Tropische Wälder schwinden rasant – auch weil Industriestaaten gewaltige Mengen an Palmöl und Soja importieren. Eine Studie zur Verantwortung der EU hält die Kommission seit Monaten zurück. Das enthüllt die Süddeutsche Zeitung.
Von Thomas Kirchner, Brüssel
Die EU trägt wesentlich zur globalen Entwaldung bei. Zwar zerstören die Europäer die wertvolle Ressource nicht mit eigener Hand; bei ihnen wächst der Wald sogar. Aber sie verursachen Schaden anderswo: Die EU führt etwa ein Drittel jener global gehandelten Agrarrohstoffe wie Soja, Palmöl, Kautschuk, Kakao oder Kaffee ein, für die Wälder gerodet werden, vor allem Regenwälder in Brasilien, im Kongobecken, in Borneo und Sumatra.
Der Zusammenhang ist bekannt. Doch koordiniert gehandelt wurde, zumindest auf europäischer Ebene, bisher nicht. Während das EU-Parlament und einige Mitgliedstaaten auf Tempo drängen, zögert die EU-Kommission und tut sich offenbar schwer damit, einen Aktionsplan mit energischen Maßnahmen zu erstellen. Immer wieder hat sie die Veröffentlichung eines zentralen Dokuments verschoben: einer Studie, die im Detail beschreibt, was die EU tun müsste, um der Entwaldung entgegenzuwirken. Sie liegt der Süddeutschen Zeitung vor.
Auf 185 Seiten beschreibt ein externes Beratungsunternehmen einerseits schonungslos die Situation, um dann verschiedene, zum Teil sehr weit reichende Optionen vorzustellen und gegeneinander abzuwägen. Die Lage, die schon 2013 in einer ausführlichen Studie beschrieben wurde, ist bedenklich. Zwar scheint das Tempo der Entwaldung etwas zu sinken, doch noch immer werden nach Schätzungen der UN jährlich 7,6 Millionen Hektar Wald zerstört, mehr als die Fläche Bayerns. Bis 2050 müssen zusätzliche 2,5 Milliarden Menschen ernährt werden, wofür die landwirtschaftliche Produktion um 60 Prozent wachsen muss. Damit steigt der Druck, noch mehr Wald in Ackerflächen oder Weideland umzuwandeln.
Das hat gravierende Folgen: Die globale Entwaldung ist wesentliche Ursache für den Klimawandel. Allein Indonesien ist wegen der Rodungen für Palmöl-, Holz- und Kautschukproduktion der drittgrößte CO₂-Verursacher der Welt. Gleichzeitig schwindet die Artenvielfalt rapide, da die tropischen Regenwälder fast die Hälfte der bekannten Arten beheimaten. Der globale Wasserkreislauf wird gestört, die Luftqualität sinkt; oft wird die lokale Bevölkerung nicht angemessen entschädigt oder zur Umsiedlung gezwungen.
Die EU, so die Studie, habe großen Einfluss auf den globalen Waldbestand. Sie bezieht viel Palmöl, das für Backwaren oder Waschmitteln verwendet werde. Und die Europäer essen viel Fleisch von Tieren, die mit Soja gefüttert werden. Verstärkt wird die Nachfrage noch durch die Entscheidung, erneuerbare Energien zu fördern und importierte Rohstoffe etwa in Bio-Diesel umzuwandeln.
„Weiter so“ sei keine Option für die EU, so die Autoren der Studie. Doch seien Maßnahmen, die etwas bewirkten, politisch nicht so leicht durchzusetzen. Allerdings wird auch an die internationalen Verpflichtungen erinnert, die die EU eingegangen ist: neben dem Pariser Klimaabkommen etwa die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Beide Ziele wären, so kann man folgern, nur zu erfüllen, wenn die EU sich zu einem mutigen Vorgehen entschließt. Da wird einiges genannt: Die EU könnte Gesetze erlassen, die entwaldungsfreie Lieferketten garantieren oder Finanzinstitutionen zwingen, nur waldschonende Investitionen zuzulassen. Sie könnte zu weniger Fleischkonsum aufrufen und dafür sorgen, dass die Tiere verstärkt Futter aus europäischer Produktion erhalten. Die EU könnte Schwellen- und Entwicklungsländern beim Schutz der Wälder und der Umstellung auf Nachhaltigkeit finanziell und technisch helfen. Und sie könnte beschließen, die Verwendung von Biokraftstoffen auf Basis von Getreide oder Palmöl bis 2030 komplett einzustellen.
Die Kommission hat mehrmals angekündigt, die schon im Dezember 2017 fertiggestellte Studie bald zu veröffentlichen. Warum sie zögert, ist nicht klar. Man sei noch in internen Diskussionen begriffen, sagt eine Sprecherin. „Wir verstehen das nicht“, sagt ein EU-Diplomat. Beim letzten Treffen der EU-Umweltminister Anfang März forderten Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Dänemark und die Niederlande die Behörde auf, die Studie „so bald wie möglich“ zu veröffentlichen und ebenso rasch eine „ehrgeizige Strategie“ für den Kampf gegen importierte Entwaldung vorzuschlagen. Auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wird an mehreren Stellen gefordert, „entwaldungsfreie Lieferketten“ zu schaffen und die Wälder international zu schützen. „Die EU-Kommission muss ihr Schweigen brechen“, sagt Sébastien Risso, bei Greenpeace EU für Waldpolitik zuständig. „Europa hat seine Verantwortung für die weltweite Entwaldung lange genug ignoriert.“