„Sehr geehrte Frau Baerbock, sehr geehrter Herr Habeck, sehr geehrte Damen und Herren des Bundesvorstandes des Parteirats, liebe Grüne.“ So beginnt ein offener Brief des Netzwerks Gerechter Welthandel – Baden Württemberg, in dem lokale Initiativen und Bündnisse die Grünen davor warnen, entgegen eigenen Beschlüssen dem klimaschädlichen EU-Kanada-Handelsabkommen CETA zuzustimmen. Hier der Wortlaut des Schreibens.„Ihre Partei hat auf Bundesebene beschlossen, das europäisch-kanadische Freihandels- und Investorenschutzabkommen CETA abzulehnen. Entsprechend lauteten die Wahlprogramme für die Bundestagswahl 2017 und die Europawahl 2019. Das neue grüne Grundsatzprogramm stellt im Handelskapitel u.a. fest (Seite 56): Handel „muss zur Umsetzung der VN-Nachhaltigkeitsziele und des Pariser Klimaabkommens beitragen, anstatt diese zu konterkarieren. … Sonderrechte und Sonderjustiz für Konzerne sind auszuschließen“ (Absätze Nr. 377, 379).
Auch weist Absatz Nr. 379 darauf hin, dass die Daseinsvorsorge als staatliche Aufgabe, wegen der betroffenen öffentlichen Interessen, nicht dem Markt überlassen werden darf.
Mit dieser Programmatik und mit Ihren bisherigen Wahlversprechen ist unvereinbar, dass grüne Amtsträger*innen in einigen Landesregierungen sich anschicken, CETA im Bundesrat zuzustimmen.
Die hessischen Grünen haben bei ihrem Parteitag am 11. Mai 2019 aber ausdrücklich die CETA-Zustimmung gebilligt. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich mehrfach öffentlich pro CETA geäußert.
In der Stuttgarter Landtagsfraktion und der Landesgeschäftsstelle ist die Einschätzung verbreitet, dass Herr Kretschmann und sein Kabinett die verfassungsrechtlich starke Stellung nutzen werden, um entgegen dem baden-württembergischen Parteibeschluss CETA durchzuwinken.
Nach Informationen aus Hamburg ist auch vom dortigen Senat mit einem Ja zu CETA zu rechnen.
Von der Bundespartei ist kein Widerspruch zu hören – wie kann das sein? Wie passt dies zum Grünen Grundkonsens von 1993[https://cms.gruene.de/uploads/documents/Grundkonsens-1.pdf] und zu § 2 der Satzung der Bundespartei?
Der Grundkonsens beschwört die Verpflichtung auf die gemeinsamen Grundwerte und die Einigung auf programmatische Inhalte (Absätze Nr. 63, 64), wie sie dort in den Kapiteln 1.1 bis 1.6 niedergelegt sind.
Die Kapitel zur Ökologie und zur Demokratie (1.2 und 1.3) beschreiben eine Wirtschaftsweise und eine demokratische Mitbestimmung, denen die Auswirkungen des CETA-Abkommens diametral entgegenstehen. Dies haben Sie in ihren oben genannten Parteibeschlüssen und Wahlprogrammen selbst festgestellt!
Wie können Sie also zulassen, dass grüne Minister (und auch ein grüner Ministerpräsident), die von grünen Wähler*innen aufgrund von grünen Programmen ihre Regierungsämter erlangt haben, dem Grundkonsens eklatant zuwiderhandeln wollen?
Oder läuft § 11 Abs. 2 S. 2 der Satzung in die Leere, weil die Programme der Partei für regierende Grüne nicht gelten?
Sie brauchen uns nicht zu erklären, dass Landesregierungen und ihre Mitglieder nicht an die Parteisatzung gebunden sind, sondern an die Landesverfassung. Aber erklären Sie uns bitte, weshalb Sie in Sachen CETA keinen politischen Einfluss nehmen auf Ihre führenden grünen Landespolitiker.
Wir meinen: Die grüne Partei kann und muss ihr politisches Gewicht einbringen (und ihre Verantwortung gegenüber den Wähler*innen), wenn grüne Regierungsmitglieder alle o.g. Grundlagen missachten, welche die Grünen sich in ihrer programmatischen Arbeit gegeben haben. Die Grünen sind dabei, ihre Glaubwürdigkeit zu zerstören.
Die GRÜNEN sind dabei, ihre Glaubwürdigkeit zu zerstören.
Die freihandelskritischen Bündnisse des Netzwerks Gerechter Welthandel Baden-Württemberg (NGW BW) stufen die vermittelnden, verhalten positiven Äußerungen, die wir von grünen Spitzenpolitikern in den letzten beiden Jahren erhielten, inzwischen als Hinhaltetaktik ein – oder aber als gut gemeinte Äußerungen, die angesichts der Kräfteverhältnisse in der Partei leider obsolet sind. (5)
Um die Glaubwürdigkeit der Grünen ging es auch in Robert Pauschs ZEIT-Artikel vom 9. Oktober 2020. Ihre Antwort (ZEIT-Online-Gastbeitrag der Bundesvorsitzenden vom 15.10.20) lässt nicht erkennen, dass die GRÜNEN eine Führungsrolle für die Umgestaltung der bundesrepublikanischen Wirtschaftsweise anstreben.
Weder beim Klimaschutz noch bei anderen Themen (z.B. einer geänderten Welthandelsordnung) wird sichtbar, dass Sie einen Plan für die dringend notwendige politische Wende haben und diesen durchsetzen wollen.
Falls Sie die derzeitige EU-Handelspolitik befürworten, so berücksichtigen Sie bitte das beigefügte Positionspapier Landtagswahl, das das Netzwerk Gerechter Welthandel – Baden-Württemberg mehreren Parteien als Wahlprüfstein zur baden-württembergischen Landtagswahl vorgelegt hat.
Mit einer CETA-Zustimmung würden Landesregierungen mit grüner Beteiligung das Pariser Klimaschutzabkommen unterlaufen und dazu beitragen, die neoliberale Weltwirtschaftsordnung nach Art der EU-Handelspolitik zu zementieren.
Wir fordern Sie auf, mit allen Kräften sicherzustellen, dass die Grünen nicht einer Regierung beitreten werden, die eine künftige nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise irreparabel beschädigt.
Gehen Sie dort auf die Wünsche des künftigen Koalitionspartners ein, wo spätere Korrekturen möglich bleiben. Nicht auf dem Gebiet der Klimapolitik! Denn die Klimaschäden werden irreparabel, wenn die Klimakrise in wenigen Jahren außer Kontrolle gerät.
Praktisch irreversibel wird auch der Investorenschutz sein – sowie die Beschädigung der Demokratie – wenn CETA in der verabschiedeten Fassung in allen EU-Staaten ratifiziert wird. Sie wissen, dass die Investorenrechte noch zwanzig Jahre nach einer Kündigung von CETA fortbestehen.
Die GRÜNEN können CETA im Bundesrat stoppen. Nutzen Sie Ihre Parteistatuten und das politische Gewicht des Bundesvorstandes und des Parteirates, um Ihre Parteikolleg*innen in Baden-Württemberg, Hamburg und Hessen von einem Ja zu CETA abzuhalten!
Ein Klima-, Umwelt- und Demokratie-feindliches Abkommen darf nicht mit grünen Stimmen ratifiziert werden!
Mit freundlichen Grüßen
Ludwig Essig
Günter Häberle
Michael Sadtler
Carsten Trost
Das Netzwerk Gerechter Welthandel – Baden-Württemberg (NGW-BW) ist Teil des bundesweiten Netzwerks Gerechter Welthandel. Es setzt sich zusammen aus Bündnissen und Initiativen von Aalen/Ostalbkreis, Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Konstanz, Mannheim, Offenburg/Ortenaukreis und Stuttgart.