Baden-württembergische EU-Abgeordnete für Sonderklagerechte

Es war ja zu erwarten gewesen: Am 13. Februar hat das EU-Parlament zwei Abkommen mit Singapur zugestimmt: Dem Handelsabkommen EUSFTA und dem Investitionsabkommen EUSIPA. Letzteres enthält die umstrittenen Sonderklagerechte für Konzerne, ISDS. Unser Aufruf an die baden-württembergischen EU-Abgeordneten blieb weitgehend wirkungslos.

Das Ja zum Investitionsschutzteil des Singapur-Abkommens (EUSIPA) zeigt, dass die Mehrheit der EU-Abgeordneten bereit ist, die Profitinteressen von Konzernen über den Schutz unserer Lebensgrundlagen zu stellen. Denn eine Ausweitung von Sonderklagerechten für Konzerne gefährdet dringend nötige Maßnahmen gegen den Klimawandel, höhere Umweltstands oder bessere Arbeitsrechte. Die meisten in Südostasien tätigen europäischen Konzerne haben in Singapur wichtige Niederlassungen, darunter fast alle großen fossilen Energiekonzerne.

Allerdings muss das Investitionsabkommen EUSIPA nun noch in den nationalen Parlamenten abgestimmt werden. Wir werden unsere Aufklärungsarbeit fortsetzen und die Abgeordneten des Bundestags und des Bundesrats auffordern, das Abkommen abzulehnen.

Im Vorfeld der Abstimmung hatten wir alle EU-Abgeordnete aus Baden-Württemberg per Mail aufgerufen, gegen EUSIPA zu votieren. Hier der Wortlaut des Briefs:

«Liebes Mitglied im Europäischen Parlament aus Baden-Württemberg,

vor zwei Wochen wurde die Petition „Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!“ von einer breiten europäischen Koalition gestartet, damit die undemokratischen Investor-Staats-Schiedsgerichte endlich gestoppt werden. Über die Hälfte der über 300.000 Unterstützer*innen kommt aus Deutschland!

Am kommenden Dienstag werden Sie nun im EU-Parlament über das Investitionsabkommen der EU mit Singapur abstimmen. Das Abkommen gibt Konzernen die Möglichkeit, Gesetze zu umgehen, die dazu da sind, unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden am Arbeitsplatz, unsere Umwelt oder das Klima zu schützen. Sie alle kennen die milliardenschwere Klage Vattenfalls gegen Deutschland aufgrund des Atomausstiegs; es gibt zahlreiche weitere Fallbeispiele für die Gefahr, die von Schiedsgerichten ausgeht. Um mehr zu erfahren, müssen Sie nur einen Blick auf unsere Webseite werfen: https://www.konstanz-gegen-ttip.de/isds-urteile/

Wollen Sie wirklich die Meinung der Bürgerinnen und Bürger ignorieren? Oder werden Sie gegen das Investitionsabkommen mit Singapur stimmen? Die Trennung von Handels- und Investitionsabkommen gibt Ihnen erstmalig die Möglichkeit, ein starkes politisches Signal gegen Konzernklagen und für internationale Kooperation zu setzen!

Mit freundlichen Grüßen
Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel»

Rund eine Woche nach der Abstimmung erreichte uns die aufschlussreiche Antwort des EU-Parlamentariers Daniel Caspary, die wir ebenfalls im Wortlaut abdrucken:

«Vielen Dank für Ihre Anfrage zu den Handels- und Investitionsschutzabkommen der EU mit Singapur und der europäischen Handelspolitik. Wir Abgeordnete der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament sind sowohl inhaltlich als auch lokal breit aufgestellt. Aufgrund der fachlichen Zuständigkeit antworte ich Ihnen heute auch gerne im Namen meiner baden-württembergischen Kolleginnen und Kollegen Dr. Ingeborg Gräßle, Nobert Lins, Rainer Wieland und Dr. Andreas Schwab.

Das grundsätzliche Ziel von Investitionsschutzabkommen ist es, das Recht auf Eigentum, das in Artikel 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen verankert ist, auch im internationalen Kontext durchzusetzen. So soll sichergestellt werden, dass ausländische Investoren, z.B. ein deutscher Investor in Singapur, gegenüber den inländischen Investoren fair und vorhersehbar behandelt wird. Ein Beispiel das anschaulich und deutlich zeigt, dass Investitionsschutzabkommen zum internationalen Schutz des Eigentums deutscher Bürger von hoher Bedeutung sind, ist beispielsweise der Fall Franz Sedelmayer gegen Russland (http://www.italaw.com/cases/982). Dem deutschen Investor wurde eine Entschädigung von 4,9 Mio. Euro zugesprochen nachdem seine Firma durch den russischen Staat unberechtigt enteignet wurde.

Sie erwähnen die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen Deutschland vor einem internationalen Schiedsgericht (siehe https://icsid.worldbank.org/en/Pages/cases/casedetail.aspx?CaseNo=ARB/12/12). In diesem Fall ging es allerdings nicht, wie oft dargestellt wird, um eine Klage gegen den deutschen Ausstieg aus der Atomenergie, sondern um die Prüfung, ob im Falle der Abschaltung der von Vattenfall betriebenen Atomkraftwerke eine faire Behandlung oder aber eine Diskriminierung des schwedischen Investors gegenüber den deutschen Atomkraftwerkbetreibern vorliegt, da Vattenfall der einzige Betreiber war, der alle seine Kraftwerke sofort abschalten musste. Der Ausgang der Verfahrens ist noch offen, doch wird deutlich, dass es hier nicht etwa um entgangene Gewinne wegen eines Gesetzes geht, sondern um die Frage der Diskriminierung eines ausländischen Investors. Die Entscheidung aus der Kernenergie aufzusteigen ist somit weder Gegenstand des Verfahrens, noch wird sie dadurch rückwirkend beeinflusst.

Längerfristig arbeitet die EU auf eine multilaterale Vereinbarung zur Einrichtung eines ständigen multilateralen Handelsgerichtshofes hin, der über ordentlich und ständig berufene Richter verfügt sowie einen institutionalisierten Berufungsmechanismus umfassen soll. Weitere Details und das Verhandlungsmandat der Mitgliedsstaaten an die Kommission finden Sie unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2017/september/tradoc_156042.pdf.

Dies ist in den Abkommen mit Singapur bereits berücksichtigt. Nicht nur deshalb sind das Handels- und Investitionsschutzabkommen der EU mit Singapur die modernsten ihrer Art. Keine anderen Abkommen wurden so gründlich gerichtlich geprüft und bestätigt. Die Abkommen umfassen ein umfangreiches Nachhaltigkeitskapitel, schreiben das Vorsorgeprinzip fest (Art. 12.5, s. S. 281 unter https://www.mti.gov.sg/-/media/MTI/Microsites/EUSFTA/EUSFTA-Full-Text_12Oct18.pdf) und schreiben die bewährte europäische Praxis der öffentlichen Daseinsvorsorge fort. Alle Informationen zu den Abkommen stehen Ihnen hier zur Verfügung: http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/eu-singapore-agreement/.

Deshalb habe den beiden Abkommen bei der Plenarabstimmung in dieser Woche gemeinsam mit der deutlichen Mehrheit der Abgeordneten zugestimmt. Das Handelsabkommen wurde mit 425 „Ja“-Stimmen bei 186 „Nein“-Stimmen und 41 Enthaltungen angenommen; das Investitionsschutzabkommen mit 436 „Ja“-Stimmen, 203 „Nein-Stimmen und 30 Enthaltungen.

Ich hoffe, dass ich Ihnen weiterhelfen konnte und verbleibe
mit freundlichen Grüßen …
Daniel Caspary


Von den zehn baden-württembergischen MdEPs stimmten alle fünf CDU-Abgeordneten für die Sonderjustiz zugunsten der Konzerne, auch Peter Simon (SPD) und Bernd Kölmel (parteilos) waren dafür. Enthalten hat sich Jörg Meuthen (AfD). Dagegen votierten lediglich Maria Heubuch (Grüne) und Evelyne Gebhardt (SPD).