Kurz vor der Wahl zum (nur bedingt handlungsfähigen) EU-Parlament zeigt die EU mal wieder, was in ihr steckt: ein neoliberaler Kern. Das demonstrierte heute, Ende April, der Europäische Gerichtshof (EuGH). Er hält das Kanada-EU-Handelsabkommen CETA für rechtmäßig. Doch es bleibt eine Gefahr für Umwelt-und Verbraucherschutz, für Sozialstandards und die Demokratie. Das betont eine Stellungnahme der globalisierungskritischen Organisation Attac.
In einem heute veröffentlichten Gutachten kommt der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu dem Schluss, dass die in CETA vorgesehenen Sonderklagerechte für Investoren (ISDS / Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit) mit EU-Recht vereinbar sind. Doch was legal ist, ist nicht immer auch legitim. Es bleibt dabei: Sonderklagerechte für Konzerne sind nicht kompatibel mit der Demokratie, dem Klimaschutz, Sozial- und Arbeitsrechten und bedrohen den Rechtsstaat. Darin sind sich Attac und die anderen 55 zivilgesellschaftlichen Organisationen im Netzwerk Gerechter Welthandel einig.
Das Urteil des EuGH macht den Weg frei für eine Paralleljustiz für Konzerne in Freihandelsabkommen. Kanadische Konzerne können nach Ratifizierung des Abkommens EU-Staaten auf Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe verklagen, wenn sie ihre Profite durch Gesetze zum Schutz der VerbraucherInnen oder der Umwelt gefährdet sehen. Umgekehrt gilt das auch für europäische Konzerne in Kanada.
„CETA ist und bleibt ein schlechtes Abkommen. Es schränkt den Handlungsspielraum von Kommunen ein, unterstützt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und gefährdet die öffentliche Daseinsvorsorge. Es schützt das Vorsorgeprinzip nur unzureichend und öffnet damit Tür und Tor für die Verwässerung von Umwelt- und Verbraucherschutzstandards. Das Abkommen genügt nach wie vor nicht den Ansprüchen an ein nachhaltiges Abkommen, das Umwelt- und Klimaschutz vorantreibt und Menschenrechte schützt. Stattdessen dient es vor allem den Interessen großer Konzerne“, stellt Alessa Hartmann von PowerShift fest.
Roland Süß von Attac ergänzt: „Gemeinsam mit Millionen Menschen in ganz Europa haben wir gegen CETA demonstriert, allein in Deutschland hat über eine Million die Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA unterzeichnet. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass das Abkommen nicht in Kraft tritt und fordern alle politischen Parteien dazu auf, eine Ratifizierung in Deutschland zu verhindern.“
Die europaweite Kampagne “Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!” fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, sich aus Handels- und Investitionsabkommen zurückziehen, die Sonderklagerechte enthalten, und künftig keine solchen Abkommen mehr abzuschließen. Sie wird von mehr als 200 europäischen Organisationen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen getragen; auch Attac ist dabei. Die Petition wurde bereits von mehr als 550.000 Menschen europaweit unterzeichnet.
Hintergrund:
CETA ist bereits im September 2017 zu großen Teilen vorläufig in Kraft getreten. Das Investitionsschutzkapitel muss von den Parlamenten aller EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden, in Deutschland müssen sowohl Bundestag als auch Bundesrat zustimmen.
Grund dafür, dass der EuGH zu der Frage entscheiden musste, war der Widerstand der belgischen Region Wallonien gegen die Unterzeichnung von CETA im Herbst 2016. Wallonien stimmte dem Abkommen schließlich unter der Bedingung zu, dass der EuGH mit einer Prüfung beauftragt wurde, ob die Investor-Staat-Schiedsgerichte mit dem EU-Recht vereinbar sind. Vor diesen Schiedsgerichten könnten kanadische Investoren Schadensersatzklagen gegen einen EU-Mitgliedstaat einreichen, wenn dessen Gesetze oder Regulierungen ihre Gewinne schmälern. Die rechtliche Prüfung des Abkommens ist mit der heutigen Entscheidung des EuGH noch nicht beendet: Auch das Bundesverfassungsgericht muss noch über eine Verfassungsbeschwerde zu CETA entscheiden.