Österreich: Bewegung fordert CETA-Volksabstimmung

Der schwarz-blaue Ministerrat hat im Mai grünes Licht für die Ratifizierung von CETA gegeben. Im Juni wird das EU-Kanada-Freihandelsabkommen ins Parlament kommen. „Mit dem FPÖ-Umfaller erleben wir den dritten Akt einer Schmierentragödie, mit der die Machthaber den Mehrheitswillen der Bevölkerung und die österreichische Verfassung ausbremsen wollen. Leisten wir dagegen Widerstand“, heißt es beispielsweise bei der Initiative Solidarwerkstatt. Wir zitieren den Aufruf:


CETA wird als „gemischtes Verfahren“ gewertet. Jene Teile des Abkommens, die ausschließliche Unionskompetenz sind, werden bereits seit Herbst 2017 „vorläufig angewendet“. Dieses undemokratische Instrument, einen Vertrag noch vor Ratifizierung in Kraft zu setzen (möglicherweise bis zum St. Nimmerleinstag), wurde der EU mit dem Vertrag von Lissabon in die Hand gegeben. Jene Teile von CETA, die der nationalen Zustimmung bedürfen, müssen aber von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Sonst kippt das gesamte Abkommen. In die nationale Kompetenz fallen vor allem jene Teile von CETA, durch die Konzernen eine privilegierte Sonderjustiz eröffnet wird (ISDS / ICS).

Zwei-Klassen-Justiz zugunsten von Großkonzernen

Für CETA wurden die bisherigen privaten Schiedsgerichte (ISDS = Investor-State-Dispute-Settlement) durch ein Investitionsgerichtssystem (ICS = Investment Court System) ersetzt. Am grundlegenden Problem ändert sich dadurch nichts. Denn auch im ICS wird Konzernen eine privilegierte Möglichkeit eröffnet, ihre Interessen gegenüber dem Staat durchzusetzen. So kann ein Staat im Fall sog. „indirekter Enteignung“ zu hohen Strafzahlungen gezwungen werden. Unter „indirekte Enteignungen“ fallen gesetzliche bzw. regulatorische Maßnahmen etwa in den Bereichen Soziales, ArbeitnehmerInnen-, Umwelt-, Gesundheits- oder Konsumentenschutz, durch die Unternehmen ihre Gewinnerwartungen frustriert sehen. Das kann – wie bisherige Erfahrungen zeigen – zu milliardenschweren Belastungen für die öffentlichen Budgets führen bzw. von vornherein den Gesetzgeber dazu veranlassen, aus Angst vor solchen Strafen von entsprechende Sozial- oder Umweltgesetzen Abstand zu nehmen. Auch die neu eingeführten „Schutzbestimmungen“ für die Staaten entpuppen sich als völlig zahnlos. So heißt es, dass die Regierungen „notwendige Maßnahmen“ mit „legitimen“ Zielen verfolgen dürfen. Was „notwendig“ und „legitim“ bedeutet, entscheiden wiederum die SchiedsrichterInnen in Streitverfahren. An der Zwei-Klassen-Justiz und der Entmündigung der Parlamente ändert das nichts.

Auch prozessural sind solche ICS keineswegs mit staatlichen Gerichten vergleichbar (z.B. keine Unabhängigkeit der RichterInnen). Die EU sieht das Investitionsgerichtssystem ICS als Vorstufe zu einem Multilateralen Investitionsgerichtshof. Das ist brandgefährlich, da dadurch die Zwei-Klassen-Justiz zugunsten der Konzerne, die im Rahmen bilateraler ISDS noch immer zeitlich und räumlich beschränkt ist, verallgemeinert und verewigt würde.

Schmiertragödie in drei Akten gegen den Mehrheitswillen…

CETA hat den Ministerrat passiert und soll im Juni 2018 ins Parlament kommen. Wir erleben dann den dritten Akt einer Schmierentragödie, wie der Mehrheitswille der Bevölkerung systematisch ausgebremst wird, um dieses EU-Freihandelsabkommen um jeden Preis durchzudrücken:

1. Akt: Bundeskanzler Kern hätte im Herbst 2016 CETA beerdigen können, hätte er auf EU-Ebene – wo Einstimmigkeit erforderlich war – gegen CETA gestimmt. Trotz eindeutigem Ergebnis einer innerparteilichen Mitgliederbefragung fällt er in Brüssel um. FP-Chef HC Strache wettert gegen „den Bauchfleck und Kniefall vor der EU“. Womit er leider Recht hat. CETA gilt – siehe oben – als „gemischtes Verfahren“. Insbesondere jene Teile von CETA, die Sonderjustiz für Konzerne beinhaltet (ICS) erfordert eine nationale Ratifizierung aller Parlamente der EU-Staaten. Die FPÖ verspricht hoch und heilig, dass eine Volksabstimmung über CETA eine absolute Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung der FPÖ ist.

2. Akt: Die SPÖ verhindert, dass die Ratifizierung von CETA noch vor den Nationalratswahlen in Parlament kommt, weil es zu diesem Zeitpunkt eine deutliche Mehrheit gegen CETA gegeben hätte (die FPÖ konnte ja nicht schon vor der Wahl umfallen). Christian Kern erklärte offenmütig seinen Beweggrund: „Im Parlament gibt es momentan keine Chance, einen positiven Beschluss für dieses Freihandelsabkommen zu erreichen. Ich will verhindern, dass das Abkommen … durch eine Ablehnung im Nationalrat als Ganzes scheitern würde.“ (Kronen-Zeitung, 4.10.2017). Er fiel damit auch jene sozialdemokratischen Bürgermeistern in den Rücken, die das erfolgreiche Volksbegehren gegen CETA & Co gestartet hatten, das im Jänner 2017 von über 560.000 ÖsterreicherInnen unterzeichnet wurde.fpoe ceta

3. Akt: Nach den Wahlen ist die FPÖ mit dem Umfallen an der Reihe. Im schwarz-blauen Regierungspakt wird die Zustimmung zu CETA paktiert. Eine Volksabstimmung  zu CETA wird ausgeschlossen. Im Mai 2018 geben schwarz und blau grünes Licht für die Ratifizierung im Parlament. Jetzt darf die SPÖ wieder gegen CETA sein. Entsprechend laut wird gegen die „Arbeiterverräter“ von der FPÖgeschimpft. Was ebenso richtig wie – aus dem Mund der SPÖ-Oberen (siehe 1. und 2. Akt) – unglaubwürdig ist.

 

… und gegen die österreichische Verfassung

Wir müssen alles tun, Widerstand gegen diese Schmierentragödie zu leisten. Die Möglichkeit dafür gibt es. Ein von der AK NÖ und der AK Wien in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von Dr. Konrad Lachmayer begründet, dass CETA aufgrund der privaten Schiedsgerichte gegen die österreichische Verfassung verstößt, da es die nationale Gerichtsbarkeit aushebelt, adäquate Rechtsschutzmöglichkeiten fehlen und eine Form der Staatshaftung einführt, die keine Entsprechung in der Verfassung findet. Seine Schlussfolgerung daher:

„Die Internationale Streitbeilegung in Investitionsstreitigkeiten erfüllt daher die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art 9 Abs 2 B-VG iVm Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG sowie die damit im systematischen Zusammenhang stehenden Bestimmungen des B-VG, insbesondere in Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, nicht. Da Staatsverträge seit der B-VG Novelle 2008 nicht verfassungsrechtlich genehmigt werden können, bedarf es einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Grundlage der Internationalen Streitbeilegung, etwa im B-VG.“ (1)

Bundespräsident muss österreichische Verfassung schützen!

Dieses Gutachten wurde noch vor der Umstellung von ISDS auf ICS erstellt. Da aber das ICS im Wesentlichen nur kosmetische, prozedurale Änderungen bringt und an der Sonderjustiz für Konzerne nichts Grundlegendes ändert, trifft dieses Gutachten auch auf den derzeitigen CETA-Vertrag zu.

Damit ergibt sich folgende rechtliche Situation (siehe dazu im Detail auch die Argumentation der „Initiative Mehr Demokratie“):

  1. Angesichts dieser ungelösten verfassungsrechtlichen Probleme ist davon auszugehen, dass auch für die Finalversion von CETA bzw. für ICS keine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage besteht. Die Ratifikation von CETA benötigt daher eine vorhergehende Änderung der Bundesverfassung. Begründung: Seit der B-VG-Novelle aus 2008 sind keine verfassungsändernden Staatsverträge mehr möglich. Es bedarf daher vor der Ratifikation von CETA einer Verfassungsänderung, die für ICS eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage schafft.
  2. Bei Verfassungsänderungen kann ein Drittel der Abgeordneten des Nationalrats oder Bundesrats eine Volksabstimmung verlangen.
  3. Die SPÖ hat durch die Kärntner Landtagswahl ihr 21. Bundesrats-Mandat dazugewonnen und verfügt somit ab Konstituierung des Kärntner Landtags über ein Drittel der insgesamt 61 Mandate des Bundesrats. Die SPÖ kann daher durch ihre Bundesrats-Abgeordneten eine Volksabstimmung über diese Verfassungsänderung durchsetzen, die vor Ratifizierung von CETA erforderlich ist.
  4. Sollte die Regierung CETA ohne vorhergehende Verfassungsänderung ratifizieren wollen, so müsste die Ratifikation an der erforderlichen Unterschrift des Bundespräsidenten scheitern. Es ist schließlich die Aufgabe des Bundespräsidenten, mit seiner Unterschrift zu beurkunden, dass eine Entscheidung des Parlaments verfassungsgemäß zustande gekommen ist. Er hat die Unterschrift also zu verweigern, wenn dies nicht der Fall ist.