Neue Recherchen der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) haben ergeben: Auch die neuen Verhandlungen zwischen Brüssel und Washington über ein US-EU-Handelsabkommen werden massiv von den Konzernen beeinflusst.
In seiner Studie listet das CEO auf, wann welchen VertreterInnen der EU-Kommission wen getroffen haben. Interessant dabei: Zwei Jahre, nachdem die USA die Gespräche zum ersten Transatlantischen handels- und Investitionsabkommen TTIP gestoppt hatten, sitzen nun wieder dieselben Lobbyisten am Tisch – und achten darauf, dass genau das auf die Tagesordnung kommt, was ihnen passt.
Die CEO-Untersuchung enthält beispielsweise diese Liste:
Nebenbei bemerkt: In einem gemeinsamen Aufruf haben über fünfzig Organisationen und Verbände die EU aufgerufen, die TTIP-2.0-Verhandlungen zu stoppen. Die Argumente finden Sie HIER.
PS: Mittlerweile liegt auch eine Übersetzung des ursprünglich auf Englisch erschienenen Beitrags vor:
Das Kapital hat die Nase vorn
Zwei Jahre nach TTIP bereiten die EU-Mitgliedstaaten und die Kommission Mandate für neue Freihandels-Verhandlungen mit den USA vor. Viel hat sich nicht geändert: Wieder durchstreifen Konzernlobbys die Korridore der EU-Verhandler. Sie versuchen, Themen zu setzen. Und die EU-Kommission verschleiert ihre Nähe zu den Konzernen.
Im Juli 2018 begannen US-Präsident Donald Trump und der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, »eine neue Phase in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union«. Seitdem sind Beamte der EU und der USA damit beschäftigt, neue Handelsgespräche vorzubereiten. Beide Seiten haben im Januar Entwürfe für Verhandlungsmandate veröffentlicht.
Während die Kommission darauf besteht, dass »dies ein neuer Prozess ist, der nichts mit TTIP zu tun hat«, könnten diese Verhandlungen sehr wohl viele der umstrittensten Aspekte von TTIP durch die Hintertür wieder auf das Tableau bringen. Zwischen 2013 und 2016 traf TTIP in der gesamten EU auf eine beispiellose öffentliche und parlamentarische Gegenwehr. Die Bedenken in Bezug auf das Handelsabkommen reichten von seinen Bedrohungen für öffentliche Dienstleistungen über die extremen Befugnisse, die TTIP Unternehmen eingeräumt hätte, um Politik im öffentlichen Interesse zu verunmöglichen, bis hin zu Importen unerwünschter gentechnisch veränderter Lebensmittel (GVO) und von Fracking-Gas nach Europa. Die neuen Freihandelsverhandlungen zwischen der EU und den USA rufen alte Befürchtungen wieder wach.
Die TTIP-Geister kehren zurück
Zwei Jahre nach der Aussetzung der TTIP-Gespräche verfolgen uns erneut viele der Geister dieses üblen Vertragswerks. Seit dem Trump-Juncker-Treffen hat die Europäische Kommission mehrere Schritte unternommen, um die Einfuhren umstrittener US-Produkte wie Fracking-Gas und genverändertem Soja auszuweiten. Dies erinnert an die TTIP-Zeiten, in denen die Kommission, um den USA zu gefallen und sie an den Verhandlungstisch zu bringen, EU-Sicherheitsstandards schon vor Beginn der formellen Verhandlungen abgebaut hat.
Nach dem massiv subventionierten Bau neuer Pipelines, Terminals und anderer Gasinfrastrukturen ist Europa inzwischen zum Top-Käufer von Flüssig-Erdgas (LNG) aus den USA geworden. Dabei handelt es sich meist um Fracking-Gas, das umweltschädlich, klimaschädlich und auch sozial fragwürdig ist. Die Einfuhren von genverändertem US-Soja in die europäischen Fabriken haben ebenfalls stark zugenommen, und die Kommission hat gerade den Weg für Biodiesel aus US-Soja geebnet – obwohl dieser sogar nach ihren eigenen Angaben doppelt so klimaschädlich ist wie fossiler Diesel.
Noch beunruhigender ist, dass die EU die Verhandlungen über die »regulatorische Kooperation« wieder aufnehmen will. Das würde bedeuten, dass beispielsweise Lebensmittelstandards und Sicherheitsvorschriften weitgehend hinter verschlossenen Türen durch Konzernlobbyisten und Freihandelsvertreter verhandelt werden könnten. Die »regulatorische Kooperation« würde durch formelle Handelsgespräche und durch eine Reihe informeller Dialoge außerhalb der demokratischen Kontrolle des Europäischen Parlaments fortgesetzt. Laut einem geleakten Dokument der Europäischen Kommission vom Oktober 2018 könnten diese Gespräche viele Bereiche abdecken, von Arzneimitteln bis hin zu EU-Lebensmittel-Sicherheitsvorschriften (einschließlich umstrittener genveränderter Lebensmittel und hormonbehandeltem Rindfleisch).
Die regulatorische Zusammenarbeit war einer der am stärksten bekämpften Aspekte des TTIP. Es besteht die Gefahr, dass alles, was den Interessen multinationaler Unternehmen an der Gesetzgebung der EU und der USA zuwiderläuft, zum Nachteil des Umwelt- und Gesundheitsschutzes ernsthaft behindert wird. Die US-Handelskammer bezeichnete die Regulierungszusammenarbeit einmal als »ein Geschenk, das immer wieder Geschenke macht«.
Dutzende von Treffen mit Lobbyisten der Konzerne
Wie bei TTIP dominieren hinter den Kulissen der Europäischen Kommission Lobbyisten des Großkapitals die Vorbereitung der Verhandlungen – auf Kosten von Gewerkschaften, Umwelt- und Verbrauchergruppen. Dies geht aus internen Dokumenten hervor, die die Europäische Kommission gegenüber Corporate Europe Observatory (CEO) als Reaktion auf einen Antrag im Rahmen der EU-Regelungen zur Informationsfreiheit offengelegt hat.
In den vier Monaten nach der Juncker-Trump-Sitzung im Juli 2018 diskutierten Beamte der Handelsabteilung der Kommission den transatlantischen Freihandel mit externen Interessengruppen in 49 Treffen hinter verschlossenen Türen. Nur fünf dieser Treffen (zehn Prozent) fanden mit Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbänden statt. Die anderen 90 Prozent entfielen auf Unternehmen wie den US-Pharmariesen Eli Lily, den US-Agrarkonzern Bunge und den skandalträchtigen deutschen Automobilkonzern Volkswagen oder auf Wirtschaftslobby-Gruppen wie den europäischen Arbeitgeberverband BusinessEurope und die US-Handelskammer.
Dieser enge Kontakt zwischen EU-Handelsverhandlern und Konzernlobbyisten erinnert an die TTIP-Gespräche, die weitgehend für und durch das Großkapital geprägt waren (für einen guten Überblick siehe Corporate Capture in Europe, S. 26-37).
Besorgniserregende Wunschzettel der Konzerne
Die häufigen Treffen der Kommission mit Konzernlobbyisten sind besonders beunruhigend, wenn man sich die Wunschlisten der Industrie für ein transatlantisches Handelsabkommen ansieht. So will beispielsweise die US-amerikanische Pharma-Lobby PhRMA (Pharmaceutical Research and Manufacturers of America, Lobbying für Eli Lily, Pfizer, Sanofi und andere) die bevorstehenden Verhandlungen nutzen, um die europäischen Regeln für bezahlbare Medikamente in Frage zu stellen. Ein Kabinettsmitglied der Handelskommissarin Cecilia Malmström traf sich im September 2018 mit dem PhRMA-Mitglied Eli Lilly.
Der US Grains Council, der sich für Agrarriesen wie Bunge, Cargill und Bayer-Monsanto einsetzt, will Gespräche über die regulatorische Zusammenarbeit nutzen, um die Exporte von genveränderten Produkten nach Europa zu steigern, den Pestizidrückstandsgehalt in Lebensmitteln in der EU zu erhöhen und die Bemühungen der EU zur Regulierung hormonstörender Chemikalien zu untergraben. Beamte der Handelsabteilung der Kommission trafen sich im November 2018 mit Lobbyisten von Bunge.
Während die Mandatsentwürfe der Europäischen Kommission für die neuen transatlantischen Gespräche bisher nur Zollsenkungen und »regulatorische Kooperation« umfassen, drängen Konzernlobbys auf ein viel breiteres, TTIP-ähnliches Handelsabkommen, wie es auch die US-Regierung anstrebt. Im Rahmen eines solchen Abkommens würde der US Grains Council eine aggressive Agenda zur Marktöffnung für Lebensmittel und Landwirtschaft vorantreiben (was den Druck auf die Existenzgrundlagen der Landwirte auf beiden Seiten des Atlantiks erhöhen würde). Lobbygruppen wie die US-Handelskammer und AmCham EU würden eine weitreichende Deregulierung von Dienstleistungen (die das Recht auf eine Grundversorgung etwa mit Wasser und Gesundheitsdienstleistungen wie auch die Finanzstabilität gefährden könnte), einen noch strengeren Schutz des geistigen Eigentums (der eine bezahlbare Gesundheitsversorgung gefährden könnte), Beschränkungen des EU-Datenschutzes sowie andere umstrittene TTIP-Elemente fordern. Der EU-Verhandlungsführer Ignacio Garcia Bercero traf sich im November 2018 mit AmCham-Lobbyisten und einer Delegation der US-Handelskammer.
Geheimniskrämerei um Verbindungen zwischen Kommission und Lobbyisten
Die Europäische Kommission scheint zu versuchen, ihre Kontakte zu Branchenlobbygruppen zu verschleiern, die darauf abzielen, Einfluss auf den zukünftigen transatlantischen Handelspakt zu nehmen.
Während die Kommission als Reaktion auf eine Anfrage von CEO eine Liste von Lobbygesprächen zu den künftigen Freihandels-Verhandlungen veröffentlicht hat, hat sie sich entschieden geweigert, ihre damit verbundene Korrespondenz mit Lobbyisten vollständig offenzulegen (mit dem Argument, es sei zu viel Arbeit). 55 Dokumente – darunter Berichte über Treffen mit Großunternehmen und Lobbygruppen wie BusinessEurope und die US-Handelskammer – wurden noch nicht veröffentlicht, obwohl die Informationsanfrage vor fast drei Monaten übermittelt wurde, gefolgt von mehreren Erinnerungen.
Die Kommission hat sich auch geweigert, der Öffentlichkeit zu sagen, wer genau die Handelsgespräche mit den USA vorbereitet. Wenn wir diese Informationen hätten, könnten wir daraus ableiten, welche Wirtschaftssektoren anvisiert werden und welche Konsequenzen drohen könnten. Die Einbeziehung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zum Beispiel würde darauf hindeuten, dass die europäischen Lebensmittel-Sicherheitsnormen zur Diskussion stehen. Unsere Frage nach den Mitgliedern der von Kommissionspräsident Juncker und US-Präsident Trump eingesetzten »Exekutiv-Arbeitsgruppe« zur Vorbereitung der Verhandlungen beantwortete die Kommission im November 2018 damit, dass sie keine Liste der Mitglieder habe. Sie weigerte sich auch, Berichte über Sitzungen zu veröffentlichen, die im Kontext der Gruppe stattfanden.
Auch das erinnert an die TTIP-Gespräche, die damals in die Kritik von Bürgern, Journalisten, Parlamentariern und dem Europäischen Bürgerbeauftragten geraten sind. Letzterer hatte die Tatsache kritisiert, dass »traditionelle Methoden der Durchführung internationaler Freiandels-Verhandlungen durch Geheimhaltung und begrenzte Öffentlichkeitsbeteiligung gekennzeichnet sind. Diese traditionellen Methoden sind schlecht geeignet, um dem TTIP-Abkommen die erforderliche Legitimität zu verschaffen – einem Abkommen, das in seiner ehrgeizigsten Form zu einem transatlantischen Binnenmarkt mit verbindlichen Regeln in vielen Bereichen führen könnte, die sich auf das tägliche Leben der Bürger auswirken.«
Konkret hatte der Bürgerbeauftragte der Kommission vorgeschlagen, »proaktiv Sitzungsagenda und Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen« und auch alle ihre Einreichungen zu veröffentlichen, »es sei denn, der Absender nennt gute Gründe für die Vertraulichkeit und liefert eine nicht-vertrauliche Zusammenfassung zur Veröffentlichung«.
Bei den aktuellen Handelsgesprächen zwischen der EU und den USA könnte die Kommission von einer solchen Lobby-Transparenz nicht weiter entfernt sein. Die Frage ist: Warum? Was gibt es zu verbergen? Liegt es daran, dass die EU – wie die Trump-Administration – bereit ist, ein Handelsabkommen auszuarbeiten, das nur Konzernen zugute kommt?