Zuerst vermeldete es die Financial Times („USA öffnen wieder die Tür zu Handelsgesprächen mit Europa“), jetzt schreibt es auch die Wochenzeitung Zeit: TTIP kehrt zurück! Aber erst nach der Bundestagswahl.
Von Petra Pinzler und Mark Schieritz
26. April 2017 – In seiner Autobiografie Die Kunst des Deals beschreibt Donald Trump Flexibilität als oberste Tugend des erfolgreichen Geschäftsmanns: „Ich habe immer viele Bälle in der Luft, denn die meisten Deals werden nichts, auch wenn sie am Anfang vielversprechend aussehen.“
So scheint es Trump auch als Präsident zu halten. Als die deutsche Bundeskanzlerin unlängst im Weißen Haus zu Gast war, legte der Immobilienmilliardär jedenfalls eine glatte 180-Grad-Wende hin. Gleich mehrmals wollte Trump Angela Merkel dazu überreden, ein deutsch-amerikanisches Handelsabkommen auf den Weg zu bringen. Doch als die Kanzlerin im Gespräch beharrlich darauf verwies, dass so etwas nur mit der EU insgesamt möglich sei und obendrein mit der Europäischen Kommission verhandelt werden müsse, lenkte Trump ein und – so berichten es Anwesende der ZEIT – wies seinen Handelsminister Wilbur Ross an, sich Gedanken über einen Vertrag mit allen Europäern zu machen.
Das hat Ross nun getan, und es scheint möglich, was bis vor Kurzem als undenkbar galt: dass unter Trump die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP wiederbelebt werden könnten – jenem Abkommen, über das die Europäer drei Jahre lang erfolglos mit Trumps Vorgänger Barack Obama verhandelt hatten und gegen das in Deutschland Hunderttausende auf die Straße gingen.
Sollte nun ausgerechnet der selbst ernannte Handelskrieger Donald Trump, der Unternehmen wie BMW mit heftigen Strafzöllen gedroht hat, seinen Frieden mit den Europäern machen, dann könnte das wiederum im deutschen Bundestagswahlkampf für erheblichen Ärger sorgen.
Erste Indizien dafür gibt es. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat in der vergangenen Woche am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington Trumps obersten Wirtschaftsberater Gary Cohn getroffen, Finanzstaatssekretär Jens Spahn den Chefstrategen des Präsidenten, Stephen Bannon. Dabei habe die amerikanische Seite signalisiert, dass sie bereit sei, mit den Europäern „etwas zu machen“, heißt es in Regierungskreisen.
Wolfgang Schäuble glaubt, dass Trump auf einen gemäßigteren Kurs einschwenkt
Aus Schäubles Sicht spricht das dafür, dass Trump in der Handelspolitik auf einen gemäßigteren Kurs einschwenkt – und dass mit den Amerikanern mehr möglich ist, als es Trumps erste Aktionen befürchten ließen. Kurz nach seiner Amtseinführung hatte der neue Präsident nicht nur einen unter Obama ausgehandelten Freihandelsvertrag mit Japan, Australien, Chile und anderen Pazifikstaaten aufgekündigt. Er sandte auch Emissäre in die Hauptstädte Europas aus, um über bilaterale Abkommen mit den einzelnen Mitgliedsstaaten die EU zu spalten. Noch auf dem Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt (G20) in Baden-Baden im März wollten die Amerikaner nicht einmal die vorbereitete Abschlusserklärung unterzeichnen, weil diese ein Bekenntnis zum freien Handel und zu global gültigen Regeln enthielt.
Doch am vergangenen Wochenende bei der Frühjahrstagung des IWF ging es anders zu. Zwar kritisierte Finanzminister Steven Mnuchin öffentlichkeitswirksam den hohen deutschen Exportüberschuss. Er verzichtete aber zugleich darauf, von der Bundesregierung konkrete Gegenmaßnahmen einzufordern, und zeigte sich auch sonst gesprächsbereit.
Erfolgreiche Verhandlungstaktik
All das könnte darauf hinweisen, dass im Weißen Haus zunehmend die Pragmatiker um den ehemaligen Goldman-Sachs-Banker Cohn den Ton angeben. Sie sind der Meinung, dass am Ende auch amerikanische Firmen von offenen Grenzen profitieren. Deshalb halten sie wenig davon, die heimischen Märkte abzuschotten, wie es Trumps zu deutlich radikaleren Ansichten neigender Handelsberater Peter Navarro angedroht hat.
Für die Kanzlerin ist das dem Vernehmen nach Grund genug, einen neuen Versuch zu wagen, um doch noch ein Abkommen mit den Amerikanern hinzubekommen. Merkel hat dabei die Wirtschaftsverbände und führende Unionspolitiker hinter sich – darunter die beiden CDU-Präsidiumsmitglieder Spahn und Schäuble. Sie alle glauben, dass ein transatlantisches Abkommen gut für die deutsche Wirtschaft ist und die westliche Wertegemeinschaft stärkt. Im SPD-geführten Wirtschaftsministerium überwiegt hingegen die Skepsis. Zwar hatte auch Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries kürzlich noch erklärt, TTIP sei nicht tot. Die Verhandlungen sind offiziell ja tatsächlich nie beendet worden, sie ruhen nur. Doch in den jüngsten Monaten ging nichts mehr voran – und das lag nicht in erster Linie an den Demonstranten, sondern daran, dass selbst unter Obama beide Seiten zu unterschiedliche Vorstellungen von einem „guten“ Deal hatten.
Wenig ist an der sozialdemokratischen Basis so verhasst wie TTIP
An dieser Ausgangslage dürfte sich nach dem Amtsantritt von Donald Trump – so sieht man es im Wirtschaftsministerium – wenig geändert haben. Die europäische Industrie wünscht sich weiterhin Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA. Den haben ausländische Produzenten in der Regel nicht, weil die Behörden in den USA gesetzlich dazu angehalten sind, heimische Anbieter zu bevorzugen. Warum sollte ausgerechnet Trump diese Klausel fallen lassen? Auch dass der europäische Wunsch nach mehr Verbraucher- und Umweltschutz in der Handelspolitik jetzt in Washington auf offenere Ohren stößt, ist unwahrscheinlich – eine Einschätzung, die in der EU-Kommission geteilt wird. Schließlich dringt die US-Wirtschaft besonders auf weniger Schranken für amerikanische Agrarprodukte.
Es gibt denn auch noch eine weniger wohlwollende Interpretation des amerikanischen Vorstoßes: dass es sich dabei um den Versuch handelt, unter dem Deckmantel einer gemeinsamen Initiative auf Kosten der Europäer die eigenen nationalen Interessen durchzusetzen. Für Donald Trump jedenfalls ist List ausdrücklich Bestandteil einer erfolgreichen Verhandlungstaktik – und dass der amerikanische Präsident kürzlich Strafzölle gegen deutschen Stahlkonzerne verhängt hat, hat ihm in Berlin nicht unbedingt einen Vertrauensbonus verschafft.
Wenn Zypries Mitte Mai nach Washington reist, dann plant sie, ihre Partner in Washington deshalb erst einmal kennenzulernen. Im Wirtschaftsministerium wird zudem darauf verwiesen, dass noch nicht einmal der designierte Handelsbeauftragte Robert Lighthizer vom Senat im Amt bestätigt wurde, der für mögliche neue Freihandelsgespräche zuständig wäre.
In der SPD ist man darüber nicht ganz unglücklich. An der sozialdemokratischen Basis ist wenig so verhasst wie TTIP, Sigmar Gabriel hätte der Streit um die Handelspolitik im vorigen Jahr fast das Amt als Parteichef gekostet. TTIP reloaded, noch dazu unter Trump – das wäre für die Genossen im Wahlkampf eine schwere Bürde. Die Union hingegen könnte ihre Anhänger mobilisieren, die einem solchen Abkommen aufgeschlossener gegenüberstehen.
Immerhin sind sich alle Beteiligten in einem Punkt schon einig: Wenn TTIP wiederbelebt wird, dann unter einem anderen Namen. Die Gegner werden ihre Transparente wohl neu malen müssen.