Der CETA-Krimi. Fortsetzung folgt

mdmagazin_01-2017-1

In der Januarausgabe des Mitgliedermagazins von Mehr Demokratie e.V. ist der aktuelle Stand der Auseinandersetzungen um das europäisch-kanadische Handelsabkommen CETA festgehalten.

Am 30. Oktober unterzeichneten die EU und Kanada das Abkommen, nach einer Nacht- und Nebelaktion. War nun aller Widerstand zwecklos? Nein! Obwohl die CETA-VerfechterInnen und etliche Medienberichte den Fall als abgeschlossen betrachten, ist CETA noch lange nicht in trockenen Tüchern.

 

 

 

Von Anne Dänner und Roman Huber

Am 13. Oktober lehnte das Bundesverfassungsgericht die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Eilanträge) zu CETA ab. Was beim oberflächlichen Lesen wie ein Rückschlag aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Teilerfolg. Denn das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, dass CETA nur unter bestimmten Auflagen vorläufig angewendet werden darf:

1. Die Schiedsgerichte und viele weitere Artikel von CETA dürfen nicht vorläufig in Kraft treten. Alles, was nicht zwei­felsfrei in der alleinigen Zuständigkeit der EU liegt, darf nicht vorläufig angewendet werden.

2. Die CETA­-Ausschüsse müssen demokratisch rückge­bunden werden. Sie dürfen also Protokolle und Anhänge nicht im Alleingang ändern. Und Deutschlands Einfluss muss gewahrt bleiben, zum Beispiel indem der EU-­Rat einstimmig festlegen muss, was und wie die EU­-VertreterInnen in den CETA­Ausschüssen erarbeiten und entscheiden sollen.

3. Deutschland – und alle anderen Mitgliedstaaten – können die vorläufige Anwendung einseitig kündigen.

Wir, die BürgerInnen, bleiben damit im Spiel. Denn Bundestag oder Bundesrat können noch immer gegen das Abkommen stimmen. Damit kämen wir wieder raus aus der vorläufigen Anwendung. Auch in anderen EU­-Mitgliedstaaten könnten die Parlamente CETA stoppen. Das Gerichtsurteil und der Widerstand einzelner Länder, allen voran der belgischen Region Wallonien, brachten den Ratifizierungsprozess für ein paar Tage richtig ins Schleudern. Auf dem Treffen der EU­-MinisterInnen Mitte Oktober zeigte sich, wie viele Fragen noch offen, wie vie­le Probleme noch nicht behoben sind. Doch statt erst einmal inne zu halten und CETA insgesamt zu überdenken, übten die EU-­Kommission und der EU-­Rat weiter Druck aus.

Der Schnellschuss-Gipfel

Am 27. Oktober, dem Tag des abgesagten EU-­Kanada-­Gipfels, schreibt der Rat der Europäischen Union an seine Mitgliedsstaaten. Sie sollen per E­-Mail zustimmen und zwar der Unterzeichnung, der vorläufigen Anwendung und dem Abschluss von CETA sowie dessen Weiterleitung an das Europäische Parlament. Sofort! „Ihre Antwort muss dem Generalsekretariat des Rates bis Freitag, den 28. Oktober 2016, 24.00 Uhr (Mitternacht) zugehen“, wird gefordert. Auf diese Weise wird CETA trotz aller Widerstände und offenen Fragen doch noch schnell unterzeichnet, auf einem Schnellschuss-­Gipfel am 30. Oktober. Das vierseitige Schreiben (dokumentiert in einem Antrag) illustriert, welche Flickschusterei in den letzten Tagen und Wochen an CETA betrieben wurde. Zusatzerklärungen des Rats, der Kommission, einzelner Mitgliedstaaten und eine „Gemeinsame Auslegungserklärung“ zwischen Kanada und der EU sollen es richten.

Die Zeitbombe für CETA

Sobald eine der Zusatzerklärungen nicht erfüllt ist, fliegt das mühsam zusammengehaltene Abkommen seinen VerfechterInnen um die Ohren. Zur Erinnerung: Die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten geht erst los, wenn auch das EU­-Parlament das Abkommen angenommen hat. Dann müssen 40 Landes­ und Regionalparlamente überzeugt werden.

Juristische Vorbehalte in Deutschland

Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass die vorläufige Anwendung von CETA jederzeit von jedem Mitgliedstaat beendet werden kann. Das endgültige Urteil ist nämlich noch nicht gesprochen. Falls das Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache feststellt, dass Teile von CETA verfassungswidrig sind, kann Deutschland CETA nicht ratifizieren.

Mehr Demokratie, foodwatch und Campact haben einen weiterenEilantrag eingereicht. Denn von den drei Auflagen des Gerichts zur CETA­-Unterzeichnung ist nach Auffassung der Kläger mindestens eine nicht erfüllt: Für welche Bereiche die EU allein zuständig ist und welche auch die Mitgliedstaaten betreffen, ist gerade in spannenden Feldern wie Steuern, Finanzdienstleistungen, Streitbeilegung oder geistiges Eigentum nicht geklärt. Wenn das Verfassungsgericht diese Einschätzung teilt – es prüfte zu Redaktionsschluss den Eilantrag noch –, muss Deutschland die vorläufige Anwendung sofort beenden.

Ablehnung des Schiedsgerichtssystems in Belgien

Belgien verlangt, dass der Europäische Gerichtshof prüft, ob das Schiedsgerichtssystem (ICS) mit den Europäischen Verträgen vereinbar ist. Wenn das Kapitel zur Investitionsgerichtsbarkeit nicht noch einmal geändert wird, dann wird Belgien CETA nicht ratifizieren. Beides hat Wallonien mit seinem Widerstand erreicht, ist eben nicht eingeknickt. Dieses kleine, aber wichtige Detail wurde in der Berichterstattung überwiegend übersehen.

Vorbehalte in zehn weiteren Mitgliedstaaten

Auch Slowenien, Österreich, Polen, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Portugal, Ungarn, Irland und Griechenland haben Vorbehalte in Zusatzerklärungen festgehalten. Mehrere Mitgliedstaaten fordern, dass die Macht des geplanten CETA­-Steuerungsgremiums (Gemischter Ausschuss) begrenzt wird und dass die Spielräume der nationalen Parlamente bei der Gesetzgebung erhalten bleiben.

Der Trick mit dem Bundesrat

CETA muss im Bundesrat beschlossen werden. Normalerweise geschieht das bei sogenannten Zustimmungsgesetzen mit der Mehrheit aller Stimmen (35 von 69). Enthaltungen gelten also als „Nein“. Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, die Teile von CETA kritisch sehen, sind an 12 von 16 Landesregierungen beteiligt und könnten ein „Ja“ zu CETA verhindern. Das weiß auch die Bundesregierung. Der nächste Coup der CETA­ VerfechterInnen könnte nun darin bestehen, zu erklären, dass CETA gar keiner Zustimmung durch den Bundesrat bedürfe – die Regierung könnte ein „Einspruchsgesetz“ statt eines „Zustimmungsgesetzes“ vorlegen. Der Bundesrat könnte dann nicht mehr selbst beschließen, sondern nur noch Einspruch erheben gegen eine Entscheidung des Bundestags. Mehr Demokratie hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das belegen soll, dass CETA nicht auf diese Art durchgewunken werden darf. Das ist schon allein deshalb wichtig, weil wir mit unseren Volksinitiativen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Schleswig-­Holstein darauf setzten, dass die Länder CETA im Bundesrat stoppen können … Der CETA-­Krimi geht weiter.