Merkels Freihandelsoffensiven

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Nach den jüngsten Absetzbewegungen gegenüber Washington macht sich Berlin daran, weltweit neue Absatzmärkte für die deutsche Exportindustrie zu erschließen. Das schreibt am 13. Juni das Nachrichtenportal Telepolis.

Angela Merkel macht den Ronald Reagan – der bekanntlich mit seiner Berliner Mauerrede in die Geschichte des politischen Spektakels einging. Bei einem Auftritt während ihrer Staatsvisite in Mexiko sprach sich die Bundeskanzlerin gegen die Mauer aus, die Donald Trump an der Grenze zum südlichen Nachbarstaat der USA errichten will.

Mauern würden keine Migrationsprobleme lösen, bemerkte Merkel bei einer öffentlichen Diskussion mit dem mexikanischen Präsidenten Enrique Pena Nieto. Man dürfe nicht die Vorteile vergessen, die der Freihandel vielen Menschen brachte, erklärte die Kanzlerin laut der Nachrichtenagentur Reuters.

Mit diesem offenen Seitenhieb gegen Trump und die abgetakelte westliche Hegemonialmacht war die Kanzlerin bemüht, ihre Gastgeber für den neuen Freihandelsdeal empfänglich zu machen, den ihre Wirtschaftsdelegation mit Mexiko abschließen möchte. „Möglichst noch in diesem Jahr“, so Merkel, solle eine weitergehende Neufassung des Handelsabkommens abgeschlossenen werden, das die EU und Mexiko 2000 unterzeichneten.

„Alternativen zu den Vereinigten Staaten“

Das als verlängerte Werkbank und Billiglohnland positionierte Mexiko führe derzeit rund 80 Prozent seiner Exporte in die USA aus, meldete das Handelsblatt weshalb man sich aufgrund der aktuellen Spannungen mit den Trumpschen USA im Mexiko-Stadt nach „Alternativen zu den Vereinigten Staaten“ umschaue. Enrique Pena Nieto bekräftigte folglich den Wunsch seines exportorientierten Landes, mehr Güter in eine deutsch dominierte Europäische Union auszuführen, die ebenfalls immer größere Exportüberschüsse erwirtschaftet.

Er hoffe auf eine „Modernisierung“ des Freihandels, so Pena Nieto, um den bilateralen Warenumsatz zwischen Deutschland und Mexiko von zuletzt rund 17,8 Milliarden Euro signifikant ansteigen zu lassen. Allein im letzten Jahr investierten deutsche Konzerne ca. 2,4 Milliarden Euro in Mexiko. Inzwischen seien rund 1900 deutsche Betriebe in dem Billiglohnland aktiv, die vornehmlich dort für den US-Markt produzierten, meldete das Handelsblatt.

Mexiko sei Deutschlands wichtigstes Exportland in Lateinamerika, die Bundesrepublik der mit Abstand größte mexikanische Absatzmarkt in Europa. Die deutschen Unternehmen in Mexiko empfanden die Staatsvisite Merkels als „Rückenstärkung“, da in der Branche die Soge wächst, von künftigen protektionistischen Maßnahmen der Trump-Administration getroffen zu werden. Trump will bekanntlich das nordamerikanische Freihandelsabkommen neu verhandeln.

Merkel bemühte sich in Mexiko-Stadt zudem, die intendierte Isolierung der USA bei Handelsfragen auf dem kommenden G20-Gipfel zu forcieren. Washington soll mit einer Front von Freihandelsbefürwortern konfrontiert werden, um so Trump von der einseitigen Verhängung protektionistischer Maßnahmen abzubringen.

Die Kanzlerin hat in Mexiko abermals die US-Hegemonie für beendet erklärt: „Wir leben in einer multipolaren Welt, und wir wollen in dieser Welt auch nicht nur einseitige Kontakte, sondern wir wollen vielseitige Kontakte“, sagte die Kanzlerin einer Volkswirtschaft mit einem nahezu neunprozentigen Leistungsbilanzüberschuss, die dem mexikanischen Staatschef für sein klares Bekenntnis zum Freihandel dankte:

 

Menschenrechtsverletzungen? Interessieren nicht.

Die massiven Menschenrechtsverletzungen wie der Bürgerkrieg niederer Intensität in Mexiko, dem in den letzten zehn Jahren 200.000 Menschen zum Opfer fielen, spielten bei der Staatsvisite der Bundeskanzlerin keine Rolle, bemerkte das Handelsblatt.

Eine ähnliche Linie verfolge die Bundeskanzlerin zuvor bei ihrer Visite in Argentinien. Der Kurztrip nach Lateinamerika stand ganz im Zeichen der Wirtschaft, fasste die Deutsche Welle zusammen. Es gehe der Bundeskanzlerin darum, im ehemaligen Hinterhof der USA eine Art Freihandelsfront aufzubauen, sie „suche Verbündete gegen die protektionistischen Tendenzen von US-Präsident Trump“.

Auch in Argentinien drängte Merkel darauf, ein „europäisches“ Freihandelsabkommen abzuschließen. Binnen Jahresfrist könne ein neuer Handelsvertrag mit Buenos Aires abgeschlossen werden, wenn genügend „politischer Wille“ bei umstrittenen Themen wie der Landwirtschaft vorhanden sei, hieß es aus den Reihen der hochkarätigen Wirtschaftsdelegation, die Merkel begleitete. Auch Argentinien ist auf Handelsüberschüsse angewiesen, um seine Wirtschaft stabil zu halten.

Exportorientierte Länder der Welt, vereinigt euch!

Dabei stellte Merkels Lateinamerika-Tour nur die jüngste Etappe einer regen Freihandelsdiplomatie dar, die Berlin nach der „Bierzeltrede“ der Bundeskanzlerin – in der Merkel die transatlantische Orientierung Deutscheuropas aufkündigte – entfaltete.

Schon am 1. Juni trafen sich in Berlin Merkel und Chinas Ministerpräsidenten Li Keqiang, um sich wechselseitig ihrer unverbrüchlichen Klima- und Freihandelsliebe zu versichern. Deutschland und China würden von nun an gemeinsam den „freien Welthandel nach international vereinbarten Regeln verteidigen“, meldete Zeit-Online.

Auch hierbei haben beide exportorientierten Länder eine Intensivierung der handelspolitischen Kooperation ins Auge gefasst, die mit einem ersten Investitionsschutzabkommen eingeleitet werden solle. „Wir setzen auf offene Märkte“, erklärte Merkel nach dem Treffen mit ihrem chinesischen Amtskollegen.

Zudem hoffe sie, dass nach Abschuss des Investitionsschutzabkommens auch ein deutsch-chinesischer Freihandelsvertrag auf die Tagesordnung rücken werden: „Da werden noch Kompromisse auf beiden Seiten notwendig sein“, so Merkel. Auch Li erklärte laut Zeit, dass die Zeit für ein solches Abkommen inzwischen reif sei.

Neue Absatzmärkte in Asien

Generell suche nun die Bundesregierung – in Reaktion auf den krawallhaften Protektionismus des Rechtspopulisten Trump – nun verstärkt nach neuen Absatzmärkten in Asien, meldete die Deutsche Welle. Neben China solle auch die Exportnation Japan dazu bewogen werden, die seit 2013 andauernden Freihandelsverhandlungen möglichst bald abzuschließen.

Das gegenwärtige Handelsvolumen von 125 Milliarden Euro sei ausbaufähig, da auf beiden Seiten noch Handelshemmnisse bestünden. „Wir lernen uns immer besser kennen, was ich ausdrücklich begrüße“, erklärte Merkel bei der Visite ihres japanischen Amtskollegen Shinzo Abe auf der diesjährigen Cebit, deren Partnerland diesmal Japan war. Auch Merkel und Abe haben bekräftigt, für den Freihandel „kämpfen“ zu wollen.

Nach dem Arbeitsbesuch auf der Cebit reiste Abe nach Brüssel zu Freihandelsverhandlungen, die offensichtlich nicht nach Plan verliefen und bislang keine greifbaren Ergebnisse zeitigten – vielleicht lernten die Japaner die Folgen der deutschen Beggar-thy-neighbour-Politik, etwa im Fall Griechenlands, zu gut kennen.

Im Ungefähren verblieben auch die Ergebnisse der handelspolitischen Avancen Merkels gegenüber Indien, dessen Regierungschef Narendra Modi kurz nach seinen chinesischen Amtskollegen in Berlin weilte. Allen Beteuerungen zum Trotz, die beiderseitige wirtschaftliche Kooperation mittels Milliarden-Investitionen auszuweiten sind keine konkreten Schritte zum Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen beiden Staaten vereinbart worden.

Die Verhandlungen seien schon vor sechs Jahren zum Stillstand gekommen, berichtete Politico, doch wurden diese nun aufgrund des Drucks der deutschen Wirtschaft wieder aufgenommen: „Deutsche Unternehmen sind erpicht darauf, tiefer den indischen Markt von 1,2 Milliarden Menschen anzuzapfen, doch brauchten sie stabile Rahmenbedingungen.“

Die „Internationale der Exporteure“

Merkel bemüht sich somit seit ihrer Bierzeltrede, eine breite Allianz zu schmieden, die sie gegen den Trumpschen Protektionismus in Stellung bringen will. Diese Internationale der exportorientierten Volkswirtschaften, die die neoliberale Merkel im Kampf gegen den dumpfen Rechtspopulisten Trump um sich scharen will, wird aber eine Chimäre bleiben. Das einzige gemeinsame Interesse dieser brüchigen Allianz besteht darin, den gigantischen amerikanischen Absatzmarkt nicht zu verlieren.

Doch die grundlegende sozioökonomische Ausrichtung dieser „Internationale der Exporteure“ treibt sie auch in Konflikt gegeneinander. Offensichtlich wurde dies bei dem deutsch-chinesischen Treffen Anfang Juni, als beide Seiten nicht mal dazu zu bewegen waren, Trumps propagandistische Steilvorlage zu nutzen und eine unverbindliche gemeinsame klimapolitische Erklärung zu unterschreiben. Dies scheiterte an „Differenzen in Handelsfragen“ zwischen China und der EU, wie es Spiegel-Online formulierte.

Auf gut Deutsch: Beide Seiten sind bemüht, ihre exportorientierte Wirtschaftsstruktur zu stärken, was in der gegenwärtigen systemischen Krisensituation nur vermittels der Erzielung möglichst hoher Exportüberschüsse möglich ist. Das ist natürlich nicht möglich, da die Exportüberschüsse einer Volkswirtschaft in einer endlichen Welt die Defizite anderer Volkswirtschaften darstellen müssen.

Deutschland, Japan oder China können ihre Exportüberschüsse ja schlecht auf den Mond ausführen. Immer größere Exportüberschüsse einer Volkswirtschaft bilden somit nur eine Seite der immer größeren Verschuldung einer anderen Volkswirtschaft. Deswegen bröckelt die Front gegen Trump bereits, noch ehe sie richtig geschlossen werden konnte, wie Spiegel-Online jüngst meldete. Und da nicht nur in Klimafragen.

Historisch betrachtet waren dies bislang die USA, die mittels ihres gigantischen Handelsdefizits den wichtigsten Absatzmarkt für die Überschussproduktion all der exportorientierten Volkswirtschaften darstellten, die sich nun wohl wechselseitig mit Exportüberschüssen niederkonkurrieren sollen. Möglich war die Verschuldungsorgie der USA nur deswegen, weil sie mit dem US-Dollar über die Weltleitwährung verfügen.

Und, nebenbei bemerkt, bildete diese Verschuldungsdynamik auch das ökonomische Fundament der US-Hegemonie in den vergangenen drei neoliberalen Dekaden, die trotz zunehmender Krisentendenzen noch mühsam aufrechterhalten werden konnte. Solange etwa China und auch die Bundesrepublik extreme Handelsüberschüsse gegenüber den USA erzielen konnten, haben sie auch deren Hegemonie akzeptiert