Schleswig-Holstein zeigt, dass es auch anders geht

 

Warum schränken PolitikerInnen freiwillig ihre Handlungsspielräume ein? Weshalb widersetzen sich die hiesigen Grünen nicht? Dabei ist das durchaus möglich, wie ein Beispiel aus dem Norden zeigt – und wie Olaf Rahmstorf in seiner Rede zum Grünenparteitag in Konstanz ausführte.

Leider sind heute nicht so viele gekommen wie erhofft, aber zahlreiche engagierte Bürger und Bürgerinnen sind natürlich in den Hambacher Forst gefahren.Auch wenn die Rodung jetzt vorübergehend gestoppt ist, ist dort ja noch nichts entschieden.

Im Hambacher Forst geht es weniger um ein Stückchen Wald als um die Weichenstellung für eine einigermaßen realistische Klimapolitik. Die Sorge, ob sich der Klimawandel noch aufhalten lässt, und welchen Preis in Form von Menschenleben, Obdachlosigkeit und kollabierenden Landwirtschaften die Menschheit dafür zahlen muss, ist derzeit sicher die brennendste Zukunftsfrage. Die ganze hochgekochte Flüchtlingsdebatte seit 2015 wird uns eines Tages lächerlich vorkommen, wenn wir mit einem Heer an Klimaflüchtlingen konfrontiert sind, weil weite teile Afrikas unbewohnbar werden.

Wir können sicher sein, dass mit einer grünen Beteiligung an der Bundesregierung heute ganz anders über den Ausstieg aus der Kohle verhandelt würde und dass ein Dieselskandal nicht mit einem Konjunkturprogramm für die Autoindustrie beantwortet würde.

Da können wir sicher sein.

So sicher, wie wir in Bezug auf die Haltung der Grünen zu CETA sind. Die Landesvorsitzende, Sandra Detzer, hat vorhin noch einmal an die Haltung der GRÜNEN erinnert: „CETA ist und bleibt nicht zustimmungsfähig. Dies muss weiterhin GRÜNE Haltung auf allen Entscheidungsebenen sein.“

Wir könnten demnach heute ganz gelassen zu Hause bleiben, denn CETA wird den Bundesrat nicht passieren – womit die Zustimmung der Bundesregierung zum Vertrag aller Voraussicht nach vom Tisch wäre. Denn wie die Mehrheitsverhältnisse derzeit im Bundesrat liegen: bei einer Enthaltung Baden Württembergs würde CETA bei im Bundesrat wohl scheitern.

Warum sind wir also hier?

Vor knapp zwei Wochen sagte Winfried Kretschmann zum Kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau: „Ich bin zuversichtlich, die Vorbehalte gegen CETA noch ausräumen zu können.“ Trudeau twitterte begeistert: „Very positive meeting with German Minister-President Kretschmann of Baden-Württemberg today, focused on trade, growing the Canadian & German economies, and the benefits we’re seeing from #CETA.“

Angesprochen auf diesen Widerspruch wies die Landesvorsitzende vorhin auf unterschiedliche Rollen in Partei und Regierungsämtern hin. Das ist sicher richtig – aber kann es sein, dass ein grüner Regierungschef sich über glasklar formulierte Parteilinien hinwegsetzt?

Ja, das kann leider sein und wäre bei Herrn Kretschmann auch keine gar so große Überraschung.

Am Druck innerhalb der Koalition, am Pragmatismus in Regierungsverantwortung also, kann es indes nicht liegen. Das haben die Grünen in Schleswig Holstein vorgemacht. Obwohl sie dort in einer CDU-Grünen-FDP-Koalition der schwächere Partner sind, konnten sie im Koalitionsvertrag die Enthaltung der Landesregierung bei der CETA-Abstimmung im Bundesrat durchsetzen. Es ist im übrigen Usus, dass sich Koalitionen in solchen Fällen enthalten.

Man könnte also meinen es steht Krach ins Haus bei den Grünen. Aber seltsam, das Thema ist auf der Tagesordnung des heutigen Parteitags noch nicht vermerkt.

Ist es also einfach ein unbedeutendes Thema? Oder kein genuin grünes Thema? Im Gegensatz zum Klimawandel?

Nein, auf gar keinen Fall. Denn wir müssen fragen:

Welche Klimapolitik werden Sie oder Ihre Nachfolger denn machen, Herr Kretschmann, wenn Investoren mit einem Freihandelsabkommen im Rücken gegen neue Umweltauflagen klagen, weil dadurch der Ertrag ihrer Investitionen bedroht oder geschmälert wird? Sie wären der letzte, der gegen eine vertraglich ausgehandelte Rechtsposition opponieren würde.

„Bestehende Verträge sind einzuhalten.“

Die Grünen, welche aktuell ein entschiedenes Durchgreifen der Bundesregierung bei der Nachrüstung von Dieselfahrzeugen fordern, müssen sich sagen lassen: „Wir leben in einem Rechtsstaat! Aus juristischer Sicht kann man die Autoindustrie nicht zu dieser Nachrüstung zwingen. Man kann nur freundlich bitten.“ Als Jürgen Trittin 2001 den ersten Anlauf zum Ausstieg aus der Kernenergie startete, kam er mit der eigenen Basis in Konflikt, weil er sagen musste: „Bestehende Verträge sind einzuhalten.“

Angela Merkel war bei ihrem Atomaustieg forscher, handelte sich aber in der Folge Milliarden-Klagen der Atomkonzerne ein, die nur durch einen Deal mit enormen Zugeständnissen wieder beigelegt werden konnten. Und im Fall des Steinkohlekraftwerkes Hamburg-Moorburg wurde ein bereits verabschiedetes Umweltgesetz unter grüner Regierungsbeteiligung zurück genommen, weil eine teure Klage ins Haus stand.

Um nicht missverstanden zu werden: Es ist  richtig und gut, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Gerade im Moment hat man ja das Gefühl, man müsse diesen Rechtsstaat, den wir für selbstverständlich hielten, wieder verteidigen. Um so wichtiger ist es aber, sich zu fragen, welchen Verträgen mit welchen Klauseln man zustimmt. Diese Verträge entscheiden über die zukünftigen Handlungsspielräume der Politiker. Beim Erlassen von Umweltgesetzen wird zunehmend die Frage eine Rolle spielen, mit welchen Haftungsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen sein wird. Ja, der Staat haftet bei diesen Verträgen für den zukünftigen Renditeausfall der Konzerne!

Man hört demgegenüber ja immer, dass Konzerne überhaupt nur bei Enteignungen gegen Staaten klagen könnten. Der schöne Begriff der „indirekten Enteignung“ schließt allerdings den Renditeausfall als Form der Enteignung mit ein. Vertraglich abgesichert wird ein Recht auf angemessene Kapitalrendite – kein wirklich liberales Konzept, wenn man an die Lobeshymnen auf die Risikobereitschaft des freien Unternehmergeistes denkt. Die Konzerne haften hingegen nicht für die zukünftigen Schäden ihrer Unternehmenspolitik – das sehen wir ja gerade im Dieselskandal.

Der Investorenschutz ist nach wie vor Bestandteil von CETA!

Liebe Grüne, wir sind nicht naiv. Wir wissen, warum es historisch einen Investorenschutz gab, als es darum ging, dass westliche Unternehmen in Staaten mit unsicheren Regimen und fraglichem Rechtsgefüge investierten. Wir wissen auch, weshalb man hierfür unabhängige Schiedsgerichte einsetzen wollte, da man sich auf die Rechtsprechung des Partnerlandes nicht verlassen konnte. Und, Herr Kretschmann – wir wissen auch, dass Unternehmen vor allem Rechtssicherheit brauchen, wenn sie große Summen in ein Land investieren wollen.

Aber die neue Generation sogenannter Freihandelsabkommen wird zwischen funktionierenden Rechtsstaaten abgeschlossen. In diesem Fall benötigt man keine privaten Schiedsgerichte und auch keinen neuen Handelsgerichtshof. Vor allem nicht einen, der Klagemöglichkeiten nur einseitig, nur von Investoren gegen Staaten vorsieht, aber die umgekehrte Klagemöglichkeit der Staaten gegen Investoren im Partnerland nicht einplant. Zum Beispiel wenn Umweltstandards nicht eingehalten werden oder wenn Sozialdumping betrieben wird (übrigens beides eine Form der Wettbewerbsverzerrung – wenn man wirtschaftsliberal argumentieren möchte).

Den eigenen Spielraum freiwillig beschneiden?

Alles, was an schönem und gutem über Nachhaltigkeit, Umweltstandards, Gesundheitsschutz in den Verträgen drin steht (ja, da stehen wirklich auch solche schönen Sachen drin, ich hab’s gelesen)  sind Zielvorgaben, Absichtserklärungen und nicht durch Klagemöglichkeiten gedeckt.

Es war der Deutsche Richterbund der sich gegen die in TTIP und CETA vorgesehene Paralleljustiz mit einer klaren Stellungnahme gewandt hat. Er erkannte dabei nicht nur seine eigenen Interessen, sondern auch die historische Bedeutung eines eindeutigen und über Instanzen hierarchisch gegliederten Rechtswesens.

Nur bei den Politikern scheint es sich um eine Klasse zu handeln, die nicht einmal ihre eigenen Interessen verteidigt und den eigenen Handlungsspielraum freiwillig selbst beschneidet; die sich und Nachfolgenden die Möglichkeiten politischer Gestaltung nimmt. Gerade als pragmatisch denkender und machtbewusster Mensch (das meine ich jetzt gar nicht abwertend) sollten Sie, Herr Kretschmann, solchen Formen politischer Selbstbeschneidung nicht zustimmen.

Die Folgen dieser Verträge werden uns noch in zehn, zwanzig, dreißig Jahren und darüber hinaus beschäftigen. Gerade dann werden wir politische Gestaltung bitter nötig haben, wie es aussieht.

Liebe Grüne, ihr habt die historische Möglichkeit, den Musterfall eines solchen Vertrages zu verhindern! Um euch daran zu erinnern sind wir heute hier versammelt.


Agitpropkünsterlisch wurden die Reden auf unserer Kundgebung umrahmt von Gordi und seinen KollegInnen. Wer seine die exzellenten Stücke nachhören möchte: https://soundcloud.com/mvpeace