Am Wochenende ist die grüne Basis Baden-Württembergs vor den RealpolitikerInnen an ihrer Spitze eingeknickt: Sie sind nicht mehr eindeutig gegen das EU-Kanada-Handelsabkommen CETA, sondern dafür – allerdings sollte es verbessert werden. Dabei ist der Vertrag längst ausverhandelt – und nicht mehr zu ändern. Das sieht auch das Netzwerk Gerechter Welthandel in seinem neuen Newsletter so, den wir hier zitieren.
Bei ihrem Landesparteitag am vergangenen Wochenende verabschiedeten die baden-württembergischen Grünen ihr Programm für die Landtagswahl im kommenden März. Dabei stimmten die über 200 Delegierten auch über einen Textabschnitt zur Handelspolitik und zum EU-Kanada-Abkommen CETA ab.
Obwohl mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen die Grünen in einem Offenen Brief davor gewarnt hatten, ihre klare Position gegen CETA zu verwässern, geschah genau das: Während der Landesverband der Grünen noch 2017 ganz klar den Stopp des Abkommens gefordert hatte, wird das aktuelle Wahlprogramm auf die noch ausstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verweisen, sich bis dahin einer klaren Aussage enthalten und Nachverhandlungen fordern. Dabei gibt es hierfür keinen inhaltlichen Grund: CETA ist seit Oktober 2016 ausverhandelt und wird seit September 2017 zu großen Teilen vorläufig angewendet, 15 EU-Mitgliedsstaaten haben es bereits ratifiziert. Die Kritik an der Absenkung von Standards, an der Aushöhlung der Demokratie durch intransparente Ausschüsse, an der Paralleljustiz für Konzerne bleibt weiterhin gültig. Änderungen am Vertragstext sind in diesem Stadium nicht mehr möglich; auch wer CETA nachbessern möchte, muss es zunächst ganz klar ablehnen!
Die Kehrtwende des baden-württembergischen Landesverbandes ist besonders bedauerlich, da die Grünen die breiten Proteste gegen TTIP und CETA immer unterstützt haben, und da auch weiterhin sowohl die Bundespartei als auch die Mehrheit der Landesverbände an dieser Position festhalten. Auch an der Grünen Basis und unter Grünen-Wähler*innen wird das Abkommen abgelehnt.
Wenn das Bundesverfassungsgerichts über die noch ausstehenden Verfassungsbeschwerden gegen CETA entschieden hat, muss das Abkommen noch von Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden. Wenn alle Bundesländer mit Regierungsbeteiligung der Grünen gegen CETA stimmen oder sich enthalten, kann es im Bundesrat noch gestoppt werden!
EU-Mercosur: Transparenz? Fehlanzeige!
Am 9. November trafen sich die europäischen Handelsminister*innen zu einer Videokonferenz. Dass das umstrittene EU-Mercosur-Handelsabkommen nicht auf der Agenda stand, kann durchaus als Ergebnis der breiten Kritik interpretiert werden. Noch zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Juli hatte sich die Bundesregierung vorgenommen, „zügige Fortschritte bei der Finalisierung des Abkommens mit dem Mercosur“ zu machen. Davon ist aktuell nichts mehr zu hören, im Gegenteil: Alle Ministerien beteuern, Zweifel gegenüber der Umsetzung des Abkommens zu haben und nachverhandeln zu wollen.
Doch was das konkret heißt, ist völlig unklar. Bei einer Debatte im Handelsausschuss des EU-Parlaments vergangene Woche wurde deutlich, dass an einer gemeinsamen Zusatzerklärung gearbeitet wird. Zudem ist bekannt, dass das Bundeswirtschaftsministerium ebenso wie EU-Handelskommissar Dombrovskis Gespräche mit Mercosur-Staaten führt – doch mit wem, über welche Inhalte und auf welcher Verhandlungsgrundlage? Darüber informiert die EU-Kommission die Öffentlichkeit nicht.
Allgemeines Ziel dieser Gespräche scheint zu sein, die Mercosur-Staaten zu weiteren Selbstverpflichtungen zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes und des Klimas zu bewegen. Doch derartige Zusatzerklärungen würden nichts an den Vertragsinhalten ändern und wären völlig unzureichend, um der umfassenden Kritik gerecht zu werden! Dies zeigte sich bereits beim EU-Kanada-Abkommen CETA, dem ein „Gemeinsames Auslegungsinstrument“ sowie eine einseitige Erklärung der EU hinzugefügt wurden, um die kritischen Stimmen zu besänftigen.
Daher bleiben wir wachsam und aktiv. Aller Voraussicht nach wird das EU-Mercosur-Abkommen im kommenden Jahr dem Rat zur Abstimmung vorliegen. Wir werden alles daran setzen, vor der Bundestagswahl klarzumachen: Glaubwürdige Klimapolitik geht nur, wenn dieses rückwärtsgewandte Abkommen komplett beerdigt wird und die Handelspolitik eine gründliche Neugestaltung erfährt!
Übrigens unterfüttert auch eine aktuelle Studie aus Brasilien die Kritik, dass das EU-Mercosur-Abkommen die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes vorantreibt: Bereits die Verhandlungen hätten die Abholzung beschleunigt und die Schutzgebiete der indigenen Bevölkerung gefährdet. Wenn das Abkommen in Kraft tritt, könnte sich die Abholzung nochmal verdoppeln, so der brasilianische Forstwissenschaftler Paul Barreto.
Energiecharta-Vertrag: Viele Stimmen dagegen
Anfang letzter Woche haben sich über 200 Wissenschaftler*innen, die meisten aus dem Klimabereich, gegen den Energiecharta-Vertrag ausgesprochen. In einem gemeinsamen Offenen Brief fordern sie die EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, aus dem Vertrag auszusteigen. Die Klimareporter berichteten.
Auch in der Politik mehren sich die Stimmen, die einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag befürworten: In einer Erklärung fordern über 250 Abgeordnete aus dem EU-Parlament und den Parlamenten der Mitgliedstaaten, mit den Ausstiegsplanungen zu beginnen, und auch Frankreich fordert die EU auf, konkrete Planungen dafür vorzubereiten. Mittlerweile hat sogar die EU-Kommission in einer schriftlichen Antwort auf parlamentarische Fragen die Option eines Ausstiegs erwogen.
Belgien hat zudem den Europäischen Gerichtshof angerufen, um die Vereinbarkeit des Vertrags mit den europäischen Verträgen überprüfen zu lassen. Dabei steht die Frage, inwieweit Streitfälle zwischen einem EU-Investor und EU Mitgliedsland zulässig sind, im Fokus. Die Klärung dieser Fragen dürfte 18 bis 24 Monate dauern.
[Siehe zum Energiecharta-Vertrag auch den Beitrag auf unserer Seite.]
Vattenfall vs. Deutschland: Urteil im nächsten Frühjahr?
Auf Basis des Energiecharta-Vertrag klagt der schwedische Energiekonzern Vattenfall bereits seit Jahren gegen Deutschland, um Schadensersatz für den 2011 erfolgten Atomausstieg zu erlangen. Nach langem Stillstand fanden im November Verhandlungen über die mögliche Schadensersatzsumme statt, sie sind teilweise auf youtube einsehbar (wenn auch ohne die Folien, die präsentiert wurden). Inklusive Zinsen fordert Vattenfall mittlerweile über 6 Milliarden Euro, allein für Prozesskosten musste die Bundesregierung bisher über 20 Millionen Euro aufbringen.
Zu Ende der Verhandlung wurde angekündigt, dass ein Urteil kurz nach dem 7. Mai 2021 verkündet werden soll. Ob dieser Zeitplan einzuhalten ist, bleibt abzuwarten.