TTIP und CETA nützen nur den Konzernen

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Im „Morgenweb“, dem Nachrichtenportal des „Mannheimer Morgen“, erschien dieser Tage folgender Beitrag:

 

 

 

 

Wenn nur die großen Konzerne von diesen Abkommen profitieren, hat das mit freiem Welthandel nichts zu tun. Für Thilo Bode ist TTIP eine Lüge, die die Demokratie ausschaltet.

Wer die Debatte um die Freihandelsabkommen TTIP (Abkommen zwischen der Europäischen Union und den USA) und Ceta (zwischen EU und Kanada) verfolgt, dem fällt auf, dass ihre Befürworter nie davon sprechen, dass Standards verbessert werden könnten. Politiker und Wirtschaftsvertreter lassen sich immer nur mit der Aussage zitieren, bestehende Verbraucher-, Umwelt- und Sozialstandards seien nicht gefährdet. Das ist entlarvend und empörend, denn ganz offenkundig wollen sie sich damit begnügen, den Status quo zu erhalten. Wenn aber der Status quo angeblich schon ausreicht, brauchen wir keine gewählten Parlamentarier mehr, dann genügen Behörden, die den Status quo nur noch verwalten. Wir wollen aber keine „eingefrorene“ Demokratie, keine degradierten, entmachteten Parlamente, nicht in Europa und nicht in den USA und Kanada.

Getäuschte Verbraucher

Die europäische und die deutsche chemische Industrie wären heute nicht so wettbewerbsfähig und erfolgreich ohne das vor einigen Jahren verabschiedete, ambitionierte Standards setzende Chemikaliengesetz REACH, das in einer jahrzehntelangen parlamentarischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Umweltverbänden und anderen Interessengruppen erkämpft wurde. Autos würden heute mehr CO2, Stickoxide und Feinstaub ausstoßen, wenn die Hersteller nicht durch Gesetze gezwungen worden wären, die Emissionen weiter zu reduzieren. Der Skandal um die manipulierten Abgaswerte bei VW hat gezeigt, was Konzerne bereit sind zu tun, um Regulierungen zu umgehen, die ihren Kostenberechnungen entgegenstehen – ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Menschen und den Schutz der Umwelt.

Auch die Lebensmittelgesetze in Deutschland, Europa und Nordamerika sind alles andere als gut, viele Informationsregeln für Behörden und Unternehmen sind geradezu vordemokratisch. Verbraucher werden systematisch getäuscht; wider das Transparenzgebot werden ihnen Informationen für eine selbstbestimmte Entscheidung vorenthalten, etwa bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln.

In der Landwirtschaft, vor allem in der Tierhaltung, sind manche Regeln katastrophal schlecht, Tierrechte stehen lediglich auf dem Papier: Anstatt die Haltungsbedingungen den Tieren anzupassen, werden die Tiere dem System angepasst, die Praxis ist oftmals reine Tierquälerei. Seit Jahrzehnten doktert die erbärmliche europäische Agrarpolitik an Symptomen herum und forciert mit den Handelsabkommen nun einen Wettbewerb, der möglichst billige exporttaugliche Lebensmittel hervorbringen soll auf Kosten von Böden, Wasser, Tieren und Menschen. Und für die Reparatur der Schäden muss dann am Ende – siehe Finanzkrise – wieder die Allgemeinheit geradestehen. Nach unserer Analyse sind TTIP und Ceta vor allem darauf angelegt, durch eine „Annäherung der Gesetzgebung“ in Europa und Nordamerika jeden neuen regulatorischen Eingriff abzuwürgen, zu verwässern, zu verzögern. Dringend erforderliche neue Gesetze und Regelungen werden dann nur noch Gültigkeit erlangen, wenn sie konform mit den Handelsabkommen sind, wenn sie die Handelsinteressen europäischer und nordamerikanischer Konzerne nicht einengen.

Dafür bekommen die global agierenden Unternehmen zusätzliche rechtliche Möglichkeiten in die Hand: Mit der nach Abschluss der Abkommen institutionalisierten Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden beiderseits des Atlantiks in Regulierungsgremien wird ein großes Einfallstor für die Konzernlobbys geschaffen – und die Rechtssetzung an ihren Interessen ausgerichtet; und mit den nicht-staatlichen Schiedsgerichten zum exklusiven Schutz ausländischer Investoren, die sich jetzt irreführend „Investitionsgerichtshöfe“ nennen, erhalten sie abschreckende Klagemöglichkeiten gegen gesetzliche Maßnahmen im Sinne des Allgemeinwohls. Kurz gesagt: Mit TTIP und Ceta würden sich Europäer, US-Amerikaner und Kanadier die Verrechtlichung von Konzerninteressen und eine weitere Ökonomisierung gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse einhandeln.

In ihren Aussagen bedienen sich die Befürworter der Abkommen einer Täuschung: Sie erzählen die „gute Story“ von der Angleichung technischer Vorschriften hüben wie drüben, mal werden unterschiedliche Farben bei Autorückblinkern bemüht, mal unnötige doppelte Zertifizierungen für diverse Geräte. Gegen die Vereinheitlichung technischer Standards kann vernünftigerweise kein Mensch argumentieren, solange damit nicht geringere Sicherheit oder schlechtere Qualität erkauft werden; wenn die Unternehmen auf diese Weise Kosten sparen, die sie in niedrigeren Preisen an die Verbraucher weitergeben – umso besser. Für eine solche Angleichung technischer Standards bedarf es aber keiner völkerrechtlichen Verträge, die im Streitfall europäisches, kanadisches oder US-Recht aushebeln können; dafür genügen normale Abkommen zwischen Interessen- und Branchenverbänden, moderiert von Ministerien und Fachbehörden, wie sie schon in der Vergangenheit abgeschlossen wurden.

In diesem Zusammenhang wird gerne der europäische Binnenmarkt als „Kronzeuge“ herangezogen, schließlich sei es ja auch bei seiner Entwicklung nicht zu einer Absenkung von Standards gekommen; im Gegenteil seien viele Standards sogar erhöht worden. Doch dieser Vergleich hinkt. Der Europäische Binnenmarkt hat sich unter einem rechtlichen Rahmen entwickelt, der den Schutz der Bürger in der Sozial-, Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherpolitik gewährleistet, unter Mitwirkung von eigens geschaffenen Institutionen wie des EU-Parlamentes, der EU-Kommission und europäischer Behörden. Dieser Schutzschirm würde unter den Bedingungen eines transatlantischen Binnenmarktes entscheidend geschwächt.

Die „gute Story“ von der Harmonisierung technischer Standards wird zur schlechten, ja zur falschen Story, wenn sie die technischen Standards in einen Topf rührt mit gesellschaftlichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozessen, kurzum mit demokratischen Standards. Keine Frage: Umweltschutzgesetze, Arbeitnehmer-, Verbraucher- oder Tierschutzrechte kosten auch, aber ihre Dimension reicht weit über eine reine Kostenbetrachtung hinaus. Die Politik muss auch in Zukunft die Freiheit haben, Entscheidungen zu treffen, die etwas „kosten“, weil wir es uns leisten müssen oder wollen.

Risiken und Unwägbarkeiten

Auch die Befürworter der Abkommen in Politik und Wirtschaft müssen die Europäische Union beim Wort nehmen, sprich bei den Zahlen: Die im Auftrag der EU-Kommission errechneten Zuwächse bei Wachstum und Jobs basieren auf Gutachten, die wissenschaftliche Husarenstücke sind; ihre Prognosen sind im besten Fall höchst bescheiden, Arbeitsplatzverluste sogar wahrscheinlich.

Von den Befürwortern muss man erwarten können, dass sie in einem rationalen Diskurs diese bestenfalls bescheidenen Vorteile gegen die gravierenden Nachteile für die Demokratie abwägen. Der Einfluss von Wählern und Abgeordneten auf die zukünftige Regelsetzung wird durch TTIP und Ceta nicht größer, sondern kleiner, weil wichtige Regeln ohne Beteiligung der Parlamente verabschiedet werden können. Und nicht zuletzt haben die Parlamente bei der Verabschiedung der Abkommen nur eingeschränkte Rechte.

Angesichts neuester Entwicklungen des Terrors und der Flüchtlingsströme dürfen auch die Handelsumleitungseffekte derartiger Abkommen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Wer TTIP und Ceta mit ihrer geostrategischen Bedeutung rechtfertigt, darf nicht ignorieren, dass zum Beispiel der Maghreb in Nordafrika wirtschaftlich durch TTIP benachteiligt wird und damit weite Teile der Bevölkerung von möglichen wirtschaftlichen Verbesserungen ausgeschlossen bleiben. Heute wie gestern treiben mich vor allem zwei Fragen um: Warum lassen sich unsere Volksvertreter durch Freihandelsabkommen in ihren demokratischen Rechten so sehr einschränken, ja sogar entmachten? Und warum unterstützen so viele mit einem befremdlichen Sendungsbewusstsein und Enthusiasmus zwei Projekte, die so viele substanzielle Risiken und Unwägbarkeiten mit sich bringen, aber so wenig belegbare Vorteile? Manche Abgeordnete des Bundestags, so mein Eindruck, haben sich dafür entschieden, die Interessen der Wirtschaft über die des Gemeinwohls zu stellen und vertreten das mehr oder weniger offen.

Ein anderer, wachsender Teil jedoch zweifelt immer stärker am Sinn der Abkommen. Diese Abgeordneten müssen wir auffordern, die Projekte zu stoppen. Weil TTIP und Ceta die Stimme der Bürger und ihrer Vertreter schwächen. Weil sie die Demokratie beschädigen.

Zum Autor:

  • Thilo Bode, Jahrgang 1947, hat Soziologie und Volkswirtschaft studiert. 1989 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, 1995 von Greenpeace International. 2002 gründete er in Berlin die Verbraucherrechtsorganisation foodwatch, die er heute leitet. Auslöser für die Gründung war der Schock des BSE-Skandals.
  • Thilo Bode ist Autor mehrerer Bücher. 2003 erschien „Die Demokratie verrät ihre Kinder“, seine Streitschrift „Abgespeist“ (2007) wurde zum Bestseller. 2009 wurde Bode von der Schwab Stiftung zum „Social Entrepreneur des Jahres“ gewählt.
  • Thilo Bodes Bestseller „Die Freihandelslüge. Warum wir CETA und TTIP stoppen müssen“ ist im Juli 2016 in einer aktualisierten Neuauflage als Taschenbuch erschienen. Verlag: DVA Sachbuch, ISBN: 978-3-421-04764-9, 272 Seiten, 9,99 Euro.
  • Internet: www.thilobode.de www.foodwatch.org