Zeitlich sind mehr als zwei Drittel der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vergangen. MISEREOR zieht hierzu ein erstes Fazit: In einigen Bereichen wie etwa der Handelspolitik, den Beziehungen zu afrikanischen Staaten und der EUAgrarreform blieben die bisherigen Entscheidungen hinter den Erwartungen zurück. Hier die Stellungnahme des katholischen Hilfswerks.
An die Bundesregierung richtet Spiegel den Appell, sich beim EU-Mercosur-Abkommen den Kurs des Europäischen Parlaments zu eigen zu machen: „Nein zu einem Abkommen, das Menschenrechte missachtet und hohe Umweltrisiken beinhaltet“, so der MISEREOR-Hauptgeschäftsführer. „Notwendig ist eine Neu-Ausrichtung des gesamten Abkommens, damit es den Erfordernissen einer sozial-ökologischen Transformation und einer demokratischen Teilhabe gerecht wird. Ein verbindliches Nachhaltigkeitskapitel ist dabei ein wichtiges Element, jedoch wird damit ein an sich unzureichendes Handelsabkommen noch nicht nachhaltig. So sollte in dem Abkommen eine Begünstigung von Soja-, Zuckerrohr- und Rindfleischexporten, deren Produktion vielerorts zu Waldzerstörung und Menschenrechtsverletzungen führt, ein Ende finden. Sorgetragen für den Urwald bedeutet Sorgetragen für den Planeten.“
Bei Handelsverträgen sei weltweit ein Umdenken notwendig. „Kurzfristiger Profit darf nicht vor Menschenrechts- und Umweltstandards oder sozialer Gerechtigkeit stehen. Bei Handelsbeziehungen geht es um Fairness für alle Betroffenen, nicht nur für wenige aktiv am Tisch sitzende Parteien“, fordert Spiegel. Noch bleibe der deutschen Ratspräsidentschaft Zeit, mit entsprechenden Maßnahmen gegenzusteuern. Dazu gehöre eine Unterstützung für die Gesetzesinitiative des EU-Justizkommissars Reynders zur menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht von Unternehmen. „Ein ambitioniertes deutsches Lieferkettengesetz mit Haftungsregel würde diesem Anliegen europaweit einen notwendigen Rückenwind geben“, erläutert Spiegel.
Ein EU-Klimaschutzgesetz für mehr Klimagerechtigkeit
Als Zeichen der Hoffnung begrüßt der MISEREOR-Chef den Mehrheitsbeschluss des Europäischen Parlaments zum Klimaschutzgesetz: Bis 2030 sollen 60 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. „Nur wenn die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat im Dezember diesem Beschluss folgen, eröffnet sich noch in diesem Jahr ein Weg für das überfällige Klimaschutzgesetz.“
Fortschritte in Sachen Klimawandel für die bereits jetzt Betroffenen ließen sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nur dann erzielen, wenn Treibhausgasneutralität vor 2050 erreicht werde. Das bedeute fossile Energieträger möglichst rasch zu ersetzen, so Spiegel. „Es ist notwendig, das Auslaufen der Subventionen für fossile Energieträger im EU-Klimaschutzgesetz zu vereinbaren. Die dadurch freiwerdenden Haushaltsmittel können für die dringend notwendige sozial-ökologische Transformation genutzt werden“.
EU-Agrarreform auch für den afrikanischen Kontinent wichtig
Bei der Abstimmung zur EU-Agrarreform sei versäumt worden, eine Wende in der Agrarförderung im Sinne einer nachhaltigeren Landwirtschaft mit mehr Ökolandbau einzuläuten. Dabei biete gerade der Landwirtschaftssektor großes Potenzial, die Klimabilanz der EU positiver zu gestalten. „Die aktuellen Beschlüsse der EU-Landwirtschaftsministerinnen und -minister zeigen kaum Wirkung im Hinblick auf mehr Klima-, Arten- oder Bodenschutz. Stattdessen wird weiterhin eine exportorientierte Landwirtschaft unterstützt, die Bodeneigentümer in Europa fördert und teilweise lokale Märkte in Afrika schwächt,“, erklärt Spiegel. Die Leidtragenden dieser Politik seien Bauern und kleine Familienbetriebe.
Dabei zeige die Covid19-Pandemie in besonderer Weise, wie wichtig es sei, dass Staaten Ernährungssouveränität ausbilden. „Wir brauchen – für die Menschen, für Artenvielfalt und Klimaschutz – eine Ökologisierung der Landwirtschaft in Europa. Zugleich sollte sich Europa auch im Rahmen der EU-Afrika-Partnerschaft für eine Agrarpolitik einsetzen, die die Förderung von Ernährungssouveränität und lokaler Wertschöpfung der Staaten Afrikas stärkt “, so Spiegel.
Die Neuausrichtung der EU-Afrika-Strategie war ursprünglich ein Fokus der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, wurde jedoch aufgrund der Verschiebung des EU-AU-Gipfels auf 2021 nicht entsprechend weiterverfolgt. Für die nötigen Veränderungen der EU-Afrika-Strategie wünscht Spiegel eine aktive Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure. Die Bundesregierung könne die Verschiebung nutzen, um Positionen der afrikanischen und europäischen Zivilgesellschaft bei der Neuausrichtung aktiv einzubringen und Portugal als künftige Ratspräsidentschaft einzubinden.