Eine Studie des Instituts Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen weist nach, wie eine kleine Gruppe von Akteuren aus Politik, Bauernverband und Agrarwirtschaft Schlüsselpositionen besetzt. Das sei ein wesentlicher Grund dafür, weshalb Umwelt und Natur, Tierwohl, Gewässer- und Klimaschutz bei politischen Entscheidungen häufig auf der Strecke bleiben, lautet ein Fazit der Studie, über die die Süddeutsche Zeitung berichtete.
Von Markus Balser, Tatjana Mischke, Uwe Ritzer und Valentin Thurn
Als Politiker war der Landwirtschaftsmeister aus Röckersbühl in der Oberpfalz stets eine unauffällige Erscheinung. Albert Deß saß von 1990 bis 2004 für die CSU im Deutschen Bundestag, seither ist er Abgeordneter im Europäischen Parlament. Deß war nie Regisseur oder Hauptdarsteller auf parlamentarischer Bühne, aber auch viel mehr als ein Statist. Seit Jahrzehnten gehört der heute 72-Jährige zum engen Zirkel von politischen Lobbyisten im landwirtschaftlichen Bereich, die so diskret wie wirkungsvoll über Milliarden entscheiden – und die Zukunft des Agrarsektors. Nur, für wen erhebt Deß da eigentlich seine Stimme?
Es ist ein dichtes Geflecht aus Politikern, Agrarkonzern-Managern, Bankern und Verbandsfunktionären, das in Brüssel und Berlin maßgeblich mitbestimmt, wie Landwirte arbeiten und was bei Verbrauchern auf dem Teller landet. Das weist eine bislang unveröffentlichte Studie des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen nach, die der Süddeutschen Zeitung und dem SWR vorliegt. Ihre Autoren zeigen exakt auf, wie eine überschaubare Gruppe von Akteuren aus Politik, Bauernverband und Agrarwirtschaft Schlüsselpositionen besetzt.
Mehr noch: Viele, die als Interessensvertreter ihres Berufsstandes und in Parlamenten unterwegs sind, hängen eng mit Düngemittelfirmen, Landtechnikherstellern oder Banken zusammen. Die Landwirtschaftspolitik in Brüssel und Berlin ist durchsetzt von Abgeordneten, die auch Lobbyisten sind.
18 Zusatzposten für den DBV-Präsidenten
Das sei ein wesentlicher Grund dafür, weshalb Umwelt und Natur, Tierwohl, Gewässer- und Klimaschutz bei politischen Entscheidungen häufig auf der Strecke bleiben, lautet ein Fazit der Studie. „Ambitionierte Bemühungen“ um Reformen in der Agrar- und Umweltpolitik, sowie eine bessere landwirtschaftliche Praxis würden „systematisch von Interessenvertretern verhindert oder deutlich verwässert“, heißt es. Von „Hinweisen auf eine koordinierte und strategisch orientierte Einflussnahme auf Prozesse der Meinungs- und Willensbildung, sowie von politischen Entscheidungsprozessen“ ist die Rede.
Wie weit die Verflechtungen gehen, zeigt der Blick auf führende Akteure der Szene. Joachim Rukwied etwa vertritt als Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV) offenkundig nicht nur die Interessen der 270.000 Landwirte, die dem DBV angehören. Als Aufsichts- oder Beirat ist er auch diversen Großunternehmen verpflichtet, darunter der Landwirtschaftlichen Rentenbank (LR), der R+V-Versicherung, der Baywa AG, der Südzucker AG oder dem Softwarehaus Land-Data. Insgesamt bringt es der DBV-Präsident laut Studie auf 18 Zusatzposten.
Ebenso wie seine Vorgänger zeigt auch Rukwied große Nähe zu Agrarkonzernen, die naturgemäß eigene ökonomische Interessen in der Landwirtschaftverfolgen. So ist der DBV-Präsident Vorstandsvorsitzender des Berliner „Forum moderne Landwirtschaft“. Gerade so, als würde man naturgemäß dieselben Interessen verfolgen, arbeiten in der Lobbyorganisation landwirtschaftliche Vertreter eng mit dem Glyphosat-Anbieter Bayer Crop Science, BASF oder Yara zusammen. Sie dominieren nicht nur den Aufsichtsrat, sondern finanzieren das Forum weitgehend.
Rekordverdächtige Werte belasten das Grundwasser
Eine besonders große Nähe konstatiert die Bremer Studie auch zwischen Bauernverband und Abgeordneten von CDU und CSU. Demnach hat über die Hälfte der Unionsmitglieder im Agrarausschuss des Bundestags auch einen Posten im Bauernverband inne. Die Folge: Gegen den Willen des Verbands und der großen Unternehmen lässt sich in dem wichtigen Parlamentsausschuss praktisch nichts umsetzen.
Kein Wunder, dass sich trotz vielfach dokumentierter Probleme wenig ändere, schlussfolgern die Bremer Experten. Die Agrarpolitik in Europa wirke „zunehmend belastend“ auf Biodiversität, Gewässer- und Luftqualität, das Klima, das Tierwohl und die Agrarstruktur. Die Folgen zeigen sich gerade im Düngerecht. Auch auf Druck von Lobbyisten seien Verschärfungen verschleppt worden. Die Folge: Rekordverdächtige Werte belasten das Grundwasser, Deutschland drohen Millionenstrafen.
Die Studie im Auftrag der Umweltorganisation Nabu zieht Parallelen zwischen politischem Stillstand und wachsendem Lobby-Einfluss. Im Untersuchungszeitraum von 2013 bis 2018 sei die ohnehin schon starke Lobby noch professioneller geworden, heißt es. Die Forscher legen Verbindungen von mehr als 90 Akteuren und 75 Institutionen offen und kommen auf 560 zum Teil fragwürdige Verflechtungen.
Beispiel Albert Deß. Der CSU-Mann, der bei der anstehenden Europawahl nicht mehr kandidiert, hatte stets gleich mehrere Hüte auf. Als agrarpolitischer Sprecher der größten Fraktion EVP bestimmte er seit 2009 im Europaparlament wesentlich über Vorschriften oder die Verteilung von Milliardensubventionen für Bauern mit. Als langjähriger Funktionär des Bauernverbands musste er etwa für höhere Milchpreise kämpfen. Gleichzeitig ist Deß aber auch Vorstandschef des Molkereiunternehmens Bayernland, das Milch naturgemäß möglichst billig einkaufen will. Wie das alles zusammengeht? Deß gibt keine Auskunft; man sei im Urlaub, antwortet eine Mitarbeiterin auf Anfrage knapp.
Massive Interessenkonflikte
Kollegen im Europaparlament sehen nicht nur bei Deß, sondern in vielen Fällen massive Interessenkonflikte und deren Folgen für die Agrarpolitik. So beklagt die SPD-Abgeordnete Maria Noichl, Partikularinteressen hätten häufig Vorrang vor dem Gemeinwohl. Vor allem die Interessen der kleinen Bauern drohten unter die Räder zu geraten. Schon heute besäßen nur 2,7 Prozent der Betriebe 50 Prozent der Agrarflächen in Europa – und bekämen so auch den Großteil der Milliardensubventionen. Wer selbst von denen profitiere, sollte im Parlament nicht über deren Vergabe abstimmen dürfen, fordert Noichl und brachte Anfang April einen Befangenheitsantrag ein. Das Ziel: Wer profitiert, muss sich enthalten. Nur so ließe sich auch das Höfe-Sterben aufhalten und die Subventionspolitik ändern, glaubt Noichl. Doch ihr Antrag wurde abgeschmettert. Eine Gegenstimme kam von Albert Deß.
Wenn man nicht umsteuere, gehöre Agrarkonzernen in fünf Jahren 60 Prozent und in zehn Jahren 70 Prozent des Landes, warnt die SPD-Politikerin. Kleine Betriebe hätten es immer schwerer. Die Möglichkeit zur Kurskorrektur bieten die aktuellen Verhandlungen über die Verteilung der EU-Subventionen für die Jahre bis 2027; sie stecken gerade in der heißen Phase. Es geht um sehr viel Geld. Die gemeinsame Agrarpolitik, kurz GAP, steht für fast 40 Prozent des EU-Budgets, es ist der größte EU-Haushaltsposten. Insgesamt werden 365 Milliarden Euro verteilt. Doch viele Versuche, das Geld viel stärker als bisher an Umweltauflagen zu koppeln, wurden bislang wieder entschärft.
Der Bauernverband wollte sich auf Fragen zur Einflussnahme in der Politik und Verquickungen seines Präsidenten Rukwied nicht äußern. „Gegebenenfalls“ werde man das tun, wenn die Studie veröffentlicht sei, die man nicht kenne. Derweil arbeitet der DBV daran, seinen Einfluss über Europa hinaus zu vergrößern. Die World Farmers Organisation, der russische Bauernverband und der DBV hätten vereinbart, afrikanische und asiatische Bauernverbände stärker zu unterstützen, teilte der Verband vergangene Woche mit. Es gehe um das Wohl der Bauern in Afrika und Asien.