Vor einigen Tagen fand ein Spitzentreffen der Supermärkte im Bundeskanzleramt statt. Ziel dieses Gipfels war es laut Bundesregierung, angemessene Preise für Landwirt*innen zu vereinbaren. Aus Sicht des Forum Fairer Handel gehen die Ergebnisse des Gipfels nicht weit genug, wie es in einem Statement heißt. Für nachhaltige Lösungen sollte die Bundesregierung verbindliche Maßnahmen gegen Dumpingpreise und für existenzsichernde Einkommen beschließen.
Niedrigpreis- und EU-Politik schädigen die Erzeuger*innen
Im Vorfeld des Spitzentreffens der deutschen Supermärkte im Bundeskanzleramt rechtfertigte Rewe-Chef Lionel Souque die Niedrigpreis-Politik des Einzelhandels mit dem Hinweis darauf, dass in Deutschland viele Menschen in Armut oder ander Armutsgrenze leben. Günstige Lebensmittel ermöglichten diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung. „Den extremen Preiskampf um Lebensmittel, der von deutschen Supermärkten weltweit betrieben wird, mit sozialen Beweggründen zu rechtfertigen, ist zynisch“, konstatiert Steffen Weber, stellvertretender Vorsitzender des Forum Fairer Handel. „Denn diese Niedrigpreispolitik treibt immer mehr Erzeuger*innen von Lebensmitteln, und dabei insbesondere Kleinbäuer*innen, weltweit in den Ruin und zerstört Arbeitsplätze“, ergänzt Weber.
Das zeigt eine aktuelle Studie im Auftrag von Oxfam zum Bananenanbau in Ecuador. Danach ist die Anzahl der Bananen produzierenden Familienbetriebe in vier Jahren um 60 Prozent gesunken, während jene der größeren Betriebe um 20 Prozent gestiegen ist. Laut Oxfam ist die aggressive Billigpreispolitik der Supermarktketten dafür mitverantwortlich. Doch auch in Deutschland werden immer mehr kleine landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben. Der Grund dafür sind Niedrigpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse und der Druck auf Bäuer*innen, ihre Erträge zu steigern und ihre Betriebe zu vergrößern. Erschwerend kommt hinzu, dass die EU-Fördergelder den großen Betrieben nutzen, die ökologischen und sozialen Leistungen der kleinen Betriebejedoch noch zu wenig honorieren. Insgesamt ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland seit Mitte der 1990er-Jahre um die Hälfte geschrumpft. Ein Drittel der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gingen verloren.
Preiskampf auch im Kaffee- und Kakaosektor
Auch Kaffee-und Kakaobäuer*innen bekommen immer weniger für ihre Produkte bezahlt. Laut einer Studie, die das Forum Fairer Handel in 2019 veröffentlichte, sind die Einnahmen in den Produktionsländern von Kaffee zwischen 1994 und 2017 um zehn Prozent gesunken.
Dagegen ist die Wertschöpfung bei Röstern und Händlern in Deutschland im gleichen Zeitraum um 139 Prozent, von 1,52 Milliarden Euro auf 3,63 Milliarden Euro pro Jahr gestiegen. Die Hälfte der Kaffeebäuer*innen können mit ihren Einnahmen nicht einmal ihre Produktionskosten decken. Diese Problematik wird durch den Klimawandel verstärkt.
Im Kakaosektor sieht es nicht besser aus: Im Preiskampf der Supermärkte gilt Schokolade als sogenanntes Ankerprodukt, nach welchem Kund*innen ihren Einkauf entscheiden. Entsprechend hoch ist der Preisdruck. Die meist nicht zusammen organisierten Kleinbäuer*innen können in diesem umkämpften Kakaomarkt gegen immer weniger große Unternehmen ihre Interessen nicht durchsetzen. Die Mehrzahl der weltweiten Kakaobäuer*innen lebt unterhalb der international definierten Armutsgrenze. Gemessen am Verkaufspreis einer Tafel Schokolade ist ihr Anteil seit Jahrzehnten rückläufig und beträgt je nach Land in Westafrika nur noch 4 bis 6 Prozent.
Verbindliche Regeln für Unternehmen gegen Dumpingpreise
Dumpingpreise bilden die wahren sozialen und ökologischen Kosten eines Produktes nicht ab. Die Folgen dieser ungerechten Dynamik entlang vieler Lieferketten tragen nicht nur die Erzeuger*innen, sondern auch die Gesellschaften in den Produktionsländern. „Insofern ist es Zeit, dass die großen Supermarktketten in die Pflicht genommen werden: Wenn sie für soziale Gerechtigkeit sorgen wollen, dürfen sie ihren Profit nicht mehr auf Kosten von Menschen und Umwelt maximieren und Preisdumping betreiben“, fordert Steffen Weber. „Die Preise für Lebensmittel weltweit mit aller Gewalt zu drücken, Marketingkampagnen nach dem Motto Geiz ist geil zu fahren und dann niedrige Lebensmittelpreise als sozial zu begründen, ist schamlos“, konstatiert Weber.
Die Bundesregierung muss wirksame und verbindliche Regeln für Unternehmen gegen Dumpingpreise und zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards festschreiben. Die Ergebnisse des Gipfels gehen hier nicht weit genug. Sie bleiben unverbindlich oder betreffen Maßnahmen, welche Deutschland nach EU-Vorgaben ohnehin umsetzen muss. So wird als ein Ergebnis die Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken, die am 1. Mai 2019 in Kraft getreten ist, genannt. Deutschland ist verpflichtet, diese bis zum 1. Mai 2021 umzusetzen. Doch um effektiv gegen Dumpingpreise vorzugehen, sollte die Bundesregierung über eine Eins-zu-eins-Umsetzung hinausgehen und Dumpingpreise als unlautere Handelspraktik auf der Verbotsliste ergänzen. Dies ist in der EU-Richtlinie nicht vorgeben. Des Weiteren sollte die Bundesregierung ein ambitioniertes Lieferkettengesetz beschließen. Das Forum Fairer Handel begrüßt den entsprechenden Vorstoß von Bundesarbeitsminister Heil und Bundesentwicklungsminister Dr. Müller und fordert die Bundeskanzlerin auf, die beiden im Sinne eines starken Gesetzes zu unterstützen. Dieses würde deutschen Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards entlang ihrer gesamten Lieferkette verpflichten. Mit Dumpingpreisen ist dies nicht möglich.