Update: Wo stehen die Handelsabkommen?

In der Krise zeigt sich die Umgleichheit. @ attac Österreich

Alle anderthalb Monate veröffentlicht das Netzwerk Gerechter Welthandel einen Überblick über den aktuellen Stand der EU-Freihandelsabkommen. In der neuesten Ausgabe des Rundbriefs werden das geplante Mercosur-Abkommen, der EU-Kanada-Vertrag CETA und das wieder auferstandene TTIP-Vorhaben mit den USA thematisiert. Dazu gibt es noch ein paar Bemerkungen zur Covid-19-Krise – und wie es danach weitergehen sollte. Die Corona-Krise hält die Welt in Atem. Durch Maßnahmen wie #StayAtHome und die Verlagerung von Arbeitsprozessen ins Home Office versuchen auch wir im Netzwerk derzeit, einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu leisten – und denjenigen die Arbeit zu erleichtern, die derzeit das System am Laufen halten: Menschen in Pflege- und Gesundheitsberufen, in Supermärkten, in der Landwirtschaft und in Versorgungssystemen.

Mittel- bis langfristig wird es jedoch auch darum gehen, die richtigen politischen Konsequenzen aus der Krise zu ziehen. Die Pandemie bringt politische Diskussionen auf die Tagesordnung, die noch vor wenigen Monaten undenkbar schienen – zum Beispiel über die Schattenseiten der globalisierten Produktions- und Lieferketten und damit entstehender Abhängigkeiten. Über die fatalen Auswirkungen des viel zu lange vorangetriebenen Sparkurses im Gesundheitssystems sowie eines Wirtschafts- und Handelssystems, das die profitable Ausweitung von Märkten als wichtigstes Ziel verfolgt.

Die Krise zeigt auch, welche ökonomischen Tätigkeiten wirklich systemrelevant sind. Und es sind gerade nicht diejenigen, in deren (Export-)Interessen jahrzehntelang Handels- und Investitionsschutzabkommen abgeschlossen wurden – sondern häufig diejenigen, die sowieso bereits mit den negativen Folgen dieser Abkommen konfrontiert waren: Auch mit Hilfe von Freihandelsabkommen wurden Gesundheitsdienstleistungen jahrzehntelang liberalisiert und privatisiert, die bäuerliche Landwirtschaft unter Druck gesetzt und durch Verschärfung von Eigentumsrechten der Zugang zu Medikamenten erschwert.

Sicherlich, wir befinden uns im Krisenmodus. Schon sind Stimmen zu vernehmen, die eine möglichst schnelle Rückkehr zum Business as Usual einfordern. Angesichts der Ungleichheiten, die dieses Business as Usual bisher produziert hat, kann das aus unserer Sicht keine Option sein. Vielmehr gilt es gerade angesichts der Krise auf verfehlte Politikansätze hinzuweisen und progressive Krisenlösungen einzufordern: „Das neoliberale Weltmarktprojekt ist gescheitert.Jetzt ist es Zeit, die Handelsbeziehungen auf Basis eines neuen Wirtschaftskonzepts umzugestalten und dabei das gute Leben für alle in den Mittelpunkt zu stellen“, konstatierte Alexandra Strickner von Attac Österreich in einem sehr lesenswerten Kommentar, der in der österreichischen Zeitung Der Standard erschienen ist.

Daher wollen wir an dieser Stelle auf einige empfehlenswerte Diskussionsbeiträge und Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Corona-Krise hinweisen:

  • Unter dem Stichwort „Corona: Was jetzt wirklich wichtig ist“ zeigt Attac die Konstruktionsfehler unserer profitorientierten globalisierten Wirtschaft auf und sammelt Beiträge dazu, wie wir zu einer solidarischen, sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft kommen und was wir aus der Corona-Krise lernen können.
  • Medico international weitet im Dossier „Solidarität in Zeiten der Pandemie“ den Blick auf die globale Perspektive und mahnt, dass die existierenden Ungerechtigkeiten in der Krise noch weiter verschärft werden.
  • Auch der Corona-News-Ticker von Inkota hebt die Auswirkungen der Pandemie für den Globalen Süden hervor, wo vielerorts die Menschen nicht nur gegen die Ausbreitung des Virus, sondern um ihre eigene Existenz kämpfen.
  • In den Lobby-News rund um Corona stellt LobbyControl ausgewählte Artikel und Kommentare vor, die Fragen von Demokratie und Grundrechten, Lobbyismus und Einflussnahme und sozialen und politischen Ungleichgewichten berühren.
  • Die Klimaschutz-Organisation 350.org ruft mit ihrem Offenen Brief „Grundsätze für eine #JustRecovery von COVID-19“ zu einer globale Strategie als Reaktion auf die Pandemie auf, die eine gerechte Zukunft für alle in den Mittelpunkt stellt.
  • Greenpeace hat eine Petition für einen Neustart mit grünem Konjunkturprogramm gestartet: Wenn wir jetzt in erneuerbare Energien, saubere Mobilität, naturnahe Landwirtschaft und energiesparende Gebäude investieren, können wir eine grüne, gesunde und widerstandsfähige Wirtschaft schaffen, in der die Menschen und unsere Erde an erster Stelle stehen.
  • Auch den Malwettbewerb von PowerShift wollen wir an dieser Stelle erwähnen – als ganz praktischen Tipp gegen Langeweile beim Zuhause-Bleiben: Alle Kinder sind herzlich dazu eingeladen, kreative Vorschläge für die „Straßen von morgen“ einzusenden: Sind sie grün und voller Radfahrer*innen und Fußgänger*innen? Wie viel Platz sollen große Autos bekommen, und wird es gar ganz neue Transportmittel geben?

Welche Auswirkungen die Corona-Krise auf den Fortschritt der laufenden Handelsverhandlungen hat, ist übrigens noch weitgehend unklar. Während die WTO-Konferenz im Juni abgesagt wurde, fanden die Verhandlungsrunden der EU mit Australien und Neuseeland wie geplant statt, beziehungsweise wurden ins Internet verlegt.

Sicher ist: Wir bleiben dran und setzen uns auch während Corona-Zeiten für eine solidarische Welthandelspolitik ein. Aktuelle Neuigkeiten aus der Welt der Handels- und Investitionspolitik erfahren Sie wie immer in diesem Newsletter.

 

+ + + EU-Mercosur-Abkommen + + +

Das Handelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay wird derzeit rechtlich geprüft und dann in alle Amtssprachen übersetzt. Bereits Ende letzten Jahres hatte die Bundesregierung angekündigt, das Abkommen während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft (1. Juli-31. Dezember) voranbringen zu wollen. Schon im frühen Herbst könnte es somit im EU-Ministerrat zur Abstimmung stehen.

Ob dieser Zeitplan einzuhalten ist, hängt stark vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie und seiner Folgen ab. Die argentinische Regierung, die sich zuletzt zunehmend kritisch äußerte, muss aktuell vor allem die durch die Pandemie noch verstärkte wirtschaftliche Krise bewältigen. Der brasilianische Präsident Bolsonaro gerät wegen seiner Verharmlosung der Pandemie und fehlender Maßnahmen zunehmend unter innenpolitischen Druck und es ist unklar, ob er seine Machtbasis langfristig aufrechterhalten kann – und wie das Land nach der Pandemie dastehen wird. Ebenfalls unklar ist derzeit, ob die von der Bundesregierung geplanten Veranstaltungen zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft wie geplant stattfinden können, und welche der geplanten Themenschwerpunkte tatsächlich auf der Agenda landen.

[Ein Zusatzhinweis: Mitte März hat das österreichische Parlament die Wiener Regierung darauf verpflichtet, im Europäischen Rat gegen das Mercosur-Abkommen zu stimmen. Siehe dazu den Beitrag auf unserer Website.]

 

+ + + Abstimmung über CETA in den Niederlanden + + +

Mitte Februar stimmte das niederländische Unterhaus über das Handels- und Investitionsschutzabkommen der EU mit Kanada (CETA) ab. Nach wochenlangen intensiven öffentlichen Debatten fiel das Ergebnis schließlich mit 71 Ja- zu 69 Nein-Stimmen denkbar knapp für die vollständige Ratifizierung des Abkommens aus. Die Zustimmung ist aber nur die erste Hürde, auch das Oberhaus (das etwa dem Deutschen Bundesrat entspricht) wird noch entscheiden müssen. Dort hat die Koalition des liberalen Premiers Mark Rutte keine Mehrheit, eine Zustimmung gilt daher als unwahrscheinlich. Wann das Oberhaus abstimmen wird, ist noch nicht bekannt.

In Deutschland wird das Ratifizierungsverfahren aller Voraussicht nach starten, sobald das Bundesverfassungsgericht über die anhängenden Klagen geurteilt hat. Doch auch dieser Zeitpunkt ist immer noch nicht bekannt.

Sicher ist hingegen: Früher oder später werden auch der Deutsche Bundestag und Bundesrat noch über CETA abstimmen. Insbesondere im Bundesrat haben wir eine Chance, das Abkommen zu stoppen, denn in 11 von 16 Landesregierungen sind mittlerweile Bündnis90/Die Grünen beteiligt, die sich auf Bundesebene immer konsequent gegen CETA ausgesprochen haben. Diese Position gilt es auch auf Länderebene beizubehalten! Schon allein deswegen, weil die Ratifizierung des Abkommens einer „Selbstentmachtung der Politik im Kampf gegen die Klimakatastrophe“ gleichkomme, wie Alessa Hartmann von PowerShift in einem Beitrag im Berliner Tagesspiegel aufzeigte.

Für alle, die ihr Wissen über CETA auffrischen wollen, bieten wir am 16. und 17. Mai eine Online-Konferenz an. Wer sich zum ersten Mal mit dem Abkommen beschäftigt, kann zudem bereits am 10. Mai an einem einführenden Webinar teilnehmen – und wer selbst gegen CETA aktiv werden will, ist herzlich eingeladen an der Planung von Aktivitäten teilzunehmen. Mehr Infos hierzu gibt es in Kürze unter www.gerechter-welthandel.org/ceta.

 

+ + + Rechtsstreit über die Geheimhaltung bei CETA-Ausschüssen + + +

Seitdem CETA in Kraft getreten ist, tagen Ausschüsse und Foren, um den Handel zwischen Kanada und der EU zu vereinfachen. In diesen Gremien wird jedoch auch Politik gemacht und es besteht ein hohes Risiko, dass hier ohne Kontrolle durch Parlamente, JournalistInnen und Öffentlichkeit Entscheidungen zum Beispiel gegen den Verbraucherschutz geplant werden. Doch während die Kommission die Tagesordnungen der Sitzungen veröffentlicht, gelten die Ergebnisse als geheim. Den Antrag des Umweltinstituts München auf Veröffentlichung der Protokolle eines Treffen im März 2018, bei dem Pestizidpolitik auf der Tagesordnung stand, lehnte die Kommission trotz der europäischen Informationsfreiheitsverordnung ab. Ihr wichtigstes Argument war, dass die kanadische Bundesregierung sich dagegen sperrt. Gegen diesen Bescheid erhob das Umweltinstitut Ende 2018 Klage vor dem Gericht der Europäischen Union in Luxemburg. Das Verfahren dauert inzwischen über ein Jahr und ist noch nicht entschieden.

Im Frühling 2019 bat das Umweltinstitut eine Kollegin der Organisation Council of Canadians, eine gleichlautende Anfrage nach dem kanadischen Informationsfreiheitsgesetz zu stellen. Die kanadische Regierung stellte ihr daraufhin das Protokoll und einige weitere Dokumente zur Verfügung. Offenbar war es nicht die kanadische Regierung, sondern die EU-Kommission, die die pikanten Dokumente unter Verschluss halten wollte. Auch wenn die Unterlagen inzwischen öffentlich sind, führt das Umweltinstitut den Rechtsstreit mit der Kommission fort. Denn dabei geht es grundsätzlich um die Frage, wie viel wir als Bürger*innen über die Verhandlungen in den CETA-Ausschüssen wissen dürfen.

Mehr Infos finden sich auf der Webseite des Umweltinstitutes.

 

+ + + Die Gefahren der CETA-Ausschüsse + + +

Mittlerweile hat die kanadische Organisation Council of Canadians zusammen mit Foodwatch Niederlande einen Bericht (in englischer Sprache) veröffentlicht, der die Tätigkeit des CETA-Ausschusses für Gesundheit und Pflanzengesundheit unter die Lupe nimmt.

Anhand von Sitzungsunterlagen konnten sie aufzeigen, dass kanadische Behörden den Ausschuss nutzen, um europäische Grenzwerte für Pestizide anzugreifen – und dass sie damit zumindest teilweise erfolgreich sind. In Gesprächen über das Insektizid Dimethoat und den Herbizidwirkstoff Glyphosat – die beide im Verdacht stehen, krebserregend zu sein – äußerte der CETA-Ausschuss nicht nur Zustimmung zu Kanadas niedrigeren Standards, sondern beschloss darüber hinaus, sich aktiv für eine Änderung der EU-Vorschriften einzusetzen.

Die Dokumente zeigen zudem Fälle auf, in denen sich die kanadischen Regulierungsbehörden umgekehrt weigern, die europäischen Standards zu diskutieren. Die Begründung: Aufgrund der größeren Bedeutung des US-Marktes müssten sie eine Harmonisierung mit den dort geltenden Standards bevorzugen.

 

 + + + TTIP 2.0 + + +

Auch in Zeiten der Corona-Krise führen die EU und die USA ihre Gespräche über zwei Handelsabkommen fort; in den vergangenen Wochen soll es mehrere Videokonferenzen zwischen EU-Handelskommissar Phil Hogan und US-Botschafter Robert Lighthizer zu diesem Thema gegeben haben. Zur Erinnerung: Im Sommer 2018 veröffentlichten US-Präsident Trump und EU-Kommissionspräsident Juncker ein gemeinsames Statement, in dem sie die Wiederaufnahme von Handelsgesprächen in einzelnen Bereichen ankündigten. Seit Frühjahr 2019 finden offizielle Verhandlungen statt: zum Abbau von Zöllen einerseits sowie zur Zusammenarbeit bei der so genannten „Konformitätsbewertung“ andererseits. Damit ist gemeint, dass beispielsweise Prüfverfahren für Produkte im jeweils anderen Land als gleichwertig akzeptiert werden.

Doch was harmlos bürokratisch klingt, birgt tatsächlich eine ernstzunehmende Gefahr für demokratische Entscheidungsprozesse. Denn unter dem Deckmantel der Konformitätsbewertung diskutieren die Verhandlungsparteien auch die Angleichung beziehungsweise Absenkung von Standards, die vermeintlich den Handel behindern – beispielsweise Standards zur Lebensmittelsicherheit. Insbesondere bei den in der Fleischproduktion erlaubten Chemikalien, bei den erlaubten Höchstwerten an Pestizidrückständen sowie bei gentechnisch veränderten Organismen und neuen Gentechnik-Verfahren besteht die Gefahr, dass die EU Zugeständnisse an die USA macht und ihre eigenen vergleichsweise strengen Vorschriften lockern könnte.

Daher forderten über einhundert Nichtregierungsorganisationen aus ganz Europa im Februar in einem Offenen Brief an ihre Abgeordneten und Regierungen: Kein TTIP durch die Hintertür! Kein Ausverkauf unserer Regeln und Standards, kein Ausverkauf der Demokratie, Handel für alle – und nicht nur für Konzerne!

Ausführlichere Infos zum aktuellen Stand und den Gefahren von TTIP 2.0 enthält der Blogbeitrag von LobbyControl.

 

+ + + Veröffentlichungen + + +

Factsheet: Wie der Energiecharta-Vertrag ambitionierte Klimapolitik gefährdet

Weit über 100 Konzernklagen vor privaten Schiedsgerichten basieren auf dem internationalen Vertrag über die Energiecharta. Für die fossile Energiewirtschaft ist der Vertrag eine Geheimwaffe, um Steuerzahler*innen für ihre klimaschädlichen Fehlinvestitionen aufkommen zu lassen. Das Factsheet beschäftigt sich mit der Entstehungsgeschichte des Vertrages und stellt einige der besonders skandalösen Klagen und Klagedrohungen genauer vor. Zudem geht es auf den seit Ende 2019 laufenden Reformprozess ein und stellt die Forderungen der Zivilgesellschaft dar.

Herausgegeben von PowerShift

Download des 8-seitigen Factsheets: https://power-shift.de/stolperfalle-fuer-den-klimaschutz-wie-der-energiecharta-vertrag-ambitionierte-klimapolitik-gefaehrdet/

 

+ + + Termine + + +

Webinar zum Einstieg: CETA – neoliberale Handelspolitik contra Klima, Umwelt und Demokratie

10. Mai, 17-19 Uhr (online)

Das Webinar richtet sich an Interessierte sowie an Aktive aus verschiedenen sozialen Bewegungen, die mehr über das Handels- und Investitionsabkommen der EU mit Kanada und über die damit verbundenen Gefahren für Klima, Mensch und Umwelt erfahren möchten.

Mehr Informationen und Anmeldung in Kürze unter www.gerechter-welthandel.org/ceta

 

Online-Konferenz „Stopp CETA!“

16./17. Mai (online)

Die Konferenz umfasst Inputs, die die Auswirkungen von CETA auf verschiedene Bereiche zusammenfassen und den aktuellen Stand des Abkommens erläutern. Zudem wollen wir in Arbeitsgruppen Aktivitäten planen und unsere Argumentation schärfen.

Mehr Informationen und Anmeldung in Kürze unter www.gerechter-welthandel.org/ceta