In Österreich wird der Nationalrat am 14. Juni 2018 über CETA abstimmen. Erst dann können z.B. die Investitionsschutzbestimmungen (Sonderklagerechte für Konzerne) in Kraft treten. Die österreichische Arbeiterkammer, die gesetzliche Interessenvertretung der Beschäftigten, ist strikt gegen CETA: Es bringe in der jetzigen Form mehr Risiken als Chancen. Deshalb hat sie mit der Gewerkschaft GPA-djp die Argumente der BefürworterInnen durchleuchtet. Es zeigt sich: Ihre Behauptungen sind auf Sand gebaut.
Argument 1: „Wir konnten CETA alle Giftzähne ziehen – und zwar mit einer gemeinsamen Erklärung zwischen der EU und Kanada, dem so genannten „Beipackzettel“ („Joint Interpretative Instrument“).
Fakt: Die Giftzähne sind noch alle da!
Der „Beipackzettel“ hilft nur, den CETA-Vertragstext zu interpretieren. Er ändert aber den Vertrag nicht und wäre auch nicht rechtsverbindlich. Im Beipackzettel stehen Inhalte, die dem CETA-Vertragstext klar widersprechen. Ein Beispiel: „CETA wird nicht dazu führen, dass ausländische gegenüber heimische Investoren begünstigt werden.“
Das soll offensichtlich Kritikerinnen und Kritiker beruhigen. Doch der Beipackzettel ändert nichts an den problematischen Inhalten von CETA, etwa hinsichtlich Investitionsschutz (Sonderklagerechte für Konzerne), öffentliche Dienstleistungen, Regulierungskooperation oder Arbeits- und Umweltstandards.
Argument 2: „Alle Bedenken der EU-Mitgliedsstaaten wurden durch den Beipackzettel beseitigt.“
Fakt: Viele Staaten haben Zusatzwünsche
Einige Mitgliedstaaten fanden für ihre Anliegen auch mit dem „Joint Interpretative Instrument“, also dem „Beipackzettel“ kein Auslangen. Außerdem mussten die Auflagen des deutschen Bundesverfassungsgerichts aufgenommen werden. Aus diesen Vorbehalten entstanden zusätzlich 38 Erklärungen und Statements von Rat, Kommission und Mitgliedstaaten, die in das Ratsprotokoll aufgenommen wurden. Diese einseitigen Erklärungen wurden ohne die Beteiligung Kanadas abgegeben.
Das sind die häufigsten Zusatzwünsche:
- Alleine zehn der Erklärungen beziehen sich auf die vorläufige Anwendung von CETA.
- Verschiedene Erklärungen weisen auch auf die Möglichkeit hin, aus dem Vertrag auszusteigen.
- Andere betreffen das Investitionsschiedsgericht, wobei auch inhaltliche Änderungen vorgenommen wurden. Auf diese Weise versuchen die Mitgliedstaaten einseitig gewisse Erwartungen beim Investitionsschutz zu deponieren.
- Weitere dieser einseitigen Erklärungen sind etwa dem gemischten CETA-Ausschuss, dem Vorsorgeprinzip nach AEUV Art 191, nationalen Zuständigkeiten (z.B. Wasser oder die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen) oder den öffentliche Dienstleistungen gewidmet.
Wünschen kann man sich was – aber das hat keine Rechtskraft
Die EU-Kommission vertritt den Standpunkt, dass lediglich die Erklärungen von Kommission und Rat rechtlich bindend seien, nicht jedoch jene der Mitgliedstaaten. Die Wirkung und Rechtsverbindlichkeit im Zusammenwirken zwischen CETA-Vertrag, gemeinsamem Auslegungsinstrument und den 38 Deklarationen sind weder der Kommission noch dem juristischen Dienst des Europäischen Parlaments klar. Sie bleiben bis dato völlig ungeklärt.
Argument 3: „CETA ist ein Handelsabkommen wie schon viele andere zuvor – was soll die Aufregung?“
Fakt: CETA gehört zu einer völlig neuen Generation von Handels- und Investitionsabkommen.
Die EU-Kommission selbst gibt an, dass CETA das bisher „mit Abstand weitreichendste Abkommen“ der EU sei. Es geht weit über den klassischen Freihandel durch Zollsenkungen hinaus, weil auch gänzlich andere Felder behandelt werden: z.B. Investitionsschutz und Investitions(schieds)gerichte, Regulierungskooperation, Liberalisierung von Dienstleistungen, öffentliche Auftragsvergabe, geistige Eigentumsrechte.
Argument 4: „CETA ist ein solides Abkommen, alles ist klar geregelt“
Fakt: CETA bringt viel Rechtsunsicherheit
Erfahrungen mit jeglicher Art von Abkommen zeigen, dass viele unbestimmte Rechtsbegriffe im Nachhinein ausjudiziert werden müssen. CETA enthält etwa im Investitionsschutz (Sonderklagerechte für Konzerne) weitreichende Verpflichtungen für den Staat, z.B. dass ein kanadischer Investor vor Ort „gerecht und billig“ behandelt werden muss. Was das konkret bedeutet, ist Auslegungssache. Es obliegt den Sondergerichten, diese Bestimmung in konkreten Investor-Staat-Klagen in einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auszulegen und Schadensersatzforderungen zu gewähren. Das Investitionssondergericht ist bei ihrer Auslegung nicht an die nationale Rechtsprechung gebunden. Daher ist so gar nichts klar, im Gegenteil: CETA bringt viel Rechtsunsicherheit.
Argument 5: „CETA ist ein solides Abkommen, alles ist klar geregelt.“
Fakt: Wirtschaft wächst höchstens im Promillebereich
Studien ergeben, dass CETA nur extrem geringe positive ökonomische Effekte erzeugen wird: Innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre wird das BIP in der gesamten EU lediglich um 0,023 % wachsen. Davon profitieren aber vor allem große EU-Länder (Deutschland, Frankreich, Italien).
Argument 6: „Mit CETA werden Arbeitsplätze geschaffen.“
Fakt: Nur wenige Arbeitsplätz entstehen
Allzu optimistisch kann man den Zuwachs an Arbeitsplätzen durch CETA nicht betrachten. EU-weit würde die Beschäftigung langfristig um 0,018 % zunehmen. In Österreich könnte im besten Fall langfristig, das heißt im Laufe der nächsten zehn bis zwanzig Jahre, ein Plus von 450 Arbeitsplätzen entstehen.
Argument 7: „Mit CETA werden die Löhne steigen“
Fakt: Die Löhne steigen nur um ein paar Euro
Für die ganze EU liegt der mögliche Einkommenszuwachs durch CETA bestenfalls bei 0,023 %, für Österreich bei 0,016 %. Das wären in Summe nach zehn bis zwanzig Jahren sechs Euro pro ÖsterreicherIn.
Argument 8: „CETA bringt Verbesserungen im ArbeitnehmerInnen-Schutz.“
Fakt: Bei mangelndem ArbeitnehmerInnenschutz gibt es keine Strafen
In CETA geht es lediglich um die Achtung, Förderung und Verwirklichung der grundlegendsten Rechte bei der Arbeit. Die Bestimmungen sind aber völlig unverbindlich, eine Sanktionierung ist nicht vorgesehen. Den Gewerkschaften ist es immer darum gegangen, keine leeren Lippenbekenntnisse zu produzieren, sondern die Rechte der ArbeitnehmerInnen auch durch Sanktionierungen durchsetzen zu können. Das muss auch für Freihandelsabkommen gelten.
Argument 9: „Mit CETA werden Standards ausdrücklich geschützt“.
Fakt: EU-Standards könnten untergraben werden
In CETA wird zwar von einem hohen Schutzniveau für „das Leben und die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sowie Umwelt“ gesprochen, eine nähere Definition bleibt jedoch aus. Auch wenn die EU-Standards weiterhin bestehen bleiben, kann es mittel- bis langfristig zu einer Untergrabung kommen. Durch die niedrigeren Produktionsstandards und -kosten können langfristig kanadische, billigere Waren die europäischen ProduzentInnen unter Druck setzen.
Argument 10: „Das Vorsorgeprinzip wird in CETA berücksichtigt“
Fakt: Das Vorsorgeprinzip ist bei CETA gar nicht erwähnt
Die EU wendet in vielen Bereichen des Gesundheits- und des Umweltschutzes das so genannte Vorsorgeprinzip an, etwa bei Gentechnik, Lebensmittelsicherheit oder gefährlichen Chemikalien. Das heißt: So lange nicht alle Risiken geklärt sind, können bestimmte Produkte und Herstellungsweisen verboten werden. Dieser Vorsorgegrundsatz ist im Europarecht verankert, findet in CETA jedoch keine Erwähnung. Im Gegenteil, es wird der sogenannte „wissenschaftsbasierte Ansatz“ verfolgt. Das bedeutet, dass handelsbeschränkende Regulierungen (z.B. Arbeitsschutzbestimmungen, Schutz der KonsumentInnen und der Umwelt) in der Regel auf Dauer nur dann zulässig sind, wenn z.B. die Gefährlichkeiten von Chemikalien oder einer Technologie wissenschaftlich bewiesen ist.
Argument 11: „Öffentliche Dienstleistungen sind aus CETA ausgenommen.“
Fakt: CETA kann öffentliche Interessen gefährden
Bereits bei den umstrittenen Investitionsschutzbestimmungen zeigt sich: Öffentliche Dienstleistungen sind nicht aus dem Anwendungsbereich von CETA ausgenommen. Die damit eingeräumten Sonderklagerechte können somit dazu eingesetzt werden, öffentliche Interessen über den Hebel weit auslegbarer Investorenrechte unter Druck zu setzen (z.B. bei untersagten Preiserhöhungen). Das gilt selbst in sensiblen Bereichen wie z.B. Energie oder Wasserversorgung.
Argument 12: „In CETA gibt es keine Verpflichtungen, öffentliche Dienstleistungen zu liberalisieren.“
Fakt: Daseinsvorsorge ist nicht ausgenommen, also in Gefahr
In CETA kommt erstmals in einem EU-Freihandelsabkommen der sogenannte „Negativlistenansatz“ zur Anwendung. Damit geht CETA zunächst von der Grundregel aus, dass Beschränkungen des freien Marktzugangs und Wettbewerbs in allen Dienstleistungsbereichen verboten sind. Ohne umfassende und rechtssichere Ausnahmen darf nur immer weiter liberalisiert werden – deswegen wird auch vom Prinzip „Nenne oder verliere es“ gesprochen. Umso schwerer wiegt das Versäumnis, dass Leistungen der Daseinsvorsorge nicht komplett aus dem CETA-Vertrag herausgenommen worden sind. Stattdessen sind für Bereiche wie z.B. Abwasserentsorgung, Abfallwirtschaft, gemeinnütziger Wohnbau oder Energie gänzlich fehlende oder nur lückenhafte Ausnahmen anzutreffen. Dazu kommt: Auch das Risiko von Investitionsschutzklagen in der Daseinsvorsorge ist keineswegs gebannt.
Argument 13: „In CETA ist das Recht des Staates zur Regulierung explizit festgeschrieben.“
Fakt : Konzerne können Staaten für Regulierungen verklagen
Multinationale Konzerne können mit CETA Staaten verklagen, wenn diese Gesetze verabschieden, die zu einem wirtschaftlichen Nachteil führen (z.B. Umweltstandards, Arbeits- und KonsumentInnen-Schutz). Die von bereits bestehenden Schiedsgerichten festgelegten Schadensersatzzahlungen, die die SteuerzahlerInnen aufzubringen haben, gehen in die Millionen und zusehends auch Milliarden Euro. Zudem schränkt das Sonderklagerechte für ausländische Investoren den politischen Spielraum von Staaten immens ein: Wenn zu befürchten ist, dass bspw. bei einer Ausweitung von ArbeitnehmerInnenrechten ein internationaler Konzern klagt, wird sich eine Regierung sehr vorsichtig verhalten, überhaupt ein solches Gesetz zu verabschieden.
Argument 14: „Inländische Investoren sind ausländischen Investoren gleichgestellt.“
Fakt: Nur ausländische Investoren haben privilegierte Klagerechte
Nur ausländische Unternehmen besitzen mit CETA das privilegierte Klagerecht, das sie bei staatlichen Regulierungen zu ihrem wirtschaftlichen Nachteil nutzen können. Der rechtliche Schutz in CETA geht weit über das übliche nationale Eigentumsrecht hinaus und reicht damit vom Zivilrecht über das allgemeine Verwaltungsrecht bis zum Sozial- und Steuerrecht. Somit kommt es zu einer Diskriminierung inländischer Investoren, die die Stütze des Arbeitsmarktes sind.
Argument 15: „Die Richter im Investment Court System (ICS) sind unabhängig und garantieren ein klares Schiedsverfahren.“
Fakt: Unabhängigkeit der RichterInnen ist nicht gewährleistet
Die fachliche und finanzielle Unabhängigkeit der RichterInnen des ICS ist keinesfalls gewährleistet. Sie rekrutieren sich aus den bereits heute in der Branche tätigen InvestitionsrechtsexpertInnen. Bei Zuwiderhandeln gegen einen Verhaltenskodex für die RichterInnen sind keine Sanktionen wie etwa Amtsenthebung vorgesehen.
Die namentlich bekannten ICS-RichterInnen bekommen für ihre Verfügbarkeit eine geringe monatliche Entschädigungszahlung. Aber ihr eigentlicher Verdienst ergibt sich aus der Abwicklung eines Schiedsverfahrens: Die RichterInnen sind entsprechend dem Streitwert finanziell beteiligt. Diese Regelung bietet einen starken Anreiz, die Schadensersatzforderungen hoch anzusetzen und viele Klagen zu führen.