Manchmal steht man morgens auf und fühlt sich von den Nachrichten spontan in die Vergangenheit versetzt. Denn da taucht plötzlich eine Idee auf, die man längst begraben wähnte, und das aus vielen guten Gründen. „Bundeskanzlerin Angela Merkel will neuen Anlauf für TTIP“ gehört in diese Kategorie. TTIP, das zur Erinnerung, ist das europäisch-amerikanische Handelsabkommen, bei dem unter US-Präsident Barak Obama nichts voranging – weil sich die Verhandler nicht einigen konnten. Weil Hunderttausende dagegen auf die Straße gingen. Und vor allem, weil sich während der Verhandlungen zeigte, wie viel die USA und Europa doch trennt. Bei der Definition von fairem Handel, beim Schutz der Umwelt, der Verbraucher, der Bürger.
Trotzdem hat Angela Merkel nun auf dem CDU-Wirtschaftstag verkündet, dass sie das Projekt immer noch will, auch mit Präsident Donald Trump. Nur warum und warum jetzt? Tatsächlich kommt der Wunsch aus den USA, bei der CDU warb der Handelsminister Wilbur Ross dafür. Das klingt zwar bizarr, hat doch die US-Regierung gerade erst europäische Stahlimporte mit Strafzöllen belegt und der Senat Sanktionen gegen europäische Firmen gefordert. Man fragt sich also schon, warum ausgerechnet mit so jemandem eine Freihandelszone funktionieren soll. Trotzdem kommt die Idee Merkel nicht ungelegen. Auch auf dem anstehenden G20-Gipfel in Hamburg dürfte sie sich dafür einsetzen, wie ihrer Regierungserklärung dazu an diesem Donnerstag zu entnehmen war: Es brauche offene Märkte, sagte sie. Das sei für Europa wichtig – denn der Welthandel sorge auch für Wohlstand.
Mit einer Wiederbelebung von TTIP kann Merkel ihren Noch-Koalitionspartner und zugleich Wahlkampfgegner SPD ganz wunderbar quälen. Die Sozialdemokraten streiten nämlich immer noch darüber, wie man TTIP und andere Abkommen so gestalten kann, dass sie nicht vor allem den Konzernen nutzen, sondern auch den Menschen und der Umwelt. Ganz anders als CDU und FDP, sie finden Freihandel einfach gut. Was zum zweiten Motiv von Merkel führt: TTIP reloaded wäre ein Projekt, auf das sich eine neue schwarz-gelbe Regierungskoalition wunderbar schnell einigen könnte. Und da die Umfragen einen Wahlsieg von FDP und CDU immer wahrscheinlicher machen, hat Merkel vielleicht einfach mal öffentlich über die ersten Projekte der nächsten Regierung nachgedacht. Schon weil sie so später jeden Protest mit dem Hinweis ignorieren kann: Ihr habt mich schließlich auch dafür gewählt.
Soziale und ökologische Folgen? Egal
Dabei ist TTIP leider nicht der einzige Wiedergänger. Auch die ganze vulgär-ökonomische Weltanschauung, die hinter dem Projekt steckt, hat offensichtlich ihre Kraft noch nicht verloren, jedenfalls nicht in den entscheidenden Kreisen. Das zeigt sich ganz deutlich bei Jefta, dem Abkommen, das die EU-Kommission in dieser Woche mit den Japanern final verhandelt. Auch das ist getragen von der Überzeugung, dass Wachstum und eine Steigerung von Importen und Exporten immer gut ist, und dass man die sozialen und ökologischen Folgen am besten ignoriert.
Auch bei Jefta haben all die Argumente der Verbraucherverbände, Gewerkschaften und Umweltschützer offenbar kaum gewirkt: Weil auch dieser Vertrag den Verbraucherschutz einschränken, der Umwelt schaden und die umstrittenen Schiedsgerichte einführen wird. Und auch dieses Abkommen hat die Kommission trotz der Kritik vieler Demokraten weitgehend hinter verschlossenen Türen verhandelt.
Das alles lehrt zweierlei: Ganz offensichtlich glauben sowohl Angela Merkel als auch die EU-Kommission, dass sie nun, nachdem die große TTIP-Protestwelle abgeebbt ist, einfach so weitermachen können wie zuvor. Dass die Leute einfach des Themas überdrüssig werden und Trump mit seinen irren Ideen über fairen Handel viel der Kritik an Freihandelsverträgen neutralisiert hat. Und dass deswegen alle, die für offene, liberale Demokratien sind, neu nachgedacht haben und lieber auch für Freihandel sind.
Doch das ist ein großer Irrtum. Wer für eine offene Gesellschaft kämpft, die die Natur nicht völlig zugrunde richtet, Verbraucher und Arbeitnehmer schützt, die Bürger an politischen Prozessen beteiligt und so ihr Wissen nutzt, will das auch in der europäischen Handelspolitik verwirklicht sehen. Er will, dass die EU-Kommission aus ihren Fehlern lernt und wenigstens einen Teil der Kritik aufnimmt. Jetzt, wo sie quasi einer der letzten Orte ist, der für die Idee des Westens steht, umso mehr.
Sie könnte all das tun. In der Handelspolitik tut sie es immer noch nicht.