Während die Lage der Flüchtlinge bei uns kaum thematisiert wird, hat die linke portugiesische Regierung entschieden: Zumindest für die Zeit der Corona-Krise das Kranken- und Sozialsystem für alle zu öffnen – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Diese Maßnahmen seien die „Pflicht“ einer „Solidargesellschaft in Krisenzeiten“, sagt Innenminister Eduardo Cabrita.
Hier ein Zusammenschnitt von Berichten der Tageszeitung taz und des österreichischen Online-Magazins Kontrast:
Wer in Portugal vor dem 18. März, als dort der Ausnahmezustand im Kampf gegen das Coronavirus ausgerufen wurde, eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt hat, bekommt diese jetzt automatisch erteilt. Mit dem Antrag in der Hand werden die Betroffenen bis mindestens zum 1. Juli diesen Jahres die vollen Rechte genießen. Sie werden in die Sozial- und Krankenversicherung aufgenommen, können arbeiten, Arbeitslosengeld beantragen und ein Bankkonto eröffnen.
Das gilt auch für Flüchtlinge, die Asyl beantragt haben. Und wer ein Visum hatte, das nach dem 25. Februar verfallen ist, darf bis zum 30. Juni im Land bleiben. Dieses Maßnahmenpaket gab Innenminister Eduardo Cabrita im Namen der sozialistischen Regierung von Ministerpräsident Antonio Costa am Samstag bekannt.
Die Behörden, die Anträge bearbeiten, sind weitgehend geschlossen. Diese Maßnahmen seien deshalb „Pflicht für eine solidarische Regierung in Zeiten der Krise“, erklärte Cabrita.
Letzte Woche hatten 20 Immigrantenverbände und Hilfsorganisationen in einem Brief von der Regierung eine Lösung für Menschen mit laufendem Aufenthaltsgenehmigungsverfahren verlangt. Wie viele von der Expresslegalisierung profitieren, wurde nicht bekannt.
Schnelle Reaktion
In Portugal mit seinen etwas mehr als 10 Millionen Einwohnern leben rund 580.000 ImmigrantInnen. Mehr als ein Viertel davon stammt aus der ehemaligen Kolonie Brasilien, viele kommen auch aus Rumänien, der Ukraine, Britannien und China.
Portugal zählt 5.170 bestätigte Sars-CoV-2-Fälle. 100 Personen verstarben bisher am Coronavirus. 61 sind schwer erkrankt, 43 wurden als geheilt entlassen. Die Regierung reagierte sehr schnell. Nach erst zwei Toten wurde am 18. März der Ausnahmezustand verhängt. Als diese Entscheidung im benachbarten Spanien am 14. März gefällt wurde, waren dort bereits 136 Tote zu beklagen. Und als in Italien am 9. März eine weitgehende Ausgangssperre in Kraft trat, waren dort schon 463 Menschen an Covid-19 gestorben. Viele Portugiesen waren bereits nach Verhängung einer Ausgangssperre in Spanien freiwillig zu Hause geblieben.
Sparzwang im Gesundheitssystem
Ob Portugal langfristig seine bisher flache Infektionskurve beibehalten kann, wird sich zeigen müssen. Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa gibt sich optimistisch. In einem Pressegespräch nach einem nationalen Gesundheitsgipfel, an dem Parteivertreter und Epidemiologen teilnahmen, erklärte er am Samstag, die Infektionen könnten schon Mitte April ihren Höhepunkt erreichen: „Das bedeutet, dass der Druck auf das Gesundheitssystem niedriger ausfällt.“
Ähnlich wie im benachbarten Spanien, dessen Krankenhäuser an ihre Belastungsgrenzern stoßen, musste auch Portugal während der Finanzkrise unter dem Druck der Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Währungsfonds im Gesundheitssystem drastisch sparen. Beide Länder geben nur etwas mehr als 6 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Gesundheitsversorgung aus. In Deutschland sind es über 7 Prozent.
„Pflicht für eine solidarische Regierung“
„Im Ausnahmezustand ist die Verteidigung der kollektiven Gesundheit und Sicherheit die Priorität. In diesen Momenten wird es noch wichtiger, die Rechte der Schwächsten zu gewährleisten“, sagte Innenminister Eduardo Cabrita. „Die Gewährleistung des Zugangs auch von Migrantinnen und Migranten zu Gesundheit, sozialer Sicherheit sowie zur Stabilität von Arbeitsplätzen und Wohnungen ist in Krisenzeiten eine Pflicht einer solidarischen Gesellschaft. “
In Portugal lebt über eine halbe Million Menschen, die keine portugiesischen Staatsbürger sind. Die neuesten Daten zeigen, dass Migrantinnen und Migranten 746,9 Millionen Euro an Abgaben an den Staat gezahlt haben. An Sozialleistungen sind jedoch nur 95,6 Millionen Euro an sie gegangen. Das ergibt einen positiven Saldo von 651 Millionen Euro.