Neue Verfahren machen es möglich: Eine gentechnisch veränderte Rapssorte gilt in Nordamerika als „gentechnikfrei“ – und kommt per CETA über den Atlantik. Und nun wollen PolitikerInnen, Forscher und Konzerne auch noch das europäische Gentechnikrecht ändern. Das beschreibt ein Artikel in der aktuellen Ausgabe des Bio-KonsumentInnenmagazins „Schrot & Korn“.
Von Leo Frühschütz
In der europäischen Umweltpolitik gilt das Prinzip der Vorsorge. Demnach sollen Schäden für Mensch und Umwelt im Voraus vermieden werden. „Man soll den Brunnen nicht erst zudecken, wenn das Kind hineingefallen ist“, könnte man auch sagen. Das Vorsorgeprinzip betrifft auch das EU-Gentechnikgesetz. Das bedeutet: Firmen, die gentechnisch veränderte Pflanzen auf den Markt bringen wollen, müssen vorher nachweisen, dass die Pflanzen kein Risiko für Gesundheit und Umwelt darstellen. So weit, so gut.
Nun sind aber neue gentechnische Verfahren hinzugekommen. CRISPR/Cas zum Beispiel. Um diese Methoden ist ein Streit entbrannt. Fallen sie unter das Gentechnikrecht oder nicht? Es seien gentechnische Verfahren und die Risiken nicht ausreichend erforscht, argumentierten Bio- und Umweltverbände, unterstützt von Wissenschaftlern. Solange kein artfremdes Erbgut eingebracht werde, seien die Eingriffe mit natürlich vorkommenden Mutationen vergleichbar, hielten Gentechnikforscher dagegen.
Gericht entscheidet über Gentechnik
Letztendlich musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) darüber entscheiden. Das hat er im Juli 2018 auch getan und verkündigt, dass die neuen gentechnischen Verfahren unter das EU-Gentechnikrecht fallen. Damit hergestellte Produkte müssen nun einen strengen Zulassungsprozess durchlaufen und gekennzeichnet werden. Die Richter begründeten ihre Entscheidung insbesondere mit dem Vorsorgeprinzip: Würde man die neuen gentechnischen Verfahren aus dem Anwendungsbereich des EU-Gentechnikrechts ausklammern, könnten mögliche schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und Umwelt nicht verhindert werden, argumentierten die Richter.
Viele Verbraucher sehen es genauso. Für sie sind die Verfahren des Genome Editing eindeutig eine Form der Gentechnik und werden wie diese im Bereich der Lebensmittel abgelehnt. Das ergab eine Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) im November 2017. „Eindeutig fordern die Teilnehmenden eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, die mithilfe des Genome Editings produziert wurden. Außerdem erwarten sie eine strenge Regulation von Genome Editing durch die zuständigen Behörden“, schrieb das BfR.
Klöckner will Gentechnikrecht ändern
Doch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner ist das Urteil nicht recht. „Die klassische grüne Gentechnik mit CRISPR/Cas in einen Topf zu werfen, halte ich für sachlich falsch”, sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters. Klöckner argumentierte, dass sich mit Genome Editing landwirtschaftliche Probleme lösen und beispielsweise dürre-resistente Pflanzen züchten ließen. Durch das Urteil würde Europa „eine neue Technologie vor die Tür setzen“. Deshalb möchte die Ministerin über eine Änderung des Gentechnikrechts debattieren. Eigene Vorstellungen hat sie bisher nicht formuliert. Die Ministerin dürfte allerdings Vorschlägen, neue gentechnische Verfahren teilweise vom Gentechnikrecht auszunehmen, offen gegenüberstehen. Unterstützung bekommt sie dabei von Vertretern aus 85 europäischen Forschungseinrichtungen. Obwohl der EuGH ihre Forschungen gar nicht verbietet, sprachen sie von einem „De-facto-Bann“ für Genome Editing. Dabei seien die damit veränderten Pflanzen – sofern dabei kein fremdes Erbgut eingebracht wurde – „mindestens ebenso sicher“ wie Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung.
Die Agrarökologin Angelika Hilbeck von der ETH Zürich sieht das anders: „Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen, die zeigen, dass es auch bei den neuen gentechnischen Verfahren regelmäßig zu unerwarteten und unerwünschten Nebenwirkungen kommt.“ So könnten gen-editierte Pflanzen „unerwartete Giftstoffe oder Allergene bilden oder der Nährstoffgehalt sich ändern“. Auch sei offen, wie sich solche unerwarteten Effekte in der Umwelt auswirken, wenn die Pflanzen angebaut würden. Denn auf dem Acker verhielten sich die Pflanzen oft anders als im geschützten Labor. „Wie bei der klassischen Gentechnik unterschätzen die Entwickler systematisch das Wechselspiel zwischen Umwelt und Sorte und überschätzen den Faktor DNA“, erklärt Hilbeck. Die Agrarökologin fordert deshalb einen strengen Zulassungsprozess für genom-editierte Pflanzen: „Wer keine Regulierung will, duckt sich weg vor der Verantwortung.“ Und sie weist darauf hin, dass Verbraucher ohne Regulierung beziehungsweise Kennzeichnung nicht selbst entscheiden könnten, welche Produkte sie kaufen möchten.
Bei der Umsetzung des Gesetzes ist Eile geboten, denn in den USA und Kanada wird bereits eine mit den neuen gentechnischen Verfahren erzeugte Rapssorte der Firma Cibus angebaut. Sie gilt dort als gentechnikfrei und könnte in Importen enthalten sein. 2017 kauften die EU-Staaten 341 000 Tonnen Raps in Kanada, zur Ölgewinnung und als Futtermittel. „Die EU-Kommission und die Behörden der Mitgliedsstaaten müssen umgehend sicherstellen, dass diese Rapsimporte nicht nur auf die üblichen gentechnisch veränderten Rapslinien untersucht werden, sondern auch auf die Anwesenheit von Cibus-Raps“, fordert Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG). Der VLOG vergibt das Ohne Gentechnik-Siegel an garantiert gentechnikfreie Lebensmittel.
Der Cibus-Raps ist erst der Anfang. Das Unternehmen hat auch herbizidresistente Leinsaat, Reis und Kartoffeln in der Pipeline. Andere Unternehmen haben das Erbgut von Weizen, Reis, Kartoffeln und anderen Nahrungspflanzen geändert und wollen ebenfalls in den nächsten Jahren mit ihren Produkten auf den Markt kommen. Alle Produkte bräuchten nach derzeitigem Recht in der EU eine Zulassung. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sie auch unentdeckt als Lebens- oder Futtermittel in die EU importiert werden, denn der Nachweis ist nicht einfach.
Nachweis: nicht einfach, aber möglich
Er ist aber möglich. Das bestätigten Experten deutscher Behörden: „Die Nachweisbarkeit von genom-editierten Produkten, die auf den Markt kommen, unterscheidet sich nicht wesentlich von denen anderer gentechnisch veränderter Organismen“, fassten die Wissenschaftler das Ergebnis einer internationalen Fachtagung zusammen. Es gebe jedoch einen Haken: Um den Nachweis führen zu können, sei es notwendig, dass die Entwickler das Verfahren offenlegen, mit dem sie das jeweilige Erbgut umgeschrieben haben. Das dürften die Firmen aber nur ungern tun. „Bundesministerin Julia Klöckner muss in Berlin und in Brüssel darauf dringen, dass die Unternehmen für Verfahren wie CRISPR und Co. Referenzmaterial und Nachweisverfahren liefern müssen“, mahnte deshalb Felix Prinz zu Löwenstein, der Vorsitzende des Bio-Dachverbands BÖLW.
Für die Bio-Branche und auch für Firmen, die gentechnikfreie Lebensmittel garantieren, ist die momentane Situation unbefriedigend. Wegen der schwierigen Nachweisbarkeit könnte in Zukunft gentechnisch veränderte Ware unentdeckt nach Deutschland kommen. Diese könnte mit Bio-Ware in Kontakt kommen und verunreinigen. Das kann beim Transport passieren oder auch, wenn konventionell arbeitende Bauern und Bio-Bauern landwirtschaftliche Maschinen gemeinsam nutzen. „Schon heute kostet es gentechnikfrei produzierende Betriebe viel Arbeit und Geld, Kontaminationen mit Gentechnik-Produkten auszuschließen“, sagt Elke Röder, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren (BNN). Denn die Firmen lassen Soja, Mais & Co. auf eigene Kosten untersuchen, um Verunreinigungen auszuschließen.
Mit schwierig nachweisbaren Genome-Editing-Pflanzen wird der Aufwand noch höher. Besonders heimtückisch sind Verunreinigungen im Saatgut, weil sich dadurch das veränderte Erbgut schnell in gentechnikfreien Beständen ausbreiten kann. Werden solche Verunreinigungen erst nach der Ernte entdeckt, können die Schäden in die Millionen gehen, da die Ware dann nicht mehr als Bio verkauft werden darf. Die Politik muss die Voraussetzung schaffen, dass Produkte, die mit den neuen gentechnischen Verfahren hergestellt werden, nicht unentdeckt auf den europäischen Markt kommen, fordert deshalb auch Felix Prinz zu Löwenstein. „Schließlich dürfen die neuen Gentechnik-Organismen Europas Landwirten oder Verbrauchern nicht einfach untergejubelt werden.“
Im Koalitionsvertrag versprechen die Regierungsparteien CDU, SPD und CSU zum Thema Gentechnik: „Wir werden auf europäischer und gegebenenfalls nationaler Ebene Regelungen vornehmen, die das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit gewährleisten.“ Da möchte man den Koalitionsparteien und ihrer Landwirtschaftsministerin doch gerne zurufen: „Dann macht mal!“