Weil Donald Trump ihn ablehnt, gewinnt der Freihandel an Popularität. Aber ist er gerecht im Sinne der Menschen oder nur im Sinne der Märkte? Dazu erschien in der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ folgender Beitrag:
In dem Ringen darum, was alles in den Kanon einer aufgeklärten Gesellschaft gehört, erlangt der Freihandel zur Zeit wieder eine Stellung, die er schon längst verloren hatte. Dabei brachte spätestens die Finanzkrise 2008 und die Eurokrise 2010 die herrschende Wirtschaftslehre in Diskredit. Hatte auf ihrer Grundlage doch niemand die Krise antizipieren, geschweige denn eine Politik zu ihrer Bewältigung entwickeln können. Was für die Gesellschaften schlecht gewesen war – die Sparmaßnahmen weltweit trafen die Schwachen am härtesten –, hatte etwas Pluralität in die Forschung gebracht. Von der herrschenden Lehre abweichende Ansichten und Methoden waren wieder möglich – übrigens in den USA mehr als in Deutschland.
Aber jetzt, wo Washington durchdreht, kramt die Politik in Deutschland die Plattitüden des Washington Consensus wieder heraus: Durch Handel wird es allen besser gehen, Freihandel ist „vernünftig“.
Der Freihandel kann auch zur Ausbeutung ganzer Staaten führen
Die Überzeugung, dass Handel die Wohlfahrt aller beteiligten Nationen erhöhe, ist eine Kernaussage der ökonomischen Theorie des neunzehnten Jahrhunderts: Unter Erfüllung bestimmter Bedingungen gelte das selbst dann, wenn das eine Land alle Produkte schneller und günstiger produzieren könne als das andere. Indem sich beide Länder auf die Güter spezialisieren, die sie am besten herstellen und gegen die jeweils anderen tauschen, hätten sie am Ende des Tauschgeschäfts mehr Reichtum angehäuft als wenn sie versuchten, alles selbst zu produzieren.
Im zwanzigsten Jahrhundert haben andere Ökonomen, insbesondere Eli Heckscher und Bertil Ohlin, gezeigt, dass Handel zu einer Spezialisierung von Produktionsfaktoren führen kann: Während das eine Land sich auf Technologien und kapitalintensive Produktionen spezialisiere, bleibe dem anderen Land nichts weiter, als immer intensiver die eigenen Bodenschätze und Arbeitskräfte auszubeuten. Dies führt zu einem erhöhten Wohlstand in dem technologisierten Land und zu einer zunehmenden Abhängigkeit des anderen. Offene Märkte führen dann nicht zu offenen Gesellschaften, sondern erhöhen den Druck in Ländern mit hoher Rohstoff- oder Arbeitsintensität und befeuern soziale und in einigen Fällen sogar bewaffnete Konflikte. Zum Beispiel indem Gewerkschafter unter Druck gesetzt oder getötet werden oder durch die Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen, um ihr Land zu nutzen.
Offene Märkte sind nicht per se vernünftig
Diese handelstheoretischen Grundsätze nutzen zwar wenig für eine Analyse der Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU – beide Seiten sind kapitalintensiv. Aber es ist sinnvoll, sich an sie zu erinnern und nicht unkritisch offene Märkte auf die Seite der Vernunft zu schlagen.
Donald Trump unterminiert das WTO-System, indem er Strafzölle auf Importe mit nationaler Sicherheit rechtfertigt, anstatt auf WTO-Mechanismen zurückzugreifen. Das ist aber nicht deshalb ein Problem, weil es den Freihandel beschränkt. Im Gegenteil, die ohnehin niedrigen internationalen Standards zur Regulierung des Freihandels werden so noch zahnloser.
Wer hier auf den „Böser-Trump“-Zug aufspringt, um offene Märkte als Teil des Wertekanons offener Gesellschaften festzuschreiben, richtet doppelten Schaden an: Erstens, trägt er oder sie einer weiteren diskursiven Verwässerung der weltweit in Verteidigungsnot geratenen Demokratie bei. Zweitens, diskutiert er oder sie die internationale Wirtschaftsarchitektur mal wieder nur im Sinne der Märkte und nicht im Sinne der Menschen.