Am Dienstag hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden: Schiedsklauseln zwischen EU-Staaten sind mit dem Unionsrecht nicht vereinbar. Das könnte auch für Handelsabkommen wie CETA Folgen haben. Denn derselbe EuGH überprüft derzeit – auf Antrag Belgiens – die Rechtmässigkeit des EU-Kanada-Abkommens.
Die Handelsblatt-Korrespondentin Heike Anger schreibt über das Urteil:
Es sei ein Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten geschaffen worden, „der nicht sicherzustellen vermag, dass über diese Streitigkeiten ein zum Gerichtssystem der Union gehörendes Gericht befindet, wobei nur ein solches Gericht in der Lage ist, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten“, hieß es in einer Mitteilung des Gerichts.
Für Unternehmen, aber auch für Abkommen wie TTIP oder CETA hat das Urteil weitreichende Folgen.
Die Frage war, ob sich ein Investor aus einem EU-Staat, der in einem anderen EU-Staat investiert, auf eine Schiedsklausel aus einem bilateralen Investitionsschutzabkommen berufen kann. Der EuGH machte sehr deutlich, dass er keine Rechtsprechungs-Institutionen wie private Schiedsgerichte neben sich duldet und deutlich gegen eine Relativierung der EU-Rechtsprechung vorgeht.
„Der Europäische Gerichtshof hat sich nicht rausgewunden, sondern eine klare Meinung bezogen“, betont Nico Basener, Schiedsrechts-Experte bei der Kanzlei Clifford Chance.
Nicht-staatliche Schiedsgerichte sind umstritten, weil sie über Hoheitsakte von Staaten entscheiden und damit teilweise in direkte Konkurrenz zur höchsten staatlichen und europäischen Gerichtsbarkeit treten können. Nicht betroffen von dem Urteil sind allerdings Schiedsverfahren von Unternehmen, die Streitigkeiten mit ihren Geschäftspartnern unter Ausschluss staatlicher Gerichte beilegen wollen und vorher eine entsprechende Schiedsklausel vertraglich vereinbart haben.
NL-Firma verklagte die Slowakei
Im konkreten Fall, der nun vom EuGH entschieden wurde, hatten die Niederlande und die Tschechoslowakei 1991 ein bilaterales Investitionsschutzabkommen (BIT) abgeschlossen. Darin fand sich die gängige Klausel, dass Streitigkeiten zwischen einem Investor und einem der beteiligten Länder einem Schiedsgericht vorgetragen werden. 2004 öffnete die Slowakei als Rechtsnachfolgerin des Abkommens ihren Markt für Anbieter von privaten Krankenversicherungen.
Das niederländische Unternehmen Achmea erhielt eine Zulassung. Allerdings wurde die Liberalisierung nach einem Regierungswechsel teilweise zurückgenommen und insbesondere die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft untersagte.
Der niederländische Versicherer machte geltend, dass ihm durch die Regulierung ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe entstanden sei, und rief ein Schiedsgericht in Frankfurt an. Die Slowakei sah indes keine Zuständigkeit: Mit ihrem Beitritt zur EU sei die Klausel im BIT für Schiedsvereinbarungen unwirksam geworden, weil sie mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sei.
Der Fall, durch das Schiedsgericht mit Gerichtsstand Deutschland, ging durch die Instanzen, schließlich legte der Bundesgerichtshof dem EuGH die Frage vor, ob die von der Slowakei angefochtene Schiedsklausel mit Unionsrecht vereinbar ist. Der urteilte nun, die Schiedsklausel beeinträchtige die Autonomie des Unionsrechts und sei daher nicht mit ihm vereinbar (Aktenzeichen: C-284/16).
Das Urteil ist überraschend, weil es eines der wenigen ist, bei denen das Gericht vom Plädoyer des Generalanwalts abweicht. Der hatte im September 2017 befunden, die Schiedsklausel begründe keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sei mit dem Institut der Vorabentscheidung vereinbar und beeinträchtige weder die in den Verträgen festgelegte Zuständigkeitsordnung noch die Autonomie des Rechtssystems der Union.
Kein zusätzlicher Klageweg
Zwar bedeutet das Urteil nicht, dass nun alle Schiedsurteile aus solchen Abkommen ungültig sind. Ein Einwand ist nur machbar, solange gegen ein solches Schiedsverfahren noch das Aufhebungsverfahren möglich ist. Mit seiner Entscheidung hat der EuGH aber grundsätzlich über die Zulässigkeit von Schiedsgerichtsklauseln zwischen EU-Staaten und damit die Gültigkeit entsprechender Schiedsurteile entscheiden.
Derzeit bestehen 196 BIT zwischen EU-Staaten und ehemaligen EU-Beitrittskandidaten, die heute EU-Mitglieder sind. Diese Abkommen wurden nie formell aufgehoben und bestehen damit fort. In Bezug auf diese Abkommen können Unternehmen bei Streitigkeiten künftig nur noch nationale Gerichte anrufen.
Der zusätzliche Klageweg über Schiedsgerichte fällt weg. Auch für die derzeit rund 150 anhängigen Verfahren zwischen EU-Staaten vor Schiedsgerichten sind Konsequenzen zu erwarten. „Die Schiedsgerichte werden sich in laufenden Verfahren dem Urteil beugen“, erklärt Rechtsexperte Basener.
Doch das Urteil ist auch ein Schlag gegen den internationalen Investitionsschutz. „Die Entscheidung aus Luxemburg wird sehr wahrscheinlich auch Auswirkungen auf das ausgehandelte Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada und das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP haben“, sagt Basener.
Zu den dort bereits ausgehandelten Schiedsklauseln dürfte der EuGH eine deutliche Meinung haben.
Auch Investitionsschutzabkommen von EU-Mitgliedstaaten mit Drittstaaten außerhalb der EU sind betroffen, denn die Länder sind zwar nicht dem EU-Recht unterworfen, aber mit dem Urteil wird nun die Vollstreckung von Schiedssprüchen in der EU fragwürdig.
Bereits 2016, als das Achmea-Verfahren zum EuGH ging, hatten sich Deutschland, Österreich, Finnland, Frankreich und die Niederlande in einem inoffiziellen EU-Arbeitspapier dafür ausgesprochen, die häufig schon sehr lange existierenden EU-BIT auslaufen zu lassen und durch ein multilaterales Investitionsschutzabkommen für alle EU-Mitgliedstaaten zu ersetzen.
Doch ein Konsens in der EU ließ sich nicht herstellen. „Es ist zu erwarten, dass die EU-Länder ihre BIT nun aufkündigen werden“, sagt Jurist Basener. „Ein multilaterales Investitionsschutzabkommen für alle EU-Mitgliedstaaten könnte durch das Urteil nun neuen Auftrieb bekommen.“
Hier noch die Stellungnahme von Lobbycontrol:
„Das EUGH-Urteil markiert den Anfang vom Ende einseitiger Konzernklagerechte in Europa. Das ist gut so. Eine Paralleljustiz für Konzerne ist nicht nur undemokratisch, sondern auch unvereinbar mit EU-Recht. Die Bundesregierung muss Konsequenzen aus dem Urteil ziehen und ihre Schiedsgerichtsklauseln mit anderen EU-Staaten sofort kündigen“, sagt Max Bank. Und weiter:
„Wir werten das Urteil auch als Zeichen, dass die in Handelsabkommen vereinbarten Konzerklagerechte zwischen etablierten Rechtsstaaten prinzipiell überprüft werden müssen. Auch in CETA oder TTIP haben solche Klauseln nichts zu suchen. Zur Erinnerung: Mit den Schiedsgerichten können Konzerne Staaten auf entgangene Gewinne verklagen.“
Und von attac:
„Die heutige Entscheidung ist erfreulich. Sie markiert den Beginn des Endes der Sonderklagerechte für Konzerne in Europa“, sagt Roland Süß vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. „Mit dieser Paralleljustiz könnten Konzerne nicht nur Staaten vor eigenen Schiedsgerichten klagen, wenn diese Gesetze beschließen, die ihre Profitmöglichkeiten einschränken. Sie könnten damit auch enormen Druck auf die Entscheidungsfindung im öffentlichen Interesse ausüben.“
Attac fordert alle EU-Länder auf, nicht nur die EU-internen Investitionsverträge, die ISDS enthalten, zu kündigen. Die Regierungen sollen sich endlich grundsätzlich von diesen Sonderklagerechten für Konzerne verabschieden. Sie sollen daher der EU-Kommission alle entsprechenden Verhandlungsmandate für Abkommen mit Drittstaaten entziehen – darunter etwa EU-Japan oder EU-Mexiko. Attac fordert zudem den Bundestag auf, das CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada nicht zu ratifizieren.