Während in Brüssel auf Hochtouren über die neuen EU-Spitzenpositionen und die Arbeitsausschüsse im EU-Parlament verhandelt wurde, brachte die amtierende EU-Kommission kurz vor Ende ihrer Amtszeit noch zwei Handelsabkommen voran: Ende Juni verkündete sie die politische Einigung zum Handelsabkommen mit dem Mercosur und unterzeichnete die Handels- und Investitionsschutzabkommen mit Vietnam.
Beide Abkommen sind alles andere als ein Schritt in die richtige Richtung eines global gerechten Welthandels. Welche Gefahren sie bergen und wie die weiteren Schritte aussehen, erfahren Sie im Newsletter des Netzwerks Gerechter Welthandel.
Außerdem möchten wir Sie schon heute auf den dezentralen Aktionstag zur Kampagne „Menschenrechte schützen – Konzernklagen stoppen!“ am 12. Oktober hinweisen: An diesem Tag wollen wir gemeinsam an vielen verschiedenen Orten ein starkes Zeichen gegen Sonderklagerechte für Konzerne setzen! Sind Sie dabei? Auch dazu erfahren Sie mehr in unserem Newsletter.
+ + + Politische Einigung zum EU-Mercosur-Abkommen + + +
Mehr als 20 Jahre nach Beginn der Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay wurde Ende Juni eine politische Einigung verkündet. Das Abkommen ist eine frohe Botschaft für Konzerne, insbesondere für die deutsche Autoindustrie – und ein herber Rückschlag für Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz und bäuerliche Landwirtschaft! Es wird unter anderem die Importzölle auf Autos, Autoteile und Chemikalien nach Südamerika senken, im Gegenzug werden Zölle auf die meisten landwirtschaftlichen Produkte in die EU gesenkt oder abgeschafft. Das drückt die Preise auf dem Agrarmarkt weiter – zu Lasten von Bäuerinnen und Bauern.
Über 340 zivilgesellschaftliche Organisationen hatten in einem Offenen Brief gefordert, die Verhandlungen wegen der Verschlechterung der Menschenrechte und Umweltbedingungen in Brasilien einzustellen; auch über 40 Europaabgeordnete sprachen sich in einem gemeinsamen Brief gegen den Abschluss des Abkommens aus – vergeblich. EU-Handelskommissarin Malmström hatte sich vehement für den Abschluss des Abkommens eingesetzt und wurde dabei unter anderem von Bundeskanzlerin Merkel unterstützt. Gemeinsam mit anderen EU-Staatsoberhäuptern appellierte sie in einem Brief an Kommissionpräsident Juncker, das Abkommen bald abzuschließen – ungeachtet der Tatsachen, dass sich die Menschenrechtssituation unter dem rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro massiv verschlechtert hat, und dass derzeit Regenwald im großen Stil abgeholzt und in Agrarindustrie-Flächen umgewandelt wird.
Auch für afrikanische Staaten wird das EU-Mercosur-Abkommen fatale Folgen haben, obwohl diese gar nicht am Verhandlungstisch saßen, schreibt Francisco Mari von Brot für die Welt in seinem Blog-Beitrag: Wenn das Abkommen in Kraft tritt, wird Brasilien verarbeitete Produkte wie Schokolade, gerösteten Kaffee oder Orangensaft zollfrei in die EU einführen können – und damit zu den gleichen Bedingungen wie die ärmsten afrikanischen Länder. Da Brasilien meist billiger produzieren kann, wird der Aufbau einer afrikanischen Weiterverarbeitung verhindert; eine Ausweitung der lateinamerikanischen Produktion von Kakao, Zucker oder Obst würde zudem die Weltmarktpreise weiter in den Keller ziehen. Das gleiche Problem könnte im Textilbereich sowie bei manchen Gemüse- und Fleischsorten entstehen.
Fest steht jedoch: Der Weg zum Inkrafttreten des Abkommens ist noch lang. Ein kompletter Text des Abkommens liegt noch nicht vor, an einzelnen Stellen dürften noch Nachverhandlungen erforderlich sein, das Abkommen muss in alle EU-Amtssprachen übersetzt und einer formaljuristischen Prüfung unterzogen werden. Dann erst kann es im EU-Ministerrat sowie im EU-Parlament abgestimmt werden – unwahrscheinlich, dass dies vor Sommer oder Herbst 2020 passieren wird. Da es sich um ein so genanntes gemischtes Abkommen handelt, muss es anschließend noch von den Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Anders als beispielsweise CETA enthält das EU-Mercosur- Abkommen zwar keine Investor-Staat-Schiedsverfahren; die Ratifizierung aller nationalen Parlament ist jedoch erforderlich, da es Teil eines umfassenden politischen Assoziationsabkommen mit außen- und sicherheitspolitischen Bestandteilen ist. Es gibt also etliche Möglichkeiten, das Abkommen noch zu stoppen!
+ + + EU-Vietnam + + +
Am 24. Juni gab der EU-Ministerrat grünes Licht für das Handels- und das Investitionsschutzabkommen mit Vietnam, bereits am 30. Juni wurden die Abkommen in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi unterzeichnet. Laut EU-Kommission handelt es sich um „die ehrgeizigsten Abkommen, die die EU jemals mit einem Entwicklungsland geschlossen hat“. Das Handelsabkommen wird voraussichtlich das erste sein, das im neu konstituierten EU-Parlament zur Abstimmung steht. Vietnam hat bis heute drei der acht ILO-Kernarbeitsnormen nicht ratifiziert, Arbeitsrechtsverletzungen gehören im südasiatischen Land zum Alltag. Wie alle EU-Handelsabkommen enthält auch das EU-Vietnam-Abkommen jedoch keine durchsetzungsfähigen Bestimmungen zum Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechten und sollte daher im EU-Parlament abgelehnt werden!
Das Investitionsschutzabkommen enthält Sonderklagerechte für Konzerne; nach seiner Ratifizierung würde diese ungerechte Paralleljustiz weiter ausgebaut – abermals auf Kosten von Umwelt, Sozial- und Arbeitsstandards. Im Gegensatz zum Handelsabkommen muss es auch von den Parlamenten aller EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Wir werden uns gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen weiterhin gegen die Ratifizierung dieses Abkommens einsetzen!
+ + + Offene Briefe zum EU-Kanada-Abkommen CETA + + +
Anlässlich der Koalitionsverhandlungen in Bremen hat das Netzwerk Gerechter Welthandel gemeinsam mit Attac Bremen einen Offenen Brief an die Landesspitzen von SPD, Bündnis90/Die Grünen und Die Linke verfasst. Darin forderten wir die Parteien auf, das EU-Kanada-Abkommen CETA zum Thema der Verhandlungen zu machen und im Koalitionsvertrag festzuhalten, dass Bremen dem Abkommen im Bundesrat nicht zustimmen wird. Im Entwurf des Koalitionsvertrages, der Anfang Juli veröffentlicht wurde, findet CETA jedoch keine Erwähnung. Die Koalitionsparteien wollen sich allerdings für „faire Handelsbeziehungen“ einsetzen sowie „für eine Handelspolitik, die sich an sozialen und ökologischen Werten ausrichtet“. Daher setzen wir darauf, dass R2G in Bremen keine Zustimmung erteilen wird, wenn CETA im Bundesrat zur Abstimmung steht. Nach der aktuellen Sitzverteilung im Bundesrat kann CETA dort noch gestoppt werden, wenn die Parteien, die sich auf Bundesebene gegen das Abkommen ausgesprochen haben, diese Position auch bei Regierungsverantwortung in den Ländern beibehalten. Inzwischen haben SPD und die Grünen den Koalitionsvertrag angenommen; bei der Linken läuft noch bis 22. Juli ein Mitgliederentscheid.
Bereits im letzten Newsletter berichteten wir vom Offenen Brief der lokalen Bündnisse und Initiativen, der Bündnis90/Die Grünen zur Ablehnung von CETA auffordert. Dieser Brief kann nun von Gruppen und Einzelpersonen online unterzeichnet werden unter https://www.ceta-im-bundesrat.de.
In Frankreich formiert sich derzeit übrigens breiter Widerstand gegen die CETA-Ratifizierung: Am 17. Juli soll das französische Parlament über das Abkommen abstimmen, im Vorfeld haben sich 72 zivilgesellschaftliche Organisationen in einem gemeinsamen Brief gegen die Ratifizierung ausgesprochen. Ein Aufruf an alle Parlamentarier*innen, gegen CETA zu stimmen, wurde bisher über 120.000 Mal versendet. Insgesamt haben 13 der 26 EU-Mitgliedsstaaten CETA schon ratifiziert, neben Frankreich steht auch in Luxemburg die Abstimmung kurz bevor.
+ + + Veröffentlichungen + + +
Stop ISDS: Kurzvideos zu Klagen von Investoren gegen Staaten
In fünf bis sieben-minütigen Videos werden drei Schadensersatzklagen vorgestellt, die Investoren vor internationalen Schiedsgerichten gegen Staaten eingereicht haben. Sie zeigen, wie sich die Bevölkerung gegen umwelt- und klimaschädliche Projekte zur Wehr setzt und gewinnt – und wie die Investoren versuchen, diese gemeinschaftlichen Siege rückgängig zu machen.
Die Videos stehen unter anderem auf dem Youtube-Kanal des Netzwerks Gerechter Welthandel zum Download zur Verfügung:
„Rettet Rosia Montana“: https://youtu.be/t4vRCWFlOj8
„Golfkrieg in Dubrovnik“: https://youtu.be/vcnpjT3McUU
„Schmutziges Öl in der Adria“: https://youtu.be/78AxOI4imPc
Die Videos sind im Rahmen einer Studie entstanden, die insgesamt zehn ISDS-Konzernklagen portraitiert. Die Studie ist in englischer Sprache verfügbar unter http://10isdsstories.org.
FactSheet: Menschenrechte auf dem Abstellgleis
In den kommenden Monaten wird das EU-Parlament über das Handels- und das Investitionsschutzabkommen der EU mit Vietnam abstimmen. Ein aktuelles FactSheet weist auf kritische Punkte in den Abkommen hin. Diese betreffen vor allem die Menschenrechtssituation und die schwierige Lage für Gewerkschaften, sowie Umweltaspekte und Konzernklagerechte. Fazit: Die Abkommen sind ungeeignet, eine Verbesserung der sozialen und menschenrechtlichen Lage zu bewirken.
Veröffentlicht von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Attac, NaturFreunde und PowerShift
Download unter https://power-shift.de/wp-content/uploads/2019/06/Menschenrechte-auf-dem-Abstellgleis-web.pdf
Bestellung gedruckter Exemplare (gegen Spende) unter https://power-shift.de/bestellformular/
FactSheet und Studie: Rohstoffkapitel in EU-Handelsabkommen
Mit Kapiteln zu Rohstoffen und Energie in Handelsabkommen will die EU-Kommission den möglichst günstigen Zugang zu diesen wichtigen Importgütern für europäische Unternehmen sichern. Diese Kapitel sind Teil der Abkommen, die die EU-Kommission mit Australien, Chile, Indonesien, Neuseeland, Mexiko und Tunesien verhandelt. Welche Rolle spielt der Schutz von Umwelt und Menschenrechten in diesen Kapiteln? Welchen Einfluss nehmen die Rohstoff- und Energiekapitel auf die Vergabe von Lizenzen für den Abbau und die Exploration von Rohstoffen? Welche Konsequenzen bergen die handelspolitischen Bestimmungen für das wirtschaftliche Wachstum und Entwicklung in rohstoffreichen Staaten des Globalen Südens wie Chile, Indonesien und Mexiko?
Veröffentlicht von BUND, FDCL, Forum Umwelt und Entwicklung, GRÜNE LIGA, PowerShift und Stiftung Asienhaus
Download der 32-seitigen Studie unter https://power-shift.de/wp-content/uploads/2019/07/Neue-Rohstoffkapitel-in-EU-Handelsabkommen-web-03072019.pdf
Download des 6-seitigen FactSheets unter https://power-shift.de/wp-content/uploads/2019/07/Factsheet_Rohstoffkapitel-in-EU-Handelsabkommen-web.pdf
Bestellung gedruckter Exemplare (gegen Spende) unter https://power-shift.de/bestellformular/
7 Gründe gegen CETA
Ende April 2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die Sonderklagerechte im EU-Kanada-Abkommen mit dem EU-Recht vereinbar sind. Ein Paralleljustizsystem für Konzerne mag damit europarechtlich zulässig sein – gerecht ist es trotzdem nicht. Auch aus zahlreichen anderen Gründen ist und bleibt CETA ein schlechtes Abkommen. Ein aktuelles Papier fasst sieben wichtige Gründe zusammen.
Download unter https://www.gerechter-welthandel.org/2019/06/19/sieben-gruende-gegen-ceta/