CETA: Öffentliche Dienstleistungen in Gefahr

serveimage

Nicht nur das geplante EU-Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen (TiSA) sieht eine Deregulierung und Privatisierung der öffentlichen Einrichtungen und des Service public vor. Sondern auch CETA. Ein Beitrag von Roeline Knottnerus vom Transnational Institute, mit Scott Sinclair, Canadian Centre for Policy Alternatives, erschienen in der Studie CETA lesen und verstehen.

Öffentliche Versorgungsleistungen und Dienstleistungen wie etwa die Gesundheitsversorgung, Bildung, Sozialleistungen, das öffentliche Transportwesen, Wasser- und Abwasserversorgung, Wohnungsbau und Kulturdienstleistungen sind sowohl für das Gemeinwohl, als auch für die wirtschaftliche Entwicklung von zentraler Bedeutung. Sie spielen für den sozialen Ausgleich und demokratischen Gestaltungsspielraum in unseren Gesellschaften eine wichtige Rolle.1 Im Rahmen weitreichender Handels- und Investitionsabkommen werden Dienstleistungen aber als bereits bestehende oder noch zu erschließende Märkte betrachtet, die kommerzialisiert werden können.

CETA geht im Gegensatz zu vorangegangenen Handelsabkommen diesbezüglich sogar noch weiter. Es stellt das bisher weitreichendste von der EU verhandelte Abkommen dar, mit dem der Handlungsspielraum von Regierungen zur Bereitstellung, Ausweitung, Wiederherstellung und Regulierung öffentlicher Dienstleistungen eingeschränkt wird. CETA bietet zudem kanadischen und europäischen Dienstleistern umfassende zusätzliche Möglichkeiten im Bereich des Marktzugangs, beim Schutz ihrer Investitionen und hinsichtlich der Durchsetzbarkeit ihrer Rechte. In CETA sind Dienstleistungen durch Verpflichtungen in den Kapiteln grenzüberschreitender Handel mit Dienstleistungen, öffentliches Vergabewesen und Investitionen betroffen; ferner auch durch kapitelübergreifende Regeln zu Marktzugang, Nichtdiskriminierung (Inländerbehandlung, Meistbegünstigung) und Investorenschutz (in besonderem Maße durch die umstrittenen und hochproblematischen Klausel zur „fairen und gerechten Behandlung“ und indirekte Enteignung).2

Die Europäische Kommission behauptet, dass öffentliche Dienstleistungen – wie in allen Handelsabkommen der EU – in CETA in vollem Umfang geschützt seien. Begründet wird dies damit, dass Investoren und Dienstleister einer Vertragspartei alle maßgeblichen Vorschriften, die auf dem Gebiet der anderen Vertragspartei gelten, respektieren müssen. Allerdings ist mit CETA nicht gewährleistet, dass die Vertragsparteien ihre Entscheidungsfreiheit darüber behalten, wie sie öffentliche Dienstleistungen bereitstellen und regulieren wollen. CETA reduziert den politischen Gestaltungsspielraum zugunsten des Marktzugangs sowie des Schutzes ausländischer Investoren und Dienstleister. Das Abkommen schränkt den Spielraum von Regierungen weitreichend ein, öffentliche Dienstleistungen auf lokaler, kommunaler, nationaler und regionaler Ebene gemeinwohlorientiert bereitzustellen und zu regulieren.

3-welt

Im Gegensatz zu den Behauptungen der Kommission sind nur Dienstleistungen, die „in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden“, das heißt solche, die „weder auf kommerzieller Basis noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistern erbracht werden“ vollständig aus dem Vertrag ausgenommen. Es gibt allerdings nur sehr wenige öffentliche Dienstleistungsbereiche, in denen keine Konkurrenz zwischen Anbietern besteht. Außerdem sind die Begriffe „Wettbewerb“ und „gewerbsmäßig“ nicht gesetzlich definiert.

Somit kann jede Serviceleistung, die in irgendeiner Form vergütet wird oder die von mehr als einem Dienstleister bereitgestellt wird, als auf gewerblicher Basis erbrachte Leistung und/oder als eine im Wettbewerb erbrachte Dienstleistung betrachtet werden.3

„Liste sie – oder verliere sie!“

Das Fehlen einer umfassenden Ausnahme öffentlicher Dienstleistungen aus CETA zwingt Regierungen, die ihren Gestaltungsspielraum erhalten wollen, sich auf sogenannte „Vorbehalte“ zu verlassen, also auf Länder- oder vertragsparteispezifische Ausnahmeregelungen.

Vorangegangene Handelsabkommen der EU ermöglichten dies durch den sogenannten „Positivlistenansatz“. Demnach konnten Regierungen spezifische Sektoren (oder Dienstleistungen) anführen, welche unter die Dienstleistungs- und Investitionsverpflichtungen des jeweiligen Vertrages fallen sollten. Und sie konnten festlegen, unter welchen Bedingungen dies geschehen sollte.

In CETA verwenden die EU und ihre Mitgliedsstaaten erstmalig den sogenannten „Negativlistenansatz“. Demnach sind alle Sektoren und Maßnahmen in Bezug auf den Handel und Investitionen im Dienstleistungsbereich automatisch vom Vertrag erfasst, es sei denn die Regierungen listen vorab ausdrücklich Vorbehalte auf, die in den beiden Anhängen des Abkommens festgehalten sind (Anhang I und Anhang II). Diese grundsätzliche Änderung in der Vorgehensweise ist ein großer Erfolg für die Unternehmenslobbys beiderseits des Atlantiks, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die größtmögliche Erfassung und damit maximale Liberalisierung von Dienstleistungen sicherzustellen.

Anhang I-Vorbehalte nehmen bestehende staatliche Maßnahmen aus, die ansonsten gegen CETA verstoßen würden. Regierungen können Maßnahmen später nur ändern und/oder die Regulierung von Sektoren ergänzen, sofern damit die Konformität der Maßnahmen mit CETA nicht weiter eingeschränkt wird. Diese Ausnahmeregelungen oder Vorbehalte unterliegen der sogenannten „Ratchet-“ oder „Sperrklinken“-Klausel: Das bedeutet, dass eine Änderung oder ein Verzicht auf eine in Anhang I ausgenommene staatliche Maßnahme später nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ausnahmen in Anhang I können bestehende Regelungen auf EU-Ebene sowie auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene umfassen. Für die in Anhang I aufgeführten Dienstleistungen ist jedoch eine Renationalisierung oder Rekommunalisierung nicht möglich. So ist zum Beispiel die EU-Ausnahme für Postdienste inAnhangI sehr eng gefasst, was faktisch bedeutet, dass das momentane Niveau der Privatisierung und Liberalisierung der Postdienste in Europa mit CETA unumkehrbar festgeschrieben würde.4

Demo gegen die Wasserprivatisierung in Griechenland
Demo gegen die Wasserprivatisierung in Griechenland

Anhang II zielt darauf ab, Regierungen ein flexibles Vorgehen zu ermöglichen, welches andernfalls unvereinbar mit den CETA-Regelungen zu Marktzugang, Inländerbehandlung, Meistbegünstigung wäre, zum Verbot von Leistungsanforderungen oder zur Zusammensetzung des höheren Managements und von Leitungs- und Kontrollorganen.

Allerdings sind viele wichtige europäische Vorbehalte in Anhang II hinsichtlich öffentlicher Dienstleistungen mehrdeutig formuliert. So wird beispielsweise Bezug genommen auf „Dienstleistungen, die staatlich finanziert werden oder eine wie immer geartete staatliche Unterstützung erhalten und daher nicht als privat finanziert betrachtet werden“.5 Eine solch unpräzise Formulierung schafft Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Umfangs der Ausnahmeregelungen und macht die Vertragsparteien für Investorenklagen angreifbar. Bei solchen Investor-Staat-Klageverfahren entscheiden letztendlich die SchiedsrichterInnen darüber, ob die angefochtene Maßnahme mit dem CETA-Vertrag vereinbar ist oder nicht.

Andere Ausnahmeregelungen in Anhang II bieten nur teilweise oder unvollständigen Schutz. Dienstleistungen, die das Trinkwasser betreffen, sind durch die EU-Vorbehalte in Anhang II von der Inländerbehandlung und den Regelungen zum Marktzugang ausgeschlossen. Ab- wasserdienstleistungen sind jedoch nicht geschützt.6 Darüber hinaus gelten die in CETA enthaltenen Investitionsschutzbestimmungen für den gesamten Bereich der Wasserversorgung.

Der Vorbehalt der EU in Anhang II zum Marktzugang für Investitionen, der sich auf alle Sektoren bezieht, ermöglicht es den EU-Mitgliedstaaten, „Dienstleistungen, die auf nationaler oder örtlicher Ebene als öffentliche Versorgungsleistungen angesehen werden“ über öffentliche Monopole oder über an private Betreiber gewährte ausschließliche Rechte bereit zu stellen. Dieser Vorbehalt kann zwar hilfreich sein, ist aber alles andere als ausreichend.7 Der Begriff „öffentliche Versorgungsleistungen“ ist nicht verbindlich definiert. Das bietet Spielraum für unterschiedliche Auslegungen und Streitfälle. Darüber hinaus schützt der Vorbehalt nur vor Angriffe auf Basis eines Teils der Marktzugangsregeln von CETA (Artikel 8.4.1 [a] [i]). Regierungen bleiben beispielsweise Angriffen auf Basis der umstrittenen Bestimmungen zu fairer und gerechter Behandlung (Artikel 8.10) und Enteignung (Artikel 8.12) schutzlos ausgesetzt, da gegen diese keine Vorbehalte zulässig sind.

Privatisierung als Einbahnstraße

serveimage-10

Folglich könnte die Rückführung einer zuvor privatisierten Dienstleistung in den öffentlichen Sektor eine Investor-Staat-Klage nach sich ziehen, mit der der vormalige private Dienstleister eine Entschädigung einfordert. Sensible Entscheidungen darüber, ob und in welcher Höhe eine Entschädigung fair und angemessen ist, werden dabei nicht von gewählten Regierungen oder nationalen Gerichten getroffen, sondern durch das in CETA vorgesehene Investitionsschiedsgericht. Mit der Androhung solcher Entschädigungsforderungen könnten Initiativen wenn damit nicht lokalen Anbietern der wie etwa die angestrebte Rekommunalisierung der Wasserversorgung in Frankreich in der Tat eine sehr teure Angelegenheit werden.8

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass kanadische Pensionsfonds, zum Beispiel in Großbritannien umfangreiche Beteiligungen an privatisierten Wasserunternehmen halten.9 Wenn nicht besondere Ausnahmeregelungen greifen, verbietet es CETA den Vertragsparteien grundsätzlich, den Marktzugang zu beschränken, etwa durch die Beschränkung der Anzahl von Dienstleistern oder die Vorgabe einer bestimmten Rechtsform (beispielsweise einer gemeinnützigen Einrihtung). Wichtig ist, dass die CETA-Regeln eine Einschränkung des Marktzugangs selbst dann verbieten, wenn damit nicht lokalen Anbietern der Vorzug gegeben wird. Diese Einschränkungen für Regierungen sind den Bestimmungen des Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) nachempfunden, aber in CETA betreffen diese Verbote der Beschränkung des Marktzugangs nicht nur Dienstleistungen, sondern generell „wirtschaftlicheAktivitäten“.10

Solche Beschränkungen könnten zum Beispiel Rezeptquoten gefährden, die einige EU Mitgliedsstaaten einsetzen, um die Kosten ihrer Gesundheitsversorgung in Grenzen zu halten. Rezeptquoten verpflichten ÄrztInnen, PatientInnen einen bestimmten Anteil günstigerer Medikamente, meist Generika von Markenmedikamenten mit abgelaufenem Patentschutz zu verschreiben. Mit CETA könnte diese Praxis als Verstoß gegen die Regelung zum freien Marktzugang in Frage gestellt und angefochten werden.11

CETA verbietet außerdem auch das von Regierungen eingesetzte Instrument der Leistungsanforderungen (Artikel 8.5 – „performance requirements“). Diese werden als Instrumente verwendet, um ausländische Investitionen zur Förderung des Gemeinwohls nutzbar zu machen, etwa über die Verbesserung von Umweltstandards oder zur Ankurbelung lokaler Beschäftigung.

CETA wird das erste umfassende Freihandelsabkommen der EU sein, das mit einem ähnlich weit entwickelten Partner abgeschlossen wird und dessen kommerzielle Anbieter im Bereich Gesundheitsversorgung, Bildung, Energie, Verkehr oder Umweltdienstleistungen voraussichtlich ein reales wirtschaftliches Interesse am Zugang zu den europäischen Märkten haben. Eine klare und weitreichende Ausnahme für alle Maßnahmen zur Bereitstellung und Regulierung öffentlicher Dienstleistungen wäre dem nun vorliegenden Flickenteppich von einzelnen Vorbehalten klar vorzuziehen gewesen. Dieser bietet nur teilweisen und bei weitem nicht ausreichenden Schutz für gesellschaftlich wichtige öffentliche Dienstleistungen.12

Im Gegensatz zu den offiziellen Beschwichtigungen sind öffentliche und dringend notwendige Dienstleistungen nicht vollständig geschützt. CETA, wie es nun vor- liegt, widerspricht grundlegend der Freiheit demokratisch gewählter Regierungen, öffentliche Dienstleistungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen und zu regulieren.

———————–

Fussnoten:

1 Markus Krajewski, „Public services in bilateral free trade agreements of the EU“, AK Wien, EPSU, FSESP und EGÖD, November 2011.

2 Vgl. diesbezüglich auch Verena Madner, „TTIP, CETA & Co: EU­Handelsabkommen einer neuen Generation und ihre Auswirkungen auf öffentliche Dienstleistungen“, juridikum 2016, 221ff.

3 Nur Kernbereiche des Regierungshandelns, die keinem gewerblichen Interesse dienen, wie beispielsweise „Polizei und Justizwesen, gesetzliche Systeme der sozialen Sicher­heit, Grenzsicherung, Flugsicherung, etc.“ sind durch die regierungsbehördliche Ausnahme geschützt. Europäische Kommission, „Reflections Paper on Services of General Inte­rest in Bilateral FTAs“, 2011.

4 Thomas Fritz, „Why is trade policy important for wor­ kers and public services?”, Präsentation „Challenging the liberalisation of public services in TTIP and beyond“, Wien, 15. Januar 2015, http://thomas­fritz.org/english/why­is­ trade­policy­important­for­workers­and­public­services.

5 Siehe beispielsweise den CETA Anhang II mit den EU­Vorbehalten für Gesundheitsdienstleistungen sowie für Bildungsdienstleistungen.

6 Manche EU Regierungen, wie beispielsweise Deutsch­ land, haben zusätzliche Regelungen festgelegt, die Abwas­ serdienstleistungen ausnehmen.

7 Für eine detaillierte Kritik dieser Wortwahl, die schon in vorangegangenen EU Handelsverträgen verwendet wur­ de, siehe Krajewski, 2011.

8 Kürzlich behauptete der dänische Handelsminis­ter L. Ploumen in einer Plenardebatte zu CETA, dass die Anhang-­II-­Ausnahmen in CETA das Recht über öffentliche Dienstleistungen zu entscheiden und sie zu regulieren (inklusive des Rechtes, Privatisierungen rückgängig zu machen) absicherten. Aber es handelt sich hierbei, wie oben dargelegt, nicht um eine belastbare Argumentation. Das Transkript findet sich hier: https://www.tweedekamer. nl/kamerstukken/detail?id=2016D23660&did=2016D23660.

9 Maude Barlow, „Fighting TTIP, CETA and ISDS: Lessons from Canada“, Council of Canadians, April 2016, S. 12.

10 Ebd.

11 Thomas Fritz, „CETA and TTIP: Potential impacts on health and social services“, Arbeitspapier im Auftrag des Europäischen Gewerkschaftsverbandes für den öffent­ lichen Dienst (EGÖD), April 2016, S.10.

12 Krajewski, „Model clauses for the exclusion of public services from trade and investment agreements“, beauf­ tragt durch die österreichische Arbeiterkammer und den Europäischen Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EGÖD), Februar 2016: „Die von der EU seit 1995 unterzeichneten Abkommen wurden mit Entwicklungs­ und Schwellenländern (zum Beispiel Mexiko, Chile, Südkorea, Peru etc.) abgeschlossen. In diesen Ländern gibt es keine nennenswerten gewerblichen Anbieter öffentlicher Dienst­ leistungen, die ein Interesse am Zugang zum Europäischen Markt haben. Im Gegenteil: Die europäischen gewerblichen AnbieteröffentlicherDienstleistungenwarenaneinem Markzugang in diesen Ländern interessiert. Daraus folgt, dass das die Regelungen der EU und ihr Modell, öffentliche Dienstleistungen zu schützen, nie wirklich auf die Probe gestellt worden sind. Dies könnte sich durch die Unterzeich­ nung von CETA und noch weitreichender durch TTIP und TiSA, weitgehend ändern“.