Afrika-EU: Um jeden Preis

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Die Afrikapolitik der G20 Staaten schafft Fluchtursachen, Armut und Hunger. Würde das Entwicklungs-hilfeministerium seinen „Marshallplan mit Afrika“ ernst nehmen, wäre damit die gesamte Wirtschafts- und Finanzpolitik der eigenen Regierung in Frage gestellt.

Von Anne Jung, medico international

 

Bild: Conviencefood als Symbol für das Versprechen einer geträumten Moderne, die am elenden Alltag dann doch nichts ändert und dafür auch noch krank macht. (Foto: medico international)

Die Nestlé Babybreipackung mit dem leicht angestaubten blauen Teddy vorne drauf hofft in dem kleinen Supermarkt am Rande einer informellen Siedlung in Kenias Hauptstadt Nairobi auf Kundschaft. »Keine Packung habe ich von dem Mist verkauft«, beschwert sich der Ladenbetreiber.

Zugegeben, bis hierhin keine besonders interessante Geschichte. Vielleicht wecke ich noch Ihr Leseinteresse, wenn ich hinzufüge, dass sich an dieser Momentaufnahme aus dem Frühjahr 2017 die ganze Scheinheiligkeit der »Afrikapolitik« der mächtigsten Industrienationen der Welt zeigen lässt.

Diese laden geschichtsträchtig in Berlin zur G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz. Doch es saßen diese Woche keine Partner am Tisch, vielmehr baten die G20 eine afrikanische Koalition der Willigen an den Verhandlungstisch. Jene Länder, die bereit sind für ein paar Brosamen ihre Märkte zu öffnen. Das  „Abkommen für Afrika“ (Compact with Africa) will weitere private Investoren für Afrika begeistern.

Nestlé ist bereits begeistert. Deren Produkte und die der anderen Lebensmittelmultis überschwemmen den kenianischen Markt und die weiterer afrikanischer Länder. Mit großem Gewinn verkaufen sie ihre Produkte in Minigrößen – popularly positioned products nennen das die Unternehmen – und bieten dabei überwiegend Fertigprodukte mit zuviel Salz, Zucker und Geschmacksverstärkern an: Conveniencefood als Symbol für das Versprechen einer geträumten Moderne, die am elenden Alltag dann doch nichts ändert und dafür auch noch krank macht. In Kenia, das derzeit von einer dramatischen Hungersnot heimgesucht wird, sind aufgrund von Fehl- und Mangelernährung 25 Prozent der Bevölkerung übergewichtig. Zu den tödlichen Begleiterscheinungen gehören unter anderem Diabetes und Herzkreislauferkrankungen.

Das von der Politik geschaffene Geschäftsmodell von Nestlé und Co. funktioniert nach dem bewährten Prinzip die Gewinne dadurch zu steigern, dass die Risiken auf die meist armen Weiterverkäuferinnen abgewälzt werden. Nach dem Tupperwarenprinzip müssen die Händler, wie der Ladenbetreiber in Nairobi oder Frauen aus den Slumgebieten, die Ware erst kaufen, um sie dann im privaten Umfeld weiterzuverkaufen. Die Folge: Lokale Händler*innen gehen Pleite, das Angebot von gesunden lokalen Produkten geht zurück und wenn die Ware sich aus welchen Gründen auch immer mal nicht verkauft, dann ist das nicht das Problem von Nestlé.

Der „Compact with Africa“ zementiert die Rolle des afrikanischen Kontinents als Rohstofflieferant, der zudem die Ware Arbeitskraft billig zur Verfügung stellt und den Markt mit überteuerten und minderwertigen Waren überschwemmt. Weiter und weiter befreien sich die G20 Staaten von überflüssigem Ballast wie der Wahrung von Menschenrechten, Arbeits- und Sozialstandards, Steuerzahlungen ihrer Großkonzerne oder rechtlich vorgeschriebenen Reinvestitionen. Auch wenn es inzwischen einige Handelsversträge gibt, die Menschenrechtsklauseln enthalten, haben diese niemals Vorrang vor den Handelsinteressen der Industriestaaten, sagt der Handelsexperte Thomas Fritz.

Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) kürzlich den »Marshallplan mit Afrika« vorgelegt hat. Ich will niemanden mit den Details immer weiterer Konzeptpapiere langweilen, aber es lohnt sich diesen Plan mit dem völlig unpassenden Titel mit der Handelspolitik der G20 in Verbindung zu bringen. Das BMZ räumt ein, dass „Europa über Jahrzehnte seine Afrikapolitik häufig an kurzfristigen Wirtschafts- und Handelsinteressen ausgerichtet“ hat. Auch die Forderungen nach fairem Handel oder dem Stopp illegaler Finanzströme und aggressiver Steuervermeidung könnten aus der Feder sozialer Bewegungen aus afrikanischen Ländern oder progressiven Nichtregierungsorganisationen stammen.

Der Plan sei ein „Angebot an Afrika“. Das sagte Stefan Oswald vom BMZ letzte Woche bei einer Handelstagung, u.a. organisiert von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika und löste damit viel Kritik aus.

Aber stellen wir uns einfach mal vor, wir nähmen die Regierungsvertreter beim Wort und das Angebot des BMZ an. Großprojekte, die kleinbäuerliche und handwerkliche Arbeit an den Rand drängen, wären vom Tisch. Umweltzerstörende Intensivlandwirtschaft, die zu Landraub führt? Passé. Freihandelsabkommen wie die EPA, die Economic Partnership Agreements? Aufgekündigt.

Herrlich, dabei zuzuschauen, wie das BMZ die gesamte Wirtschafts- und Finanzpolitik ihrer eigenen Regierung zurückweisen würde, um ihren Plan mit Afrika umzusetzen. Wir hätten viele Gründe weniger, beim G20-Gipfel auf die Straße zu gehen, um gegen die Handelspolitik der G20 Staaten zu demonstrieren, die Millionen Menschen in Armut stürzt, ihnen ihre Ackerflächen und Rohstoffe raubt, sie förmlich zur Flucht zwingt, um sie dann im Mittelmeer ertrinken zu lassen.

So wird es nicht kommen. Und der Plan des BMZ bleibt vor allem eines: Eine Besänftigungsstrategie für eine Politik, deren tödliche Folgen sich nicht mehr kaschieren lassen. Die politische Praxis der G20 und damit auch der Bundesregierung zu Afrika erinnert mehr an den Morgenthauplan von 1944, der vorsah Deutschland sicherheitshalber komplett zu deindustrialisieren, als dem dann umgesetzten Marshallplan, mit dem die USA nach dem 2. Weltkrieg Westeuropa aufbauten. Die damals bereitgestellte Summe entspräche heute übrigens 115 Milliarden Euro.

Den Nestlébrei muss der Händler in Nairobi bald in den Müll schmeißen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist abgelaufen.

Wir sehen uns in Hamburg.