Zu Beginn unserer Kampagne an die Adresse der baden-württembergischen Grünen zitieren wir auszugsweise eine Studie, an der auch Greenpeace beteiligt war. Ihr Fazit: die in CETA vorgesehene regulatorische Kooperation öffnet der Industrie Tür und Tor und gefährdet die Lebensmittelsicherheit.
CETA versucht in bislang nie dagewesenem Maße, Einfluss auf die nationalen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in den Mitgliedsstaaten der EU und in Kanada zu nehmen – mit dem Ziel, Kosten zu reduzieren und die Regulierung zu begrenzen. Am meisten gefährdet ist hier die Verbraucherschutz- und Umweltschutzpolitik der EU, sowie deren entsprechenden landwirtschaftspolitischen Maßnahmen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Greenpeace, dem Institute for Agriculture & Trade Policy und dem Kanadischen Zentrum für politische Alternativen CCPA: CETA-Hintergrund
CETA zielt darauf ab, so genannte „nichttarifäre Handelshemmnisse“ zu beseitigen; daher geraten hier vor allem die Standards der Ernährung und Landwirtschaft ins Visier. Die Systeme der Lebensmittelerzeugung unterscheiden sich in Kanada und in der Europäischen Union signifikant. Kanada hat schwächere Standards im Bereich Lebensmittelsicherheit und eine Agrarwirtschaft, die sehr viel stärker auf den Einsatz von Chemikalien und gentechnisch veränderten Organismen (GVO) beruht. (…) Daher besteht hier ein starker wirtschaftlicher Anreiz für Kanada und seinen weitgehend industrialisierten Agrarsektor, die Verbraucherschutz- und Agrarpolitik der EU, die ihren Interessen im Wege stehen, zu schwächen oder auszuschalten.
Zu den strengeren EU-Vorschriften zählen beispielsweise striktere Begrenzungen der Produktion und des Verkaufs gentechnisch veränderter (GV) Kulturpflanzen und Nahrungsmittelprodukte sowie eine Kennzeichnungspflicht für Nahrungsmittel mit GV-Zutaten sowie für viele Produkte die Angabe des Herkunftslandes. Die EU-Vorgaben beschränken zudem den Einsatz von Wachstumshormonen in der Tiermast und von antimikrobiellen chemischen Behandlungen in der Fleischproduktion und -verarbeitung, ferner erlauben sie einen stärkeren Tierschutz und die Begrenzung des Klonens.
CETA enthält einen Werkzeugkoffer mit Deregulierungsmaßnahmen, für die sich die transnationalen Konzerne stark machen. Dieser umfasst:
1) die Anforderung, Zulassungsvorschriften „so einfach wie möglich“ zu halten,
2) sogenannte Initiativen zur „regulatorischen Kooperation,“ die die Regulierungen allmählich zu einem einheitlichen transatlantischen Standard synchronisieren sollen,
3) bestimmte Vorgaben, um den Handel mit bio- und gentechnologisch veränderten Agrarprodukten zu fördern, sowie
4) neue Risikobewertungsnormen, die den EU-Ansatz im Sinne des Vorsorgeprinzips untergraben, insbesondere dort, wo wissenschaftliche Informationen begrenzt vorhanden oder nicht gesichert sind.
Kanadas Erfahrunge mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) macht deutlich, wie sehr die europäische Gesetzgebung bedroht ist. NAFTA hat zu einer starken Integration zwischen den Agrarmärkten der USA, Kanadas und Mexikos geführt, die auf Senkung der Zölle und Harmonisierung der Vorschriften im Bereich Lebensmittelsicherheit basiert. Die Erfahrungen mit NAFTA legen nahe, dass deregulierende Initiativen wie die in CETA – selbst wenn sie formal gesehen „freiwillig“ sind – zu einer Harmonisierung der Standards auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners führen. All dies in einem Verhandlungs- und Umsetzungsprozess, dem es an Transparenz fehlt und der den Branchenakteuren bevorzugten Zugang bietet.
In den mehr als zwei Jahrzehnten seit Inkrafttreten von NAFTA hat die kanadische Regierung den Markt schrittweise dereguliert bzw. unzureichend reguliert und eine Art Selbstauskunft der Industrie eingeführt, um der Wirtschaft ‚die Bürden zu erleichtern‘. Ergebnis: Verschlechterung der Standards im Bereich Lebensmittelsicherheit, schwindende Bedenken gegenüber den Risiken giftiger Chemikalien und die wachsende Bereitschaft, die Kontaminierung von Lebensmitteln mit Pestizidrückständen zuzulassen.
Die kanadische Agrarwirtschaft hat sich nachdrücklich für die regulatorische Kooperation unter CETA ausgesprochen. Nun wartet die Branche auf die Ratifizierung des Abkommens, um ihren Deregulierungsplan in die Tat umsetzen zu können. Schon jetzt lehnt die kanadische Agrarwirtschaft den Fortbestand der strengeren EU-Standards im Bereich Lebensmittelsicherheit ab – mit der Begründung, dass diese nicht mit CETA vereinbar und überdies ein Problem seien, das gelöst werden müsse. Die in der Produktion, Verpackung- und Verarbeitung von Fleisch tätigen kanadischen Unternehmen beklagen, dass selbst dann noch „technische Barrieren“ bestünden, wenn CETA unterzeichnet sei, und dass diese den Export ihrer Produkte in die EU verhinderten.
Bei den parlamentarischen Anhörungen machte der Kanadische Viehzüchterverband (Canadian Cattlemen’s Association, CCA) seine Unterstützung für CETA von der Zusage der kanadischen Regierung abhängig, „eine umfassende Strategie zu entwickeln und vollständig zu finanzieren, die technische und politische sowie Fähigkeiten sowie juristische Wortgewandtheit zur Interessenvertretung einsetzt, um die letzten nichttarifären Handelshemmnisse für kanadisches Rindfleisch zu beseitigen.“
Zweifelsohne ist die Industrie mit all ihren Verbündeten im kanadischen Handels- und Landwirtschaftsministerium bereit, die Möglichkeiten von CETA voll auszuschöpfen, um ihren Plan, die EU-Standards zu schwächen, umzusetzen.
Worauf das hinauslaufen könnte, zeigt dieser Blick auf kanadische Zustände:
1. Kanada ist ein wichtiges Anbauland gentechnisch veränderter Nutzpflanzen. Es zählt zu den fünf Ländern, die zusammen 90 Prozent der gentechnisch veränderten Nutzpflanzen weltweit anbauen. 2015 war Kanada der weltweit fünftgrößte Produzent in diesem Bereich. Gentechnisch veränderte Sorten machen einen hohen Prozentsatz an den vier Nutzpflanzen aus, die in Kanada angebaut werden: Canola (Raps), Mais, Soja und Zuckerrübe. Canola ist Kanadas wichtigste Nutzpflanze, die ein Fünftel des gesamten Ackerlandes für sich beansprucht. Gut 95 Prozent der in Kanada angebauten Canola-Pflanzen sind gentechnisch verändert (GV). Das Gros der Canola-Ernte geht in den Export.
Der ungebremste Einsatz von GVO hat zahlreiche Probleme hervorgerufen: darunter den dramatischen Anstieg des Herbizideinsatzes und die Bedrohung der biologischen Vielfalt. Kanadas GV-Nutzpflanzen sind durch gentechnologische Verfahren insektenresistent und herbizidtolerant, zudem wurden sie speziell auf den Einsatz des giftigen Monsanto-Herbizids „Roundup“ abgestimmt. Der aktive Wirkstoff von Roundup ist Glyphosat, das durch die Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ klassifiziert wurde. Der Gebrauch von Roundup hat fünf Glyphosatresistente Unkräuter in Kanada hervorgebracht.
Überdies bedrohen die GVO die biologische Vielfalt, da sie sich in den Ökosystemen durch Fremdbeschreibung und Kreuzung schnell verbreiten. In Kanada ist gentechnisch veränderter Canola derart verbreitet, dass die Gentechnik selbst in Produkten wie Honig, die angeblich GVO-frei sind, nachzuweisen ist.
In der EU hingegen ist lediglich eine gentechnisch veränderte Nutzpflanze, eine bestimmte Mais-Sorte, zum Anbau zugelassen. Diese wird in zu vernachlässigenden Mengen in Spanien und Portugal kultiviert.
Im Jahre 2015 wurden auf gerade einmal 0,14 Prozent der gesamten Ackerfläche Europas gentechnisch veränderte Nutzpflanzen angebaut. Die EU-Richtlinie 2015/412 erlaubt es den EU-Mitgliedstaaten, den Anbau gentechnisch modifizierter Organismen in ihrem Land einzuschränken oder zu verbieten. Siebzehn Mitgliedsstaaten (Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Polen, Slowenien, Ungarn und Zypern) sowie drei Regionen (Wallonien in Belgien sowie Schottland und Wales im Vereinigten Königreich) haben dies getan.
2. Kanada erlaubt den Einsatz wachstumsfördernder Medikamente (einschließlich Hormone) und von Antibiotika – eine Praxis, die in der EU verboten ist. Die EU hat die Verwendung von Wachstumshormonen für landwirtschaftliche Nutztiere bereits 1996 verboten, das Verbot gilt sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für Importe aus Nicht-EU-Ländern. Es wurde über viele Jahre aufrechterhalten, ausgeweitet und basiert auf einer Reihe wissenschaftlicher Gutachten zu den Risiken für die menschliche Gesundheit. Diese ergaben, dass für „keines dieser Hormone eine zulässige Tagesdosis ermittelt werden konnte“ und insbesondere das Hormon 17-ß-Östradiol „uneingeschränkt als karzinogen anzusehen ist“.
Seit 2006 verbietet die EU überdies den Einsatz jeglicher wachstumsfördernder Antibiotika in Tierfutter.36 Der routinemäßige Antibiotikaeinsatz bei Tieren – zur Wachstumsförderung und allgemeinen Vorbeugung von Krankheiten in der Massentierhaltung – trägt zur weitverbreiteten antimikrobiellen Resistenz durch superresistente Krankheitserreger („Superbugs“) bei, welche erst durch den Kontakt mit den Medikamenten mutiert sind. Dieses Phänomen ist eine ernste Bedrohung für die weltweite öffentliche Gesundheit, da die Arzneimittel ihre Wirkung gegen menschliche Infektionen verlieren, und es somit zu Todesfällen kommen kann.
Ganz anders in Kanada: Seit den 1960er-Jahren ist hier der Einsatz von Wachstumshormonen bei Mastrindern weit verbreitet. Health Canada (die Bundesbehörde, die die Verwendung von Produkten aus gesundheitspolitischer Sicht reguliert und genehmigt) hat die Verwendung von sechs Wachstumshormonen bei Mastrindern zugelassen: drei natürliche Hormone (Progesteron, Testosteron und 17-ß-Östradiol) sowie drei synthetische Hormone (Trenbolonacetat, Zeranol und Melengestrolacetat).
Im Gegensatz zu den EU-Ministerien weist Health Canada alle gesundheitliche Bedenken bezüglich der Hormone in der Fleischproduktion weit von sich. Auch für die Herstellung von Fleisch- und Geflügelprodukten erlaubt Kanada den Einsatz wachstumsfördernder Antibiotika. Kanada und die USA haben das EU-Verbot von Wachstumshormonen mithilfe des Streitbeilegungssystems der Welthandelsorganisation WTO angefochten. Mit anderen Worten: CETA eröffnet ihnen neue Wege, das Hormon-Verbot zu unterwandern.
Die regulatorische Kooperation gefährdet also Lebensmittelstandards
Bei der kanadischen Regierung ist es Tradition, die Lebensmittelsicherheitsstandards der EU und anderer Handelspartner vor WTO anzufechten. Gegenstand solcher Anfechtungen sind unter anderem die Ursprungslandkennzeichnung, 50 Prüf- und Genehmigungsverfahren für Biotechnologie (einschließlich GVO) und das Verbot von Hormonen in Rindfleisch. In CETA bieten sich den Regierungen und transnationalen Konzernen zusätzliche Möglichkeiten für derartige Anfechtungen.
Was versteht man unter regulatorischer Kooperation? Im Kern ist die regulatorische Kooperation ein grenzüberschreitendes Verfahren, das die frühzeitige Prüfung und Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung von Bestimmungen beinhaltet, mit dem Ziel, die Standards möglichst weit anzugleichen. Das Ergebnis ist in der Regel ein internationaler Standard, der unter reger Beteiligung der Industrie entsteht und das öffentliche Interesse weniger schützt. Überdies schreibt die regulatorische Kooperation eine vor allem ökonomisch orientierte Folgenabschätzung für vorgeschlagene oder bereits existierende Bestimmungen vor. Daraufhin lassen sich alle identifizierten Handelshemmnisse leicht aus dem Weg räumen. Kurz: Die regulatorische Kooperation öffnet den Unternehmen Tür und Tor, um Vorschriften im Bereich Umwelt, Lebensmittelsicherheit und anderer öffentlicher Interessen, welche die Ausweitung des Handels behindernkönnten, geschickt auszuhebeln.
Ein weiteres Element der regulatorischen Kooperation sind Abkommen über gegenseitige Anerkennung. Diese ermöglichen den Import von Produkten selbst dann, wenn die Länder weiterhin verschiedene Normen haben. Im Klartext heißt dies: Kanadas schwache Standards im Bereich Lebensmittelsicherheit und GVO-Kontaminierung könnten dank des Abkommens für „gleichwertig“ erklärt werden. Produkte, die derzeit verboten sind, könnten so problemlos in die EU importiert werden.
Tatsächlich gibt die regulatorische Kooperation den Unternehmen mächtige Werkzeuge an die Hand, um die Behördenvertreter in nicht-öffentlichen Zusammenkünften zu überreden, die im Interesse der Öffentlichkeit erlassenen Vorschriften rückgängig zu machen. Durch wiederholte Abstimmungsrunden mit der Industrie sowie endlose Kosten-Nutzen-Analysen verzögert sich der erforderliche Schutz öffentlicher Interessen, möglicherweise wird seine Umsetzung sogar ganz verhindert. Der Fokus liegt hier eindeutig auf der Kostensenkung – nicht auf der Verbesserung der Gesundheit und Sicherheit.
CETA verfolgt dieses Modell konsequent und führt Mechanismen ein, um neue und bereits existierende Bestimmungen schon im Anfangsstadium ihrer Entwicklung genau unter die Lupe zu nehmen. Ziel ist es, „unnötige Hindernisse für Handel und Investitionen zu vermeiden und zu beseitigen“ und „die Vereinbarkeit von Regelungen, die Anerkennung der Gleichwertigkeit sowie Konvergenz“ anzustreben.
Weitere Ausführungen (samt Quellen) zur regulatorischen Kooperation und die Entmachtung der Parlamente finden Sie in der Publikation von Greenpeace, dem Institute for Agriculture & Trade Policy und dem Kanadischen Zentrum für politische Alternativen CCPA: CETA-Hintergrund