Warum ignoriert die EU jedwede Kritik an ihrer Handelspolitik? Weil ihr die Konzerne wichtiger sind als die BürgerInnen. Das sieht man auch an ihrem Umgang mit Steuerhinterziehern: Sie lässt sich von Wirtschaftsprüfern beraten, die Steuersparmodelle für Konzerne anbieten. Das steigt eine Analyse von Corporate Europe Observatory.
Jedes Jahr gehen den öffentlichen Kassen Milliarden Euro verloren, weil Unternehmen Staaten mit ausgefeilten Steuersparmodellen um ihre Einnahmen prellen. Corporate Europe Observatory (CEO) zeigt in einer neuen Studie auf, wie die EU sich in Fragen der Steuerpolitik ausgerechnet von denen beraten lässt, die an der Steuervermeidung bestens verdienen: Den als „Big Four“ bekannten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Deloitte, KPMG, E&Y und PwC.
Eine Studie des Europäischen Parlaments schätzt, dass die Steuervermeidung durch Unternehmen die Mitgliedstaaten der EU jedes Jahr zwischen 50 und 70 Milliarden Euro kostet – manche sprechen sogar von 160 bis 190 Milliarden Euro. Zur „Steuervermeidungsindustrie“ zählt man all diejenigen, die Steuervermeidung ermöglichen. Dazu gehören Steuerberater, Wirtschaftsprüfungsunternehmen, auf Steuern spezialisierte Anwaltskanzleien und Finanzinsitutionen wie Banken. Die vier weltgrößten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Deloitte, EY, KPMG, und PricewaterhouseCoopers (PWC) mischen maßgeblich bei der milliardenschweren Steuervermeidung durch Großkonzerne mit, indem sie Steuervermeidungsmodelle für Großkonzerne entwickeln und sie ihnen verkaufen.
Doch obwohl die „Big Four“ in der Steuervermeidung eine Schlüsselrolle haben, sehen EU-Institutionen und die Regierungen der Mitgliedstaaten sie als legitime und neutrale Berater in der Politik gegen Steuervermeidung an. Klingt absurd, ist aber die Realität: Die neue Studie von CEO zeigt, dass die „Big Four“ im Europäischen Politikprozess zur Bekämpfung der Steuervermeidung allgegenwärtig sind.
Die Einflusskanäle sind vielfältig
Öffentliche Aufträge: Die „Big Four“ erhalten jedes Jahr von der Europäischen Kommission öffentliche Aufträge im Wert von Dutzenden Millionen Euro – darunter fallen auch Aufträge im Bereich der Steuerpolitik. Diese Aufträge beinhalten for allem Studien und Folgenabschätzungen, die oft die Grundlage für politische Entscheidungen sind. Immer wieder werden Steuerberater sogar für Beratungsleistungen zu genau den Steuermaßnahmen herangezogen, gegen die sie ansonsten Lobbyarbeit betreiben.
Lobbyverbände: Die „Big Four“ haben einflussreiche Positionen in verschiedenen Lobbyverbänden, die EU-Politik zu Fragen der Steuervermeidung beeinflussen, etwa die „European Business Initiative on Taxation“ oder die „European Contact Group“.
Beratungsgruppen: Diese Gruppen beraten die EU-Kommission. Ihre Ergebnisse bilden oft die Grundpfeiler neuer EU-Gesetzgebung. Die Steuervermeidungsbranche wurde in der Vergangenheit bereits häufig in Beratungsgruppen der EU-Kommission eingeladen, um diese bei der Bekämpfung der Steuervermeidung zu unterstützen, zum Beispiel in das Gemeinsame EU-Verrechnungspreisforum oder die Plattform für verantwortungsvolles Handeln im Steuerwesen.
Seitenwechsel: Die „Big Four“ und die mit Steuerpolitik betrauten EU-Beamten verbindet eine gemeinsame Kultur und Weltanschauung. Diese werden durch die schon fast zur Norm gewordenen Seitenwechsel zwischen Kommission und Privatwirtschaft stets verfestigt. Diese Seitenwechsel finden auf allen Ebenen statt, von der Fachreferentin bis zum hochrangigen Beamten oder EU-Kommissar.
Wie die öffentliche länderbezogene Steuertransparenz verwässert wurde
Seit massive Steuerskandal wie die Panama Papers ans Licht kamen, bemühen sich EU-Kommission und EU-Parlament verstärkt, Steuervermeidung zu bekämpfen. Ein konkretes Beispiel für den Einfluss der „Big Four“, aber auch der Großunternehmen auf diese Maßnahmen gegen Steuervermeidung ist die öffentliche länderbezogene Steuerberichterstattung. Sie würde Unternehmen dazu verpflichten, ihre Gewinne für alle Länder offenzulegen, um deren Verlagerung in Steueroasen aufzudecken. Die EU-Kommission brachte einen ambitionierten Vorschlag ein, doch Lobbygruppen wie der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), die Amerikanische Handelskammer bei der EU oder Accountancy Europe setzten schließlich im EU-Parlament eine Ausstiegsklausel durch, mit der Unternehmen „wirtschaftlich sensible“ Daten geheim halten können – ein immenses Schlupfloch. Bei vielen dieser Lobbygruppen nehmen Mitarbeiter der Big Four zentrale Rollen ein.
Deutschland blockiert, was von der länderbezogenen Transparenz übrig ist
Aber auch die Bundesregierung nimmt hier eine hochgradig problematische Rolle ein: Trotz Verwässerung und Ausnahmen blockiert die Bundesregierung die öffentliche, länderbezogene Steuerberichterstattung im EU-Ministerrat. LobbyControl fordert, dass Olaf Scholz als Finanzminister den Weg für echte Steuertransparenz in Europa freimacht, damit Konzerne ihren fairen Beitrag zum Gemeinwohl leisten.
Steuervermeidung: Politik muss auf Distanz gehen!
Die Big Four tragen mit Steuersparmodellen und massiver Lobbyarbeit maßgeblich dazu bei, dass Konzerne die EU-Staaten jährlich um Milliardenberträge prellen. Wenn die EU nun ausgerechnet diese Wirtschaftsprüfer bei der Steuerpolitik als Berater engagiert, macht sie den Bock zum Gärtner. Die Politik muss die „Big Four“ endlich von der Gestaltung der Steuerpolitik fernhalten, damit sie nicht im Sinne von Partikularinteressen erfolgt, sondern im Interesse der Öffentlichkeit.
Eine Zusammenfassung der von Corporate Europe Observatory veröffentlichten und vom Europäischen Gewerkschaftsbund, der österreichischen Arbeiterkammer, dem österreichischen Gewerkschaftsbund und LobbyControl e.V. unterstützten Studie findet sich hier: Frisieren-und-mitregieren.-Die-Big-Four-und-die-Steuervermeidung-Zusammenfassung-deutsch