angebot hat die Schweiz, auch hier auf Druck der EU, einer vollständigen Liberalisierung von Informationstechnologie-Dienstleistungen zugestimmt – eine Premiere in einem Schweizer Freihandelsabkommen. Sie hat nicht einmal Systeme zur Abwehr von Cyberkriminalität ausgeschlossen, obwohl solche zur nationalen Verteidigung gehören und dieser Passus unbestreitbar eine Gefährdung der eigenen Sicherheit darstellen könnte.
Geht es darum, die Begehren anderer Staaten zu anerkennen, zeigt sich die EU dagegen sehr zurückhaltend. So hat sie sich gegen die von den USA vorgebrachten «neuen Dienstleistungen» verwahrt, das sind solche, die erst entwickelt werden und darum wenig oder gar nicht reguliert sind. Sollte TiSA in Kraft treten und ein teilnehmendes Land hat es versäumt, eine Dienstleistung explizit vom Geltungsbereich auszunehmen – im Fall der Schweiz zum Beispiel etwa Airbnb oder Angebote rund um den Einsatz von Drohnen – so kann es später nicht mehr darauf zurückkommen.
Drohende Liberalisierung von Post, Bahn und Radiogesellschaft
Auch wenn die Schweiz in ihrem Angebot klargemacht hat, dass staatsnahe oder Regiebetriebe von der Liberalisierung ausgeschlossen sein sollen, so versteckt sich in den Anhängen des TiSA-Vertrags die Gefahr, dass auch die heutige Aufstellung der Post, der SBB, Ruag und der SRG keineswegs in Stein gemeisselt ist. Denn auch diese Betriebe sollen der Konkurrenz ausgesetzt werden. Wer sagt, das sei doch heute bereits der Fall – die jüngsten Ankündigungen der Post belegen dies – muss zur Kenntnis nehmen, dass mit TiSA dieser Prozess irreversibel wird. Sollte der Bund eines Tages beschliessen, den Service public wieder stärker öffentlich zu steuern, könnte er dies nicht mehr tun.
Andere Anhänge sind genauso beunruhigend. Erwähnt sei jener über die Transparenz, der multinationalen Unternehmen die rechtliche Grundlage gibt, sich über Lobbying in nationale Gesetzgebungsprozesse einzumischen. Entschlösse sich die Schweiz zum Beispiel, genetisch veränderte Organismen definitiv zu verbieten, so hätte Monsanto eine solide Rechtsgrundlage, um dagegen vorzugehen. Sähe der Konzern seine Mitspracherechte verletzt, könnte er sein Herkunftsland überzeugen, juristisch gegen die Schweiz vorzugehen.
Auch hier liesse sich einwenden, multinationale Firmen seien mit Lobbyisten doch bereits heute in der Schweizer Politik aktiv. Das stimmt zwar, doch TiSA gäbe ihnen das Recht, sich auf allen Ebenen des Gesetzgebungs-Prozesses einzumischen, ebenso auf kommunaler wie auf Bundesebene.
EU und die Schweiz stellen sich quer gegen freien Datentransfer
Schliesslich ist auch der Anhang über den elektronischen Handel, der den grenzüberschreitenden Transfer persönlicher Daten betrifft, sehr problematisch. Unsere Daten – ob sie Bankgeschäfte, Gesundheit oder Konsumgewohnheiten betreffen – müssten nicht mehr zwingend auf Servern verwaltet werden, die sich in der Schweiz oder in der EU befinden. Sie könnten von multinationalen Firmen nach deren Gutdünken verwaltet werden. Das widerspricht den aktuellen Erfordernissen des Schweizer Daten- bzw. Persönlichkeitsschutzes. Hier legt sich die EU, unterstützt von der Schweiz, Norwegen, Island und einzelnen andern Ländern, vehement quer gegen die Ansprüche der USA. Die Frage ist, wie lange noch?
Wird TiSA unterzeichnet, hätten private Dienstleister auf dem Markt weitgehend freie Hand. Das gilt auch für private Bildungseinrichtungen. Werden diese ohne Einschränkungen zu Marktbedingungen in Drittländern zugelassen, so etablieren sich über kurz oder lang Bildungssysteme mit zwei Geschwindigkeiten. Private Schulen werden zuungunsten von öffentlichen ausgebaut werden, die besten Lehrkräfte werden dorthin gehen, wo die Kinder der Bessergestellten ausgebildet werden, die sich das finanziell leisten können. Es gilt sich sehr ernsthaft zu überlegen, ob das ein zukunftsfähiges Modell ist.
* Als Verantwortliche für Handelspolitik bei der «Alliance Sud» hat Isolda Agazzi die Verhandlungen über das geplante Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen TiSA kritisch verfolgt. Sie berichtet über den aktuellen Stand.