In der linken Wirtschaftszeitung „Oxi“ hat eine Serie zum Thema solidarischer Handel begonnen. Da wir an den Infoständen immer wieder gefragt werden, welche Alternativen es zum wachstumstreibenden und renditeorientierten Welthandel gibt, stellen wir hier den Beitrag von Elisabeth Voss zu Direkthandelsinitiativen vor.
Solidarischer Handel ist nichts Neues. Schon vor Jahrzehnten begannen Weltläden damit, oft auf ehrenamtlicher Basis und mit christlicher Motivation. Gemeinsam mit kirchlichen Organisationen gründeten sie 1975 die GEPA, die heute ein großer Importeur im fairen Handel ist. Ab 1980 verkaufte das Kollektiv Ökotopia den nicaraguanischen Soli-Kaffee „Sandino Dröhnung“ und baute 1986 mit anderen die Handelsorganisation MITKA auf, um die sandinistische Bewegung zu unterstützen. Sandino Dröhnung zu trinken, erforderte von den KundInnen damals recht viel Solidarität und einen robusten Magen.
Heute vertreiben Ökotopia und andere Fairhandelsunternehmen qualitativ hochwertigen, biologisch angebauten Kaffee und Tee von kleinbäuerlichen Kooperativen. Der christlich oder politisch motivierte faire Handel basiert nach wie vor auf direkten Kontakten zwischen den Produzierenden im globalen Süden und den solidarischen HändlerInnen hierzulande.
Seit vielen Jahren ist der ethische und bio-faire Konsum in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Als Trend der LOHAS – derjenigen, die einen „Livestyle of Health and Sustainability“ pflegen – wird er zurecht kritisiert, wenn diejenigen, die es sich leisten können, gut und teuer einzukaufen, sich als vermeintlich bessere Menschen von der Masse abheben. Seit bio-faire Produkte auch in Supermärkten zu haben sind, streichen Handelskonzerne hohe Gewinnmargen ein, während auch für Bio-Produkte Indigene in Ländern des globalen Südens von ihrem Land vertrieben werden. Für das Fairtrade-Siegel reicht es oft schon aus, wenn 20 Prozent der Zutaten eines Produktes fair gehandelt sind. Zertifizierungen sind teuer und anfällig für Missbrauch, daher setzen kleinere Kooperativen stattdessen häufig auf Vertrauen und persönliche Beziehungen zu den HändlerInnen.
Beispiel Griechenland
Jenseits gewinnorientierter Massenmärkte, aber ebenso unabhängig von größeren Fairhandelsorganisationen, entstehen seit einigen Jahren immer mehr solidarische Handelsinitiativen. Sie werden meist von unbezahltem Engagement getragen, und kaufen direkt bei den ErzeugerInnen ein. In der Krise entstanden in Ländern des Mittelmeerraums Bewegungen gegen den Zwischenhandel, wie zum Beispiel die „Kartoffelbewegung“ in Griechenland, wo LandwirtInnen ihre Produkte direkt an die KundInnen verkauften. Wenn kein Handelskonzern Profite abgreift, bekommen die Produzierenden höhere Preise, auch wenn sie ihre Waren günstiger als marktüblich anbieten. Nach dieser Logik arbeiten auch die Direkthandels-Initiativen in Deutschland. Wenn trotzdem finanzielle Überschüsse entstehen, oder diese von vornherein eingeplant wurden, gehen sie in die eigene politische Arbeit der Beteiligten oder werden an andere Projekte gespendet.
Manche Solihandels-Initiativen initiieren zeitlich begrenzte Kampagnen, die sich zum Beispiel an den Erntezeiten von Orangen oder der jährlichen Fertigstellung von Olivenöl orientieren. Solidarischen Direkthandel gibt es jedoch nicht nur mit Lebensmitteln, erinnert sei hier zum Beispiel an die Kampagne „Strike Bike“ mit der 2007 – leider erfolglos – versucht wurde, eine besetzte Fahrradfabrik in Thüringen zu retten. Seit einigen Jahren verkauft die besetzte Fabrik Vio.Me im griechischen Thessaloniki Seife und andere Reinigungsprodukte direkt an UnterstützerInnen. Beim Solidarhandel kennen sich die ErzeugerInnen und HändlerInnen persönlich, verhandeln über Produkte und Preise und besuchen sich gegenseitig. Hinzu kommt oftmals der Wunsch, auch bestehende Ungerechtigkeiten und alternative Wirtschaftsweisen zu thematisieren.
Finanziell hat dieser solidarische Direkthandel nur ein geringes Volumen, für die unterstützten ProduzentInnen hat er trotzdem eine große ökonomische Bedeutung. Jedoch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie tragfähig solche Soli-Initiativen sind, und ob nicht vielleicht daraus Abhängigkeiten und Risiken entstehen, wenn das freiwillige Engagement nachlässt und die ProduzentInnen nicht beizeiten weitere Märkte erschlossen haben. Es kann auch kritisch gefragt werden, wie sich dies oft politisch motivierte Engagement abhebt von der ideologischen Verklärung von Wohltätigkeit und Ehrenamt. Diese freundliche Begleitmusik zu globalisierter Ausbeutung und Entrechtung, zu Sparprogrammen und Privatisierungen begleitet neoliberale Prekarisierungspolitiken, die den schrumpfenden Sozialstaat durch Charity und bürgerschaftliches Engagement ersetzen möchten.
Keine Extraprofite
Direkte Handelsbeziehungen, die mehr sind als individuelle Einkäufe für den persönlichen Bedarf direkt bei den ErzeugerInnen, erfordern viel Arbeit: der Kontakte zwischen ProduzentInnen und AbnehmerInnen, die Auswahl und der Transport der Produkte, die Abwicklung und Kontrolle der Finanzen, die erforderliche Bürokratie, die Öffentlichkeitsarbeit usw. Unversehens werden so die unbezahlt arbeitenden AktivistInnen selbst zu ZwischenhändlerInnen. Was spricht eigentlich dagegen, dieses Engagement zu verstetigen, auch für die HändlerInnen bezahlte Arbeit zu ermöglichen, und den ProduzentInnen damit eine größere Sicherheit zu geben? Die Übergänge zwischen Direkthandels-Initiativen und solidarischen Handelsunternehmen können fließend sein. Entscheidend ist jedoch zu verhindern, dass Extraprofite allein aufgrund von Marktmacht und Abhängigkeitsverhältnissen eingestrichen werden.
Bei aller Begeisterung für diese Solidarität sollte der konsumkritische Blick nicht verloren gehen. Wenn zum Beispiel in Diskussionen die Auffassung vertreten wird, der Kassenbon sei ein Stimmzettel, mit dem KundInnen über die Wirtschaft entscheiden, dann ist das Verständnis von BürgerInnen (jenseits ihrer Staatsangehörigkeit) als politische Subjekte verloren gegangen zugunsten einer kapitalistisch-marktwirtschaftlich ausbuchstabierten KundInnendemokratie. Ganz unverblümt bringt dies der Slogan „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“ einer bekannten Drogeriemarktkette auf den Punkt.
Das Engagement in einer solidarischen Direkthandels-Initiative kann helfen, sich den weltweiten Ungerechtigkeiten nicht vollkommen hilflos ausgeliefert zu fühlen, sondern zumindest im Kleinen etwas zu tun und die Wirksamkeit des eigenen Handelns direkt zu erfahren. Vielleicht entstehen ja auch mit den kleineren oder größeren selbstorganisierten Handelsstrukturen Keimformen einer anderen, solidarischen Wirtschaftsweise, in der wertvolle Erfahrungen für eine Welt jenseits des Kapitalismus gesammelt werden können.