Mercosur-Abkommen schadet BäuerInnen weltweit

Pflanzengifteinsatz auf den Sojafeldern im Mato Grosso, Brasilien. Foto: Florian Kopp / Brot für die Welt

EU und die Mercosur-Staaten haben ein Freihandelsabkommen ausgehandelt, das BäuerInnen in Südamerika, in der EU, aber auch in Afrika schweren Schaden zufügen wird. EU-Industriekonzerne haben sich durchgesetzt und das Agrobusiness Brasiliens hat gewonnen – auf Kosten von Klima, Umwelt- und Menschenrechten. So jedenfalls urteilt der Handelsexperte Francisco Mari von Brot für die Welt.

Am Rande des G-20 Gipfels in Japan ist es nun doch passiert und die EU konnte sich auf den Abschluss der Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay einigen. Der Jubel der neoliberalen Propheten und ihrer Presse kennt keine Grenzen. Schon wieder werden Arbeitsplätze und Geldgewinne für „die Deutschen“ prophezeit.

Die EU beschwichtigt Kritiker mit Schutzklauseln für Menschen-, Umwelt- und Arbeitsrecht. Die hohen Standards Europas würden nicht verwässert werden. Sonst an der Speerspitze der globalen Marktöffnungsbefürworter vergießt der Bauernverband Krokodilstränen für bäuerliche Familien in der EU und gegen den Import von Genprodukten. Was niemand wahrnimmt ist aber, dass die Abschaffung der meisten EU-Agrarzölle für verarbeitete Produkte aus Brasilien die Zukunft für Afrika auf eine Wertschöpfung aus ihren Rohexporten verbaut. Damit ist viel gesagt über die Ehrlichkeit der Bundesregierung und der EU in ihren Sonntagsreden, Afrika beim Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit zu unterstützen.

Scheinheiliger Bauernverband

Es ist klar, wer die Sieger sind in diesem Abkommen. Es sind wieder einmal die deutschen Konzerne – die Exportweltmeister von Autos, Maschinen und Chemieprodukten. Insofern hat Bauernpräsident Rukwied recht. Das Auto hat gewonnen, die Kuh hat verloren. Allerdings sind seine Tränen kaum glaubhaft, wenn er durch die hohen Fleisch- und Zuckerquoten zugunsten der Mercosurländer zurecht Schwierigkeiten auf bäuerliche Familienbetriebe in der EU beklagt. Ist es nicht sein Verband, der zusammen mit EU und Bundesregierung die Landwirte seit Jahren durch eine naturzerstörende Intensivierung der Produktion zu einer größeren Abhängigkeit vom Exportgeschäft treibt?  Hunderttausende haben in diesem Exportrennen in der EU ihre Höfe verloren. Und jubelten nicht DBV-Präsident Rukwied und Landwirtschaftsministerin  Klöckner jüngst über die weitere Öffnung des chinesischen Marktes für EU-Agrarexporte und über das EU-Vietnam-Abkommen? Dieses zwingt Vietnam innerhalb von ein paar Jahren zum vollständigen Abbau von Schutzzöllen für EU-Schweinefleisch. Das wird vielen vietnamesischen Kleinhaltern ihre Existenz kosten. Wo ist da der Aufschrei von Herrn Rukwied gewesen? Ganz zu schweigen von den jahrzehntelangen Schäden von EU Agrarexporten nach Afrika.

Es ist also wenig glaubwürdig, wenn die Befürworter von Glyphosat und Gentechnik, von Massentierhaltung und Nitratbelastung des Grundwassers nun im Namen der bäuerlichen Familien in Europa, der Gegner von Gentechnik und des Schutzes der Amazonaswälder gegen das Mercosurabkommen zu Felde ziehen wollen. Bisher war von ihnen nichts zu hören beim Ausbau des Sojaanbaus in Südamerika für die deutsche Fleisch- und Milchproduktion, obwohl er auf Kosten der Gesundheit der indigenen Bevölkerung durch exzessiven Glyphosateinsatz geht und mit ihrer Vertreibung wegen extensiver Rodung des Amazonaswaldes verbunden ist. Da ist der jetzige Protest gegen das Abkommen der EU doch etwas scheinheilig.

Besonders dann, wenn jetzt bejubelt wird, dass das Abkommen die Regierung Brasiliens wieder auf den Pfad des Pariser Abkommen führt, nachdem Soja, Zucker und Ethanolexporte in die EU seit Jahrzehnten in Brasilien dazu führen, dass Amazonaswald für die EU zerstört wird und auch die eigene EU-Intensivlandwirtschaft großen Anteil an der Erderwärmung hat. Aber im Geiste des Freihandels ist inzwischen jede Heuchelei erlaubt.

Nicht dabei und dennoch geschädigt – Afrikas KleinbäuerInnen

Eine  Wirkung dieses Abkommens wurde bisher nur selten diskutiert – wie immer, wenn die EU bilaterale Abkommen mit Schwellen- und Industrieländer abschließt. Wie beim geplanten TTIP mit den USA hat dieses Abkommen auch massive Wirkungen auf Drittstaaten, die gar nicht mit am Verhandlungstisch sitzen. Das jetzige mit Lateinamerika hat ganz besonders negative Wirkungen, zum Beispiel auf Afrika. Bundesminister Müller wird nicht müde, zurecht mehr Wertschöpfung aus den afrikanischen Rohstoffen in Afrika selbst einzufordern. Aber nun wird diese gute Absicht – wie so vieles nicht mal im Ansatz realisiert – zugunsten der afrikanischen Kakao-, Kaffee- und Obstproduktion durch einen neuen Exportriesen durchkreuzt: Brasilien. Nicht weil es bisher Zölle auf brasilianische Rohware gegeben hätte. Rohkakao oder Rohkaffee, aber auch Mangos, Ananas oder Orangen aus Ghana, Uganda oder Brasilien wurden bisher schon zollfrei in die EU eingeführt.

Nein, die Zollsenkungen im Mercosur-Abkommen für die Einfuhr in die EU betreffen im Agrarbereich vor allem die verarbeiteten Produkte. Musste bisher Schokolade, gerösteter Kaffee oder Orangensaft im 1-Liter-Behälter aus Brasilien noch 10 -20% Einfuhrzoll in der EU zahlen, fällt das in Zukunft weg. Damit ist Brasilien gegenüber den ärmsten Ländern, die ihre Produkte – wie zum Beispiel Kakao – zumindest mit einem Verarbeitungsschritt veredeln wollen (zum Beispiel zu Kakaobutter) beim Einfuhrzoll in die EU gleichgestellt. Zum Teil ist Brasilien in Zukunft sogar gegenüber den ärmsten Ländern (ohne EPA) im Vorteil, wenn man die sogenannte Ursprungsregeln betrachtet, wie z.B. für Milchschokolade aus Afrika, da es den Zucker dafür selbst herstellt. Siehe diesen Blogbeitrag.

Präferenzerosion: EU nimmt armen Länder ihre Handelsvorteile

Diese Handelssituation erleben die ärmsten Länder schon länger; sie nennt sich „Präferenzerosion“. Hatte man den armen Ländern für ihre Entwicklung noch vor 20 Jahren exklusiven zollfreien Zugang zum EU-Markt gegeben, erhalten ihn nach und nach auch Industrie- und Schwellenländer, wie nun die Mercosur-Staaten. Der Vorteil für die Ärmsten schmilzt und Investoren, die vielleicht darauf gebaut haben, die schlechteren Ausgangsvoraussetzungen in Afrika durch Zollfreiheit in die EU auszugleichen, werden sich nun überlegen, ob sie in Wertschöpfung der Rohprodukte investieren, wie Bundesminister Gerd Müller das für Afrika erwartet. Das gilt auch für den Textilbereich, wo auch die Einfuhrzölle aus Südamerika in die EU fallen sollen.

Dabei haben die EU und Bundesregierung seit der sogenannten Migrationskrise 2015 mit unzähligen Programmen, wie „Marshallplan“, „Compact with Africa“ oder dem Entwicklungsinvestitionsfonds AfricanGrowth versucht, Investoren nach Afrika zu locken. Das Ziel dabei ist, dass die Tafel Milchschokolade, der Ananassaft oder der Röstkaffee direkt aus Afrika in unsere Supermarktregale kommen und die so sehr ersehnten Arbeitsplätze in Afrika schaffen, damit es niemand mehr riskieren muss, nach Europa zu fliehen. Selbst wenn das ehrlich gemeint war, werden Investoren jetzt nicht mehr von dem Vorteil profitieren können, dass afrikanische Produkte exklusiv zollfrei sind. Nun haben Schokolade oder Orangensaft aus Togo oder Brasilien den selben Zollsatz, nämlich gar keinen Zoll. Da Brasilien sowie schon bei vielen Produkten günstiger produziert als Afrika, kann es nun das Volumen bei verarbeiteten Produkten massiv ausweiten, z.B. bei Kakaomasse, Obstsäften und Gemüsekonserven. Damit wird nicht nur der Aufbau einer afrikanischen Weiterverarbeitung verhindert, sondern durch eine  Produktionsausweitung bei den Rohprodukten (Kakao, Zucker, Obst) sogar zu einer Bedrohung der Rohproduktion in Afrika werden, zumindest dadurch die Weltmarktpreise in den Keller ziehen.

Diese „Präferenzerosion“ bei gleichen Produkten wird auch in anderen Bereiche stattfinden, wie beim Export von Fischdosen aus Cote d’Ivoire, grünen Bohnen aus Kenia oder Zitrusfrüchten aus Südafrika. Auch die Ausweitung der Quotenimporte in die EU für Rindfleisch und Geflügel werden direkt Namibias Rindfleischexporte treffen und beim Geflügel werden indirekt wieder hunderttausende Tonnen Hähnchenteile aus Brasilien die afrikanischen Märkte neu überfluten. Denn die EU wird die neue 100.000 Tonnen Einfuhrquote für Geflügel aus Südamerika auf Einfuhren von Hähnchenfilet beschränken. Dies schafft wieder dreimal so viel Menge an „Resten“, die Brasilien, wie bisher und genauso wie die die EU und die USA nach Afrika verschiffen. Schöne Aussichten für die afrikanischen Tiermäster.

Brasilien bedroht Aufbau afrikanischer Wertschöpfung bei Agrarproduktion

Auch damit wird deutlich, wie die Interessen der deutschen und europäischen Konzerne  – trotz aller politischen Lippenbekenntnisse für Umwelt, Menschenrechte, EU-BäuerInnen und ein afrikanisches Wachstum – immer die Richtschnur für Entscheidungen von EU PolitikerInnen und vor allem für die EU Kommission sind.  Wahrscheinlich wird auch hier die EU „besondere Hilfen“ für afrikanische ProduzentInnen anbieten, die Opfer des EU-Mercosur Deals werden, sowie für EU-BäuerInnen versprochen. Nur daran glauben wird niemand in Afrika.

Noch ist das Abkommen nicht ratifiziert, noch wird es auch die nationalen Parlamente zur Ratifizierung durchlaufen. Auf den EU-Rat kann man kaum setzen, und ob das neugewählte EU-Parlament kritischer sein wird, als bei der Verabschiedung der EPAs, des CETA-Abkommens oder dem EU-Vietnam-Abkommen, wird sich zeigen. Aber dennoch sollten Umwelt-, Tierwohl- und Entwicklungsorganisationen und bäuerliche Organisationen den PolitkerInnen in EU und Bundestag für ihre Zustimmung zum EU-Mercosurabkommen eine besonders hohe Rechnung der schädlichen Folgen präsentieren. Damit es hinterher nicht wieder scheinheilig heißt: „Wir haben das nicht gewusst!“


Francisco Mari ist Referent für Welternährung beim Hilfswerk Brot für die Welt.