Anlässlich der laufenden Koalitionsverhandlungen in Bremen zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und Die Linke fordert das Netzwerk Gerechter Welthandel gemeinsam mit Attac Bremen die drei Parteien dazu auf, das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) zum Thema der Verhandlungen zu machen und im Koalitionsvertrag festzuhalten, dass Bremen dem Abkommen im Bundesrat nicht zustimmen wird.
In der Erläuterung zum Brief (siehe unten) heißt es:
Im Offenen Brief weisen wir auf problematische Inhalte des CETA-Abkommens hin. Nach der vollständigen Ratifizierung wird CETA ausländischen Investoren ein eigenes, privilegiertes Klagerecht gewähren, mit dem sie hohe Schadensersatzforderungen an Staaten richten könnten. Dadurch werden demokratische Handlungsspielräume von Politik eingeschränkt.
Durch die Erweiterung und Verfestigung von kommunalen Ausschreibungspflichten schränkt CETA zudem den Handlungsspielraum von Kommunen ein und unterstützt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Auch das dem europäischen Umwelt- und Verbraucherschutz zu Grunde liegende Vorsorgeprinzip ist in CETA nicht ausreichend abgesichert. So ist nicht sichergestellt, dass bestehende Standards durch CETA aufrechterhalten werden. Die durch CETA geschaffenen Regulierungsausschüsse erhalten zudem weitreichende Entscheidungsbefugnisse, ohne dass eine ausreichende Rückbindung mit demokratisch gewählten Parlamenten sichergestellt wäre.
Und hier der Offene Brief:
Keine Zustimmung zu CETA in den Koalitionsvertrag! Offener Brief an die Mitglieder der Verhandlungskommission in Bremen
Sehr geehrte Damen und Herren,
anlässlich der aktuell stattfindenden Koalitionsgespräche wollen wir Sie dazu auffordern, das Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) in Ihren Gesprächen zu berücksichtigen und im Koalitionsvertrag festzuhalten, dass Bremen dem Abkommen im Bundesrat nicht zustimmen wird.
Trotz der breiten Proteste gegen CETA wird das Abkommen seit September 2017 zu großen Teilen vorläufig angewandt. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, „die Voraussetzungen dafür schaffen [zu wollen], dass das CETA-Abkommen umfassend in Kraft treten kann“. Sobald das Bundesverfassungsgericht über die laufende CETA-Verfassungsbeschwerde entschieden hat, ist mit einer Einleitung des Ratifizierungsverfahrens in Deutschland zu rechnen. Aller Voraussicht nach wird daher der Bundesrat und somit auch die künftige Bremische Bürgerschaft in dieser Legislaturperiode über CETA abstimmen.
Wir kritisieren unter anderem folgende problematischen Inhalte des CETA-Abkommens:
1. Sonderklagerechte für Konzerne schränken demokratische Handlungsspielräume von Politik ein
Aufgrund der breiten Proteste – die auch von SPD, Bündnis90/Die Grünen sowie Die LINKE zum Teil oder vollständig unterstützt wurden – wurde in CETA ein reformiertes Schiedsgerichtssystem (ICS) verankert. Die Reformen betrafen prozedurale Aspekte wie die Transparenz der Verfahren oder die Auswahl der Schiedsrichter, änderten jedoch nichts an der Grundproblematik: Nach der vollständigen Ratifizierung wird CETA ausländischen Investoren ein eigenes, privilegiertes Klagerecht gewähren. In Kanada ansässige Konzerne könnten dann hohe Schadensersatzforderungen an die EU und EU- Mitgliedsstaaten richten, wenn Gesetze oder Regulierungen ihre Gewinne beeinträchtigen – dies schließt Regulierungen beispielswiese zum Klima-, Umwelt- oder Verbraucherschutz mit ein. Diesen weitgehenden Rechten für Investoren stehen keine Pflichten zum Schutz des Gemeinwohls gegenüber. Zudem können weder Regierungen oder Gemeinden noch zivilgesellschaftliche Gruppen oder Privatpersonen vor einem solchen Schiedsgericht Klage einreichen, wenn ihre Rechte durch Investoren verletzt werden. Auch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, der das
CETA-Schiedsgerichtssystem als kompatibel mit EU-Recht eingestuft hat, bleiben diese Sonderklagerecht für Konzerne eine politische Sackgasse und sollten im Sinne von Umwelt und Menschenrechten abgeschafft werden.
2. CETA schränkt den Handlungsspielraum von Kommunen ein, unterstützt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und ist eine Gefahr für die öffentliche Daseinsvorsorge
Das CETA-Abkommen erweitert und verfestigt kommunale Ausschreibungspflichten und liberalisiert alle Dienstleistungen, die nicht explizit ausgenommen sind (sogenannter Negativlisten-Ansatz). Zwar haben sowohl die EU als auch die Bundesrepublik Ausnahmen eingereicht, doch deren Formulierung reicht nicht aus, um die Interessen der Kommunen zu schützen. Dienstleistungen, die es jetzt noch nicht gibt, fallen automatisch unter das Abkommen; und einmal privatisierte Dienstleistungen können schwerer wieder re-kommunalisiert werden. Durch diese Inhalte schränkt CETA den Handlungsspielraum von Kommunen ein, unterstützt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und ist eine Gefahr für die öffentliche Daseinsvorsorge.
3. Mangelnder Schutz des Vorsorgeprinzips und die daraus resultierenden Gefahren für Umwelt- und Verbraucherschutz
Das dem europäischen Umwelt- und Verbraucherschutz zu Grunde liegende Vorsorgeprinzip ist in CETA nicht ausreichend geschützt und wird durch Verweis auf Regeln der Welthandelsorganisation sogar noch verwässert. So ist nicht sichergestellt, dass bestehende Standards durch CETA aufrechterhalten werden. Umgekehrt ist das Nachhaltigkeitskapitel nicht mit einem funktionierenden Sanktions- und Durchsetzungsmechanismus verbunden und von der allgemeinen Streitschlichtung des Abkommens ausgeschlossen.
4. Regulierungsausschüsse erhalten weitreichende Entscheidungsbefugnisse
Die Ausschüsse, die durch CETA geschaffen wurden, haben bereits begonnen zu tagen. Sie können weitreichende Entscheidungen treffen, ohne sich mit demokratisch gewählten Parlamenten darüber abzustimmen. Einiges lässt darauf schließen, dass die Entscheidungen der CETA-Ausschüsse in der Regel völkerrechtlich verbindlich sind und die Vertragsparteien, also die EU, Kanada und die Mitgliedstaaten, dazu nicht noch einmal gefragt werden müssen. Ein Blick auf die Tagesordnungen der Sitzungen beweist, dass es sich bei unserer Kritik nicht nur um demokratietheoretische Überlegungen handelt. In den Ausschüssen treffen handfeste realpolitische Interessen aufeinander. So greift Kanada im Ausschuss zu Landwirtschaft den gefahrenorientierten Ansatz des europäischen Pestizidrechts – und damit das Vorsorgeprinzip – an. Die Diskussion findet ohne gewählte Abgeordnete statt, und ohne dass JournalistInnen Öffentlichkeit herstellen könnten. Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit noch, ob dieses Ausschuss-System mit dem deutschen Grundgesetz kompatibel ist.
Wir wissen, dass internationale Zusammenarbeit gerade in heutiger Zeit ein hohes Gut und wichtiges Ziel ist. Deshalb betonen wir, dass wir nicht für weniger, sondern für mehr internationale Kooperation eintreten. Von zentraler Bedeutung ist es jedoch, die richtigen Akzente bei der Gestaltung der Globalisierung zu setzen. Abkommen, die hohe soziale und ökologische Standards, öffentliche und gemeinnützige Dienstleistungen und demokratische Entscheidungsprozesse
garantieren, könnten helfen, das Primat der Politik wiederherzustellen. CETA tut dies nicht. Es stellt, ganz im Gegenteil, Wirtschaftswachstum und die Rechte großer Unternehmen über alle anderen Werte. Das Abkommen leistet damit auch denjenigen Vorschub, die internationale Kooperation grundsätzlich bekämpfen wollen.
Auch wer CETA nicht komplett ablehnt, sondern nur einige Aspekte ändern oder nachbessern will, muss die vorliegende Fassung ablehnen. Deshalb bitten wir Sie, sich im Koalitionsvertrag auf ein klares „Nein“ oder auf eine Enthaltung festzulegen.
Für weitere Gespräche stehen wir sehr gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Klaus Berger und Hannelore Feuß
Attac Bremen
Anne Bundschuh
Koordinatorin des Netzwerks Gerechter Welthandel