Ecuador beendet Investitionsabkommen

serveimage

Mitte Mai kündigte Ecuador alle seine bilateralen Investitionsabkommen (Bilateral investment treaty, BIT) gekündigt. Warum? Das erklärt Cecilia Olivet aus Uruguay, Forscherin beim Transnational Institute und Vorsitzende der ecuadorianischen Bürgerkommission, in einem Interview mit dem Lateinamerika-Nachrichtenportal Amerika21.

Wie ist Ecuadors Kommission zur Prüfung der Investitionsabkommen (Caitisa) zustande gekommen?

Am 5. Oktober 2012 verurteilte ein Investitionsschiedsgericht die Regierung Ecuadors, dem US-Ölkonzern Occidental 2,3 Milliarden Dollar zu zahlen. Das war die bis dahin größte Summe, zu der ein Staat von einem Gericht eines Investor-Staates verurteilt wurde. Für Ecuador waren das 59 Prozent seines Bildungsbudgets für 2012 und 135 Prozent seines jährlichen Gesundheitsbudgets.

Diese Entscheidung dreier privater Juristen unter der Regie eines Schiedsverfahrens der Weltbank schockierte die Welt und Ecuadors Regierung. Die Handlung der Regierung, die zu Occidentals Klage geführt hatte, war in keiner Weise extrem. Ecuador hatte Occidentals Konzession beendet, als herauskam, dass die Firma 40 Prozent ihrer Produktionsrechte ohne Zustimmung der Regierung an eine anderen Investor weiterverkauft hatte. Im Abkommen zwischen Occidental und Regierung von 1999 ist ausdrücklich festgehalten, dass der Verkauf von Produktionsrechten seitens Occidental ohne Vorab-Zustimmung der Regierung den Vertrag beendet. Die Schiedsrichter in diesem Fall rechtfertigten ihre Entscheidung damit, dass die Beendigung des Kontrakts durch Ecuador eine unverhältnismäßige Antwort gewesen sei.

Sieben Monate später, am 6. Mai 2013, rief Präsident Rafael Correa die Untersuchungskommission für Investitionsabkommen (Caitisa) ins Leben. Zweck war die umfassende Überprüfung des gesamten Regelwerkes für in Investitionen im Land. Die Kommission sollte die Legalität und Legitimität aller bilateralen Investitionsschutzabkommen untersuchen, ferner die gegen das Land angestrengten Investitions-Rechtsfälle. Von der Kommission erhoffte man sich auch eine Einschätzung, ob die BIT tatsächlich zu ausländischen Direktinvestitionen geführt hatten und/oder zu deren besserer Qualität hinsichtlich der nationalen Entwicklung. Schließlich sollte die Kommission juristische und politische Alternativen zu den BIT und zum System der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit vorschlagen.

Die Einrichtung der Kommission war nicht nur eine Reaktion auf die Entscheidung des Gerichts im Falle Occidental. Investoren hatten bis dahin in nicht weniger als 24 Fällen die Regierung auf Basis von Investitionsabkommen verklagt. Die Regierung sah also die Notwendigkeit, Kosten und Nutzen der 26 internationalen Verträge abzuwägen, die sie geerbt hatte, als Präsident Correa ins Amt kam.

Wie bekamen Sie mit der Sache zu tun?

Einige Monate vor Einsetzung der Kommission war ich Co-Autorin eines Berichts über die Rolle von Schiedsrichtern und Anwaltskanzleien als treibende Kräfte beim Investitions-Schiedsgerichts-Boom. Dieser Bericht hatte einige grundlegende Mängel des Schiedsgerichts-Systems offen gelegt. Regierungsvertreter in Ecuador, die diesen Bericht lasen, baten mich, mich an der Kommission zu beteiligen.

Was ist das Besondere an dieser Kommission?

Diese Kommission setzt ein entscheidendes Zeichen. Sie trägt zur internationalen Debatte über den Bewertung der Notendigkeit und der Folgen der internationalen Investitionspolitik auf die Entwicklung der Länder Globalen Südens bei. Die Kommission leistete auch einen Beitrag zu einer öffentlichen Diskussion über die Legitimität und den ‚Nutzen‘ der aktuellen Rahmenabkommen zum Investitionsschutz.

Die Kommission ist in zweierlei Hinsicht einzigartig. Erstens: Es ist das erste Mal, dass eine Regierung sich zu einer Überprüfung ihres Investitionsschutz-Programms in Form einer Bürgerkommission entschloss. Dies war inspiriert durch die Erfahrungen mit der ecuadorianischen Schuldenkommission. Caitisa setzt sich zusammen aus Investment-Anwälten, Vertretern der Zivilgesellschaft und der Regierung. Die Mehrzahl der Mitglieder (acht von zwölf) gehört nicht zur Regierung, und die meisten sind nicht aus Ecuador. Die Teilnahme von Experten, die nicht der Regierung angehören und von Vertretern der Zivilgesellschaft stellt eine größere Transparenz und breitere öffentliche Teilnahme sicher. Die Untersuchungen wurden außerdem von einer großen Gruppe anderer Experten unterstützt ‒ einschließlich einer Gruppe lateinamerikanischer Sozialaktivisten mit Focus auf Investitionsschutz ‒ , die den inhaltlichen Rahmen mitentwickelten und auch an der Überprüfung selbst teilnahmen.

Zweitens hatte die Untersuchung einen umfassenden Ansatz. Andere Überprüfungen waren inhaltlich enger gefasst. Das Mandat von Caitisa betraf nicht nur Ecuadors bilaterale Investitionsabkommen (die Umstände des Zustandekommens und Einzelheiten der Abkommen und die Vereinbarkeit der BIT mit nationalem und internationalem Recht), sondern auch das System der Investitions-Schiedsgerichtsbarkeit und die gegen Ecuador vorgebrachten Rechtsfälle (wie die BIT von ausländischen Investoren genutzt wurden, die Rolle der Schiedsrichter bei den Fällen, die Ecuador betrafen sowie die entstandenen Kosten), und schließlich die Abhängigkeiten zwischen bilateralen Investitionsabkommen, ausländischen Investitionen und Ecuadors eigenem Entwicklungsplan (mit Blick auf das Verhältnis zwischen unterzeichneten BIT und davon angezogenen ausländischen Direktinvestition).

Was waren die Hauptergebnisse der Untersuchungen?

Die Ergebnisse der Kommission zur Prüfung von Ecuadors Investitions-Regelwerk waren eindeutig: Die BIT brachten dem Land keinerlei Vorteile, nur Risiken und Kosten.

Insbesondere stellte die Kommission fest, dass die von Ecuador unterschriebenen bilateralen Investitionsabkommen bei der Förderung der versprochenen Investitionen versagten. Ecuadors BIT widersprechen zudem den Entwicklungszielen, die in der Verfassung und im Nationalen Plan für gutes Leben (Buen Vivir) angelegt sind, und unterminieren sie. Es wurde auch aufgezeigt, dass die Unternehmen, die vor internationalen Investitionsgerichten gegen die Regierung klagten, erhebliche soziale Schulden und Belastungen der Umwelt zurück ließen.

Investoren hatten unverhältnismäßig großen Nutzen von ihren BIT-basierten Klagen gegen Ecuador. Die finanziellen Kosten für Ecuador waren gewaltig. Der Gesamtbetrag beläuft sich bislang auf 1.498 Milliarden Dollar, was 62 Prozent der Gesundheitsausgaben entspricht. Ferner hat die Regierung für ihre Verteidigung 156 Millionen Dollar an internationale Anwaltsfirmen bezahlt.

Wie die Kommission feststellte, machten die Regierungsvertreter, die Ecuadors BIT unterschrieben, keinerlei Versuch, Bedingungen auszuhandeln, die die Kontrollfunktion des Staates bewahrt hätten. Bei keinem der von Ecuador unterschriebenen BIT gab es einen Verhandlungsprozess. Die Gesetzgeber, die diesen Verträgen zustimmten, kümmerten sich auch nicht um die Risiken für das Land. Der Kongress verabschiedete die meisten Verträge ohne Debatte.

Schließlich kam die Kommission auch zu dem Schluss, dass die meisten der mit den Rechtsfällen gegen Ecuador befassten Schiedsrichter nicht als streng unvoreingenommen angesehen werden können.

Was hat Sie an den Erfahrungen Ecuadors mit dem System der Investor-Staat-Streitbeilegung und den Investitionsschutzabkommen am meisten schockiert oder überrascht?

Nachdem unsere Untersuchung fertig und alle Ergebnisse zusammengefügt waren, war es schockierend zu sehen, wie Regierungsvertreter derart machtvolle Instrumente ohne Blick auf die Risiken bedenkenlos unterschrieben haben. Es war bestürzend zu sehen, wie Investoren Streitfall um Streitfall gegen rechtmäßige Akte der Regierung vorbringen konnten und wie Schiedsgerichte auf der Seite der Investoren die Klauseln dieser unausgewogenen Abkommen investorenfreundlich interpretierten. Dieses ganze manipulierte System in Aktion zu erleben, war erschreckend.

Was glauben Sie, warum so viele Länder wie Ecuador solche BIT unterschrieben haben?

Die meisten Länder unterschrieben diese Abkommen in den 1990er Jahren, als es wenig Bewusstsein über die damit verbundenen Risiken gab. Von der sogenannten Internationalen Gemeinschaft bekamen alle Regierungen damals zu hören, wie wichtig Investorenschutz für die Entwicklung sei. Internationale Organisationen, Regierungen Kapital exportierender Länder und Akademiker setzten die Vorstellung durch, BIT seien der einzige Weg, um ausländische Investitionen anzulocken, und dies sei notwendige Bedingung für jede Entwicklung. In einem abgestimmten Vorgehen ermutigten Organisationen wie WTO, Unctad , OECD,Weltbank und andere die Regierungen des Globalen Südens, so viele Investitionsabkommen abzuschließen wie möglich.

In seiner Doktorarbeit „Sacrificing sovereignty by chance“ (Die Souveränität versehentlich opfern) erklärte Lauge Poulsen die Sache vielleicht besser als irgendjemand sonst: „Durch Überschätzung der Vorteile der BIT und indem sie alle Risiken ignorierten, sahen die Regierungen der Entwicklungsländer die Abkommen oftmals nur als ‚Gesten des Guten Willens‘. Viele opferten damit ihre Souveränität mehr aus Versehen als mit Absicht. Und üblicherweise merkten die Regierungsvertreter erst als sie mit den ersten Forderungen konfrontiert waren, dass die Abkommen nicht nur im Prinzip, sondern auch in der Realität einklagbar waren.“

Was sind die Hauptvorschläge von Caitisa?

Die Kommission machte elf Seiten detaillierter Vorschläge. Der wichtigste war eindeutig der zur Beendigung aller bilateralen Investitionsabkommen.

Wir gaben außerdem die Empfehlung, die Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) aus allen künftigen Verträgen auszuschließen und stattdessen für rechtlichen Schutz der Investoren durch die nationale Rechtsprechung und Gerichtsbarkeit zu sorgen.

Die Kommission gab der Regierung ferner den Rat, nur solche Investitionsabkommen abzuschließen, die auf einem alternativen Investitionsmodell basieren. Dieses neue Modell würde die Rechte der Investoren stark einschränken. Die Rechte der Regierung auf Regulierung und Steuerung der Investitionen würden geschützt. Verhaltensstandards würden vorgegeben und dem Investor rechtsverbindliche Auflagen gemacht um sicherzustellen, dass er die nationalen und internationalen Menschenrechtsnormen sowie soziale und Umweltrechte respektiert.

Wie sah die Antwort der ecuadorianischen Regierung auf Ihre Vorschläge aus?

Die Empfehlungen der Kommission waren nicht bindend. Aber am 16. Mai, neun Tage, nachdem Caitisa ihren Abschlussbericht öffentlich vorgestellt hatte, kündigte die Regierung an, dass sie die 16 noch bestehenden Investionsschutzabkommen beenden wird.

Die Regierung gab zudem bekannt, dass sie die Investitionsabkommen mit den verschiedenen Ländern auf anderer Grundlage neu verhandeln wird. Caitisa machte einige sehr detaillierte Vorschläge, wie solche Verträge in Zukunft aussehen sollen. Ecuadors neues BIT-Modell wurde noch nicht veröffentlicht, daher wissen wir nicht, ob unseren Vorschlägen entsprochen wurde. Wir hoffen aber auf ein Vertragsmodell für Investitionen in Ecuador, das den Investitionsschutz einschränkt und die Kompetenzen der Regierung erweitert, Investitionen zu regulieren und zu steuern, insbesondere was die Verpflichtungen der Investoren zum Schutz öffentlicher Interessen betrifft.

Wie haben die Investoren und die Regierungen, die BIT mit Ecuador abgeschlossen haben, reagiert?

Ähnlich wie in den Fällen, als Südafrika, Indonesien oder Indien ihre Investitionsabkommen gekündigt hatten, war die Europäische Kommission schnell mit ‚Warnungen‚ an Ecuador (wie zuvor an die anderen Länder) zur Stelle, dies würde europäische Investitionen gefährden. Diese Art Einschüchterung zielt darauf, Regierungen von der endgültigen Beendigung der Verträge abzuhalten. In der Vergangenheit hat das nicht funktioniert, und im Falle Ecuadors funktioniert es ebenfalls nicht.

Was antworten Sie auf Argumente, ausländische Investitionen würden entmutigt?

Genauso wie es ein Mythos war, man müsse Investitionsabkommen abschließen, um für ausländische Investitionen attraktiv zu sein, ist die Vorstellung substanzlos, Investoren würden verschwinden, wenn Länder solche Verträge aufkündigen.

Ausländische Investoren bleiben solange im Land, wie sie Profit machen können, selbst wenn die Regierung Investitionsschutzabkommen gekündigt hat. Für Länder wie Südafrika, Indonesien, Bolivien, Ecuador und Venezuela, die viele ihrer BIT beendeten, gab es bislang keinen Massen-Exodus ausländischer Investoren, wie von Politikern und Investment-Anwälten vorausgesagt.

So kamen zum Beispiel ein Jahr nach Beendigung des Deutschland-Südafrika-BIT im Jahr 2013 Untersuchungen der deutschen KfW-Entwicklungsbank zu dem Schluß, Südafrika sei immer noch ein bevorzugtes Ziel deutscher Direktinvestitionen, allein im letzten Quartal 2014 flossen über 600 Millionen Euro in das Land. Ähnlich war es, als die Regierung von Indonesien im März 2014 17 ihrer 64 Investitionsverträge abgebrochen hatte, darunter Abkommen mit den Niederlanden, Italien, Frankreich, Spanien und China. 2014 war für Indonesien mit 78,8 Milliarden Dollar das Rekordjahr für ausländische Direktinvestitionen gemäß aktueller Daten des ‚Indonesian Investment Coordinating Board‘. Hollands Direktinvestitionen in Indonesien wuchsen 2015 um 19,2 Prozent gegenüber 2014, und die Niederlande blieben als Investor unverändert an vierter Stelle.

Was sind denn Alternativen zu Investor-Staat Streitschlichtung?

Investoren haben vielfältige Möglichkeiten, ihre Investitionen zu schützen. Aber nur die Investitions-Schiedsgerichtsbarkeit gibt ihnen die Möglichkeit, Regierungsmaßnahmen des öffentlichen Interesses anzufechten.

Außer Schiedsgerichtsbarkeit gibt es ein breites Spektrum an Optionen für ausländische Investoren, wenn sie sich von Staaten willkürlich behandelt und diskriminiert sehen.

Zuallererst sind ausländische Unternehmen gehalten, Kompensation für Fehlverhalten bei der nationalen Gerichtsbarkeit zu ersuchen, genauso wie nationale Firmen und Bürger der Länder, in denen sie operieren, es auch tun. Der Gebrauch nationaler Rechtsmittel sollte die Regel sein. Der Mangel an Unabhängigkeit der Justiz in einigen Ländern kann keine Entschuldigung für weltweite Investor-Schiedsgerichtsbarkeit sein. Man muss festhalten, dass die allermeisten Verfahren der Investor-Staat Streitschlichtung gegen demokratische Länder mit stark entwickelter Rechtsstaatlichkeit eingebracht werden.

Investoren, die weitere ‚Sicherheit‘ wollen, können auf Privatversicherungen für politische Risiken zurückgreifen, etwa von der ‚Multilateral Investment Guarantee Agency‘ der Weltbank oder auf Versicherungen, die das Heimatland des Investors anbietet.

Schließlich kann für den Fall, dass keine dieser Absicherungen dem Investor gut genug ist, in besonderen Fällen immer eine Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit ausgehandelt werden. Aber dann kann die Regierung abwägen, ob sie diese Möglichkeit für eine spezielle Investition für gerechtfertigt hält, im Gegensatz zu einem Blankoscheck für alle Investoren eines bestimmten Landes.

Welche Empfehlungen geben Sie anderen Regierungen?

Zwanzig Jahre nach Unterzeichnung der meisten dieser Abkommen wäre es ratsam, dass Regierungen überall eine Begutachtung oder Überprüfung aller bestehenden Verträge vornehmen. Es ist für Regierungen auch dringend nötig, eine Kosten-Nutzen-Analyse zu machen, bevor sie neue Verträge unterschreiben.

Eine sinnvolle Begutachtung sollte beinhalten: Eine Analyse des wirtschaftliche Nutzens um abzuschätzen, ob ein Investitionsabkommen zu einer Erhöhung ausländischer Investitionen beitrug; eine Einschätzung der finanziellen Belastung der Regierung durch Investor-Staat Streitfälle; und eine Analyse der politischen Kosten, um die Einschränkungen der Regierung bei der Regulierung im öffentlichen Interesse zu beurteilen, ohne das Risiko, verklagt zu werden.

Der größte Nutzen eines solchen Prüfverfahrens besteht darin, dass die Regierung eine faktenbasierte und gut informierte Entscheidung treffen kann, wie mit ihren bestehenden Investitionsschutzabkommen und den zukünftigen Verhandlungen mit Investoren zu verfahren ist.