Das geplante Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay bereitet auch der konventionellen Landwirtschaft Kopfzerbrechen: Sie fürchtet die Billigkonkurrenz. Die EU könnte noch mehr Industriefleisch ins Land lassen. Das zeigt ein online-Bericht des Agrarfachmagazins „top agrar“.
Von Thomas A. Friedrich, Brüssel/Straßburg
Nach einer ergebnislosen Verhandlungswoche zwischen den Mercosur-Staaten und der EU um ein bilaterales Handelskommen, haben die Experten diese Woche in Brüssel erneut ihre Gespräche aufgenommen. Zu den strittigsten Punkten zählt weiter das Rindfleischkontingent, das die EU den lateinamerikanischen Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay als jährliche Einfuhrquoten zugestehen will. Die Lateinamerikaner fordern eine Quote von mindestens 100.000 Tonnen pro Jahr. Die europäischen Rindfleischerzeuger erachten dies als Todesstoß für die heimische Branche und demonstrieren mit schweren Traktoren im Europaviertel gegen das Handelsabkommen.
„Wenn die EU tatsächlich den Mercosur-Staaten eine Quote von 100.000 Tonnen pro Jahr einräumt, ist dies der Todesstoß für den europäischen Sektor, weil wir heute schon bei den Produktionskosten über dem Verkaufspreis liegen, den wir am Markt erzielen“, sagte der Vizepräsident des belgischen Bauernverbandes, Falys Hugues, am Freitag in Brüssel.
Zusammen mit rund zwei Dutzend belgischen und irischen Kollegen war er mit schweren Traktoren am Schumannplatz vor dem Kommissionsgebäude Berlaymont vorgefahren, um ihren Protest gegen das geplante EU-Mercosur Handelsabkommen vorzutragen. Das Fleisch aus Südamerika entspreche überdies nicht europäischen Qualitätsstandards und würde den bereits unter Druck gekommenen Rindfleischmarkt der EU zum Zusammenbrechen bringen, fürchten die belgischen Rindfleischerzeuger.
Um ihre Existenz bangen auch die irischen Rindfleischproduzenten, die angesichts des Brexit mit einem herben Einkommensverlust in Zukunft rechnen müssen. War bisher das Vereinigte Königreich Hauptabnehmer der irischen Rindfleischproduzenten, dürften die Exporte aus dem EU-Binnenmarkt in Richtung Großbritannien künftig deutlich schwieriger werden. Denn nach einem Austritt Großbritanniens aus dem Gemeinsamen Markt werden Fleischexporte ins Königreich teurer. Überdies könnten die Briten sich anderswo versorgen.
„Die Preise könnten um bis zu 16 Prozent purzeln“, sorgte sich der irische Bauernpräsident Joe Haley, der gemeinsam mit seinem belgischen Kollegen an diesem frostigen Wintermorgen in Brüssel vor dem Kommissionsgebäude Protestschilder in die Höhe hielt. „Von einem Mercosur-Abkommen in dieser Dimension wäre Irland besonders betroffen, denn das Land ist einer der Haupt-Rindfleischproduzenten in der gesamten EU“.
Wie stark ist die Verhandlungsposition von EU-Agrarkommissars Hogan?
Lassen die Sorgen seiner Landsleute den irischen Bauernsohn Phil Hogan, der als EU-Agrarkommissar mit am Verhandlungstisch in Brüssel sitzt in Sachen Mercosur, kalt? Mitnichten beteuerte er vor der Presse nach dem EU-Agrarministerrat. „In der Tat ist das bisherige Verhandlungsergebnis enttäuschend“, räumte Hogan zu Beginn vergangener Woche ein.
Aber er sei festzuhalten, dass die EU die roten Linien gewahrt habe und keine weitere Konzessionen gegenüber den Mercosur-Staaten gemacht habe. Zum Ende der abgelaufenen Woche darf dies bezweifelt werden. Hatte die EU-Kommission in den Verhandlungen mit dem lateinamerikanischen Handelsraum zunächst eine Quote von 70.000 Jahrestonnen Rindfleischeinfuhrerlaubnis in Aussicht gestellt, sagen Brüsseler Quellen, dass die EU-Emissäre inzwischen 99.000 Tonnen offeriert hätten.
Der europäische Dachverband der Landwirte und Genossenschaftsbetriebe Copa–Cogeca schlägt daher die Alarmglocken: „Wir brauchen faire und ausgewogene Abkommen, welche auch sicherstellen, dass kein Überangebot auf unserem Markt entsteht, ansonsten werden Wachstum und Arbeitsplätze in unseren ländlichen Gebieten gefährdet“, betonte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe „Rindfleisch“ von Copa und Cogeca, Jean-Pierre Fleury. Über 75 Prozent der aktuellen Rindfleischimporte in die EU von insgesamt 246.000 Tonnen stammten bereits aus diesen Ländern führt Copa Cogeca an.
„Es ist nicht hinnehmbar, dass die EU ihr Angebot im Gegenzug für Zugeständnisse in anderen Sektoren erhöht hat. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für einen derartigen Vorschlag, da wir noch nicht die Ergebnisse der Gespräche über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU kennen. 52 Prozent des irischen Rindfleischs sind für den Markt des Vereinigten Königreichs bestimmt“. In diesem Kontext sei es völlig kontraproduktiv, über einen Handelspakt mit lateinamerikanischen Ländern noch weiteren Druck auf den EU-Rindfleischmarkt auszuüben.
Dass die Verhandler von EU und Mercosur-Staaten noch immer nicht am Ziel sind, unterstreicht das am späten Freitagabend von Phil Hogans Pressesprecher verbreitete lapidare Kommuniqué: „Die den ganzen Freitag über andauernden Gespräche nach dem Treffen auf Ministerebene zu Beginn der Woche werden am Montag 5. Februar mit dem Zusammenkommen der technischen Teams wieder aufgenommen“.
Malmström und Juncker ziehen an einem Strang für einen deal mit Mercosur
Der aktuelle Stand der Dinge lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die ambitionierte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström ist Leiterin der EU-Verhandlungsdelegation. Sie will – koste es was es wolle – die beiden Handelsabkommen mit Mercosur und Mexiko unter Dach und Fach bringen. Industriepolitische Visionen haben für die ambitionierte Schwedin offenbar einen höheren Stellenwert als die Interessen des Nahrungsmittelsektors. Die Einflussmöglichkeiten von Phil Hogan erscheinen vor diesem Hintergrund eher gering zu sein.
Nicht zuletzt unterstützt auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker energisch das Zustandekommen eines Handelsabkommens mit der Mercosur-Gruppe von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Europas Ehrgeiz konzentriert sich darauf, den 260 Millionen Verbraucher umfassenden Markt, der weltweit die siebtgrößte Volkswirtschaft sowie den fünftgrößten Markt außerhalb der EU darstellt, für sich zu gewinnen. Vor allem in Zeiten, in denen Präsident Donald Trump Protektionismus als oberste Richtschnur proklamiert hat, will die Europäische Union mit einem Mercosur/Mexiko-Abkommen den freien Welthandel hoch halten und eigene Vorteile daraus ziehen.