Die UN-Kommission verhandelt in Wien über Sonderklagerechte für Unternehmen. Brüssel besteht auf Konzern- statt Klimaschutz. Das berichtet die Tageszeitung „Junge Welt“.
Von Sabine Fuchs
Sonderklagerechte für Konzerne vor privaten Schiedstribunalen, als »Investor-State Dispute Settlement« (ISDS) Teil von Freihandelsabkommen und anderen internationalen Verträgen, sind in den letzten Jahren immer stärker in die Kritik geraten. Der Grund: Wenn ein Konzern mit Firmensitz in einem Vertragsstaat durch einen anderen Vertragsstaat seine Profite gefährdet sieht, kann er vor dem privaten Schiedstribunal hohe Entschädigungszahlungen einklagen. Auch wenn der Konzern verliert, erfüllt die Klage oft ihren Zweck: Staaten müssen, auch wenn sie recht bekommen, die horrenden Anwaltskosten selbst tragen – so können vor allem ärmere Staaten des globalen Südens eingeschüchtert und Regierungen in ihren Gesetzesvorhaben beeinflusst werden.
In dieser Woche wird auf UNO-Ebene an zwei Schauplätzen über diese vertraglich geschützten Konzernprivilegien diskutiert. In Wien steht in der Herbstsitzung der UN-Kommission für internationales Handelsrecht (Uncitral) eine geplante Reform des ISDS-Systems auf der Tagesordnung. Zeitgleich diskutiert in Genf eine Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsrats die Möglichkeiten eines verbindlichen Vertrages (Binding Treaty), der Konzerne zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet.
Konkret soll das Abkommen Konzerne durch die Einführung von entsprechenden staatlichen Gesetzen zwingen, Menschenrechte entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu respektieren. Gleichzeitig soll ein Procedere erarbeitet werden, durch das internationale Konzerne sich nicht mehr ihrer Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen entziehen und Opfer leichter Zugang zu Rechtsmitteln erhalten können. Zudem soll das Abkommen Vorrang vor Handels- und Investitionsabkommen und damit dem ISDS-System haben.
EU torpediert Umweltschutz
Aber während sich vor allem Länder des globalen Südens für die Beschränkung von Konzernprivilegien einsetzen, mauert die EU. Die 2014 von Ecuador und Südafrika ins Leben gerufene Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrats wird von den USA und vielen europäischen Staaten torpediert. Bei den Uncitral-Verhandlungen in Wien sieht es nicht anders aus. So setzt sich etwa Südafrika für eine Vorrangklausel für Umweltschutz und Menschenrechte gegenüber den Konzernklagerechten in ISDS-Bestimmungen ein.
Der von der EU-Kommission eingebrachte Vorschlag zur Einrichtung eines sogenannten multilateralen Investitionsgerichtshofs (MIC) hingegen prolongiert die Probleme des bestehenden Systems.
So ist auch der MIC als rein privates Tribunal geplant, das staatliche, der Verfassung nach unabhängige Gerichte umgeht. Wie beim jetzigen System sollen ausgewählte Anwaltskanzleien als »Schiedsrichter« fungieren, obwohl diese selbst an den Verfahren verdienen und deshalb ein Interesse an möglichst vielen Klagen haben. Und: Klagen können auch beim geplanten MIC ausschließlich von Konzernen eingebracht werden. Staaten hingegen könnten vor dem Investitionsgerichtshof ebensowenig klagen wie vor den jetzigen ISDS-Tribunalen. Auch sonst haben sie keine Möglichkeit, internationale Konzerne zur Einhaltung von Menschenrechten, Klima- oder Umweltschutzbestimmungen zu zwingen.
Gegen Klimaziele
Das ist umso bedenklicher, als es immer häufiger Konzerne der auf der Nutzung fossiler Brennstoffe basierenden Energiewirtschaft sind, die Klagen bei Schiedstribunalen einbringen, weil sie Klimaschutzmaßnahmen von Regierungen blockieren wollen. Jüngstes Beispiel ist eine Klageandrohung des deutschen Energiekonzerns Uniper SE gegen die Niederlande auf 850 Millionen Euro Schadenersatz. Der Konzern geht so gegen einen Plan der niederländischen Regierung vor, bis 2030 aus der Stromgewinnung aus Kohle auszusteigen. Möglich ist die Klagedrohung, weil sowohl Deutschland als auch die Niederlande den Energiechartavertrag unterzeichnet haben, der ebenfalls eine ISDS-Klausel enthält. 97 Prozent aller auf der Energiecharta beruhenden Schiedsklagen werden von Konzernen eingebracht, die ihr Geld mit der Ausbeutung umwelt- oder klimaschädlicher Energiequellen verdienen.
Der Vorschlag der EU-Kommission steht in direktem Gegensatz zu den Klimazielen, die sie selbst erst vor kurzem ausgegeben hat: Wer Sonderklagerechte von Konzernen schützt, kann nicht glaubwürdig dafür eintreten, »die Treibhausgasemissionen um mindestens 40 Prozent zu senken«, wie es die Kommission postuliert. Wenn sich nun Umweltschutzverbände, Klimaschützer und andere NGOs zusammenschließen, um gegen die Zementierung der strittigen ISDS-Bestimmungen zu protestieren, dann kann man nur hoffen, dass sie auch von der Politik endlich ernstgenommen werden.