Klimakiller Mercosur-Vertrag: „Freifahrtschein zur Abholzung des Regenwalds“

Mehr Rindfleisch und Soja – das Handelsabkommen zwischen den südamerikanischen Mercosur-Staaten und der EU ist darauf angelegt, den globalen Handel mit industriell erzeugten Agrarprodukten auszuweiten. Und verschärft dadurch die Klimakrise. Das sagte die BUND-Handelsexpertin Lia Polotzek im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Mit Lia Polotzek sprach Jule Reimer.

Jule Reimer: Wer miteinander Freihandel treibt – insofern bleiben wir bei einer Art Binnenmarkt –, der verspricht der jeweils anderen Nation, ihren Unternehmen mehr Zugang zum eigenen Markt zu gewähren. Zölle auf ausländische Produkte werden abgesenkt oder abgeschafft. In möglichst vielen Bereichen sollten eigentlich dann gleiche Spielregeln für Inländer und Ausländer gelten.

Seit vielen Jahren verhandelt die EU-Kommission nun schon mit den Staaten des südlichen Amerikas über das sogenannte Mercosur-Freihandelsabkommen. Das stehe für Ende Juni kurz vor dem Abschluss, deuteten südamerikanische Staatschefs jetzt an. Laut Informationen soll sich die EU in den kommenden Tagen dafür aussprechen.

Deutschlandfunk: Zusammen mit 340 Nichtregierungsorganisationen aus Europa und Lateinamerika warnen Sie in einem offenen Brief an die EU-Kommission, der Mercosur-Vertrag drohe, ein einziger Klimakiller zu werden. Die Verhandlungen sollten gestoppt werden. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Wir finden, dass die EU dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro gerade einen Freifahrtschein für die Abholzung des Regenwaldes gibt und damit auch für eine Verschärfung der Klimakrise sorgt. Das Mercosur-Abkommen ist nämlich hauptsächlich darauf angelegt, den Agrarhandel auszuweiten, und das ist besonders der Handel mit Rindfleisch, der da ausgeweitet werden soll. Es geht aber auch um den Sojaanbau. Schon heute führt das Wachstum der Rinderherden zu massiver Abholzung von Regenwäldern vor Ort, zu Landkonflikten und damit auch zu einer Verschärfung der Klimakrise, und wir sehen gerade in Brasilien, dass es seit dem Amtsantritt von Bolsonaro im Januar auch verschärft Angriffe auf Menschen gibt, die ihre Lebensgrundlagen vor Ort verteidigen, und die nehmen gerade im ländlichen Brasilien, da an den Fronten, wo es zu Landgrabbing kommt für diese Rinderherden, zu.

Sie argumentieren ja auch mit ganz konkreten Zahlen. So sagen Sie zum Beispiel, der weltgrößte Fleischverarbeiter JBS – das ist ein brasilianischstämmiges Unternehmen, ein weltweiter Konzern – habe 2016 mehr Treibhausgase emittiert als die Niederlande. Wie kommen Sie zu solchen Zahlen?

Das sind Zahlen, die das Institut für Landwirtschaft und Handelspolitik für uns ausgerechnet hat.

Das ist ein US-Institut …

Genau: Institute for Agricultural and Trade Policy. Die beziehen sich einmal auf regionale Daten der Welternährungsorganisation, die sich regional die Emissionen der Tierhaltung anschauen, und auch auf öffentlichen Daten, die sich aufs Produktionsvolumen beziehen.

Sie klagen in Ihrem Brief vor allem die Umwelt- und Produktionsbedingungen in Brasilien an. Sie haben gerade schon diverse Aspekte erwähnt. Sojaproduktion gibt es auch in Argentinien. Wären die Brasilianer jetzt nicht dabei, wäre das Abkommen dann um einiges besser?

Das Abkommen ist gerade auch deshalb problematisch, weil sich die Situation in Brasilien so zuspitzt. Es gibt auch Probleme in Argentinien, aber gerade in Brasilien ist es ganz eklatant, dass wir gerade sehen, dass angekündigt wurde, sich aus dem Pariser Abkommen zurückzuziehen …

Das macht die brasilianische Regierung aber nicht konkret.

Aber man sieht schon, dass zum Beispiel das Budget für Klimaschutz des Umweltministeriums um 95 Prozent gekürzt wurde, und das lag eh schon bei nur 2,7 Millionen Euro. Da sieht man, dass erste Schritte geleistet werden, dem Klimaschutz eine Komplettabsage zu erteilen. Der Außenminister ist ein Klimaleugner. Das Gesamtbudget des Umweltministeriums wurde um ein Viertel gekürzt. Es gibt Repressalien gegenüber Indigenen, die sich für den Schutz des Regenwaldes einsetzen, und das alles betrachten wir mit großer, großer Sorge.

Nun enthält ja das Abkommen ein Nachhaltigkeitskapitel – jedenfalls steht das in den Entwürfen, die wir kennen. Die Details sind ja nicht bekannt. Warum stellt Sie das nicht zufrieden?

Diese Nachhaltigkeitskapitel, die im Moment verhandelt werden, sind alle relativ zahnlos. Beim Mercosur-Abkommen wissen wir, dass es wahrscheinlich so ist wie im Mexiko-Abkommen, dass da vielleicht ein Expertenkomitee zusammentreten darf. Diese Nachhaltigkeitskapitel sind ein Feigenblatt. Sie haben keinerlei Sanktionsmechanismen.

Aber müsste man in Zeiten von Donald Trump und zunehmendem Nationalismus nicht eigentlich froh sein, dass überhaupt ein Abkommen zustande kommt? Vielleicht gibt es ja danach auch noch Mittel und Wege, über das Paris-Abkommen etc. mehr Klimaschutz einzubringen.

Die Drohkulisse, die da im Moment gezeichnet wird, das Gerede von Handelskriegen, kommen der EU gerade recht. Es kann aber nicht um Handel um jeden Preis gehen. Vor allem nicht um den Preis von Menschenrechtsverletzungen, von grober Umweltzerstörung, die da stattfindet. So kann Handel nicht stattfinden und deshalb plädieren wir dafür, im Moment die Verhandlungen auszusetzen.

Und wenn man ein ganz klares Klimaschutzkapitel hineinschreiben würde?

Frankreich zum Beispiel hat sich ja ganz klar geäußert: Der Klimaschutz müsse eine größere Rolle spielen, Handelsabkommen müssten vom Paris-Abkommen abhängig gemacht werden. Auch der Handelsminister hat sich ganz eindeutig geäußert. Aber auch das reicht nicht.


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Eine Zusammenfassung der wichtigsten Argumente veröffentlichte auch die österreichische Tageszeitung Standard. Wer besonders Druck zugunsten des Mercosur-Abkommens aufsetzt, verrät ein Artikel im „Spiegel“. Es ist die „Klimakanzlerin“.