Seit Jahren tobt in der EU ein Kampf um die umstrittenen Investitionsschutzabkommen. Nun haben sich fast alle EU-Länder darauf verständigt, die Abkommen untereinander aufzulösen. Grund dafür ist eine Urteil des EuGH, demzufolge Investitionsschiedsgerichte mit dem EU-Recht unvereinbar sind. Österreich allerdings ist nicht dabei. Warum? Diese Frage stellt sich die Wiener Tageszeitung „Der Standard“.
Von András Szigetvari
Für Kritiker sind die weltweit über 2000 Investitionsschutzabkommen ein Symbol für den enthemmten Turbokapitalismus. Die zwischen Staaten geschlossenen Verträge legen fest, wann ausländische Investoren einen Staat vor einem privaten Schiedsgericht klagen können. Das ist etwa der Fall, wenn ein Land einen Konzern aus einem anderen Land enteignet oder per Gesetz das Investment des Unternehmens entwertet. Die Verfahren sind meist geheim, NGOs wie Attac oder Greenpeace sprechen von einer Paralleljustiz.
Neben politischen Einwänden tobt in der EU seit Jahren ein juristischer Kampf um die Schiedsgerichte. Diese Woche sollte er einen Abschluss finden: 23 der 27 Mitgliedsländer haben einen Vertrag unterzeichnet, mit dem die innerhalb der EU bestehenden dutzenden Investitionsschutzabkommen für ungültig erklärt werden. Auch Entscheidungen in schon laufenden Verfahren dürfen nicht mehr exekutiert werden. Mit dabei sind Länder wie Deutschland, Frankreich, Italien, Ungarn oder die Slowakei. Nicht unterzeichnet hat Österreich. Ebenfalls nicht dabei ist Irland, das allerdings selbst keine Abkommen mit anderen Staaten hat. Damit fehlen nur noch Schweden und Finnland.
Entscheidung aus heiterem Himmel
Aber warum legt sich Wien quer? Die Entscheidung kommt aus heiterem Himmel. Im Jänner 2019 hatten sich die EU-Länder auf das Ende der Schiedsverfahren geeinigt. Eine entsprechende Absichtserklärung hat Österreich damals mitunterzeichnet. Und: Noch im Dezember 2019 hat sich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) im Ministerrat von der Übergangsregierung grünes Licht geholt, um die Auflösung der Abkommen bald einleiten zu können. Die EU-Länder wollten damit eine Entscheidung des Europäische Gerichtshofs (EuGH) von 2018 umsetzen.
Der EuGH hatte damals im „Achmea-Urteil“ entschieden, dass Schiedsgerichte mit dem EU-Recht unvereinbar sind. Streitigkeiten über Investitionen betreffen immer die Auslegung von EU-Recht, urteilte der EuGH, und müssen daher von Gerichten entschieden werden, die zum Justizsystem der EU gehören.
Viele EU-Länder haben untereinander Investitionsschutzabkommen geschlossen, auch Österreich. Um das Urteil umzusetzen, sollten die Abkommen in einem gemeinsamen Akt fallen. Warum also der Meinungswandel Wiens im letzten Augenblick?
Filip Boras, Experte für Schiedsverfahren und Partner bei der Anwaltskanzlei Baker & McKenzie, sagt, dass Österreich die Banken nicht vor den Kopf stoßen wollte. Alle großen heimischen Player, die Raiffeisenbank International, die Erste Bank, die Unicredit (für die Bank Austria) klagen aktuell vor einem Schiedsgericht auf Basis der erwähnten Abkommen Kroatien.
Die Banken haben Verluste erlitten, als per Gesetz riskante Fremdwährungskredite in die Lokalwährung Kuna konvertiert wurden. Die Fremdwährungskredite waren ein Exportschlager der heimischen Institute in guten Zeiten vor der Weltwirtschaftskrise, entpuppten sich aber dann als riskante Form des Darlehens für Kunden.
„Urteil übergangen“
Der Jurist Boras sagt, es sei verständlich, dass Österreich den Banken keine Steine in den Weg legen will. Doch es kommt auch Kritik: „Es ist ein Skandal, dass Österreich ein Urteil des EU-Höchstgerichts übergeht, um die Interessen der klagenden Banken zu schützen“, heißt es seitens der Plattform „Anders Handeln“, einem Verbund aus NGOs und Gewerkschaften.
Aus dem zuständigen Wirtschaftsministerium war am Donnerstag keine Stellungnahme zur Causa zu erhalten. Zwar laufen aktuell noch mehrere Verfahren österreichischer Unternehmen gegen andere EU-Länder. Doch diese gründen auf einem multilateralen Vertrag, der Energie-Charta, und sind daher von der Aufhebung der bilateralen Verträge nicht betroffen.
Die Debatte um die Schiedsgerichte war eigentlich im Rahmen der Diskussionen um die geplanten Handelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) hochgekocht. Die Verfahren vor Schiedsgerichten sind nicht öffentlich. Kritiker sprechen gern von „Sonderklagerechten“ für Konzerne. In der Vergangenheit haben sich auch die Grünen gegen das System stark gemacht.
Kritik an Kommission
Am Freitag erreichte dann den STANDARD dann doch eine Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums. Österreich wolle das Urteil des EuGH umsetzen. Aber: Statt multilateral die Abkommen aufzulösen, will man das auf bilateralen Weg erledigen. Und: Man habe mit der Europäischen Kommission Gespräche geführt um einen Alternativmechanismus zu finden, „um Investitionen im EU-Binnenmarkt effektiv zu schützen“. Das Wirtschaftsministerium weiter: „Leider hat es hier keine Vorschläge gegeben. Wir haben zwar einen EU-Binnenmarkt, die Qualitätsstandards und die Geschwindigkeit der Rechtsprechungen sind jedoch nicht in jedem Land gleich.“
Was das Wirtschaftsministerium nicht sagt ist, wie lange es dauern wird, bis die Verträge aufgelöst sind. Da Österreich mit zahlreichen EU-Staaten solche Abkommen hat, kann das laut Experten längere Zeit dauern.