Worum geht es beim Comprehensive Economic Trade Agreement (CETA), das die EU und die kanadische Regierung 2017 unterzeichnet haben und das demnächst von Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden soll? Im Unterschied zu „normalen“ Freihandelsabkommen stehen nicht Zölle und deren Absenkung im Vordergrund – denn die Zölle sind ohnehin nicht mehr hoch. Aber was macht CETA dann so gefährlich? Das beschreibt eine Arbeitsgruppe lokaler, freihandelskritischer Bündnisse und Initiativen.
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA bzw. Comprehensive Economic and Trade Agreement) beschleunigt den Prozess der Konzentration von Macht in den Händen einiger Weniger. Es schränkt die politischen Gestaltungsmöglichkeiten gewählter Parlamente und damit den demokratischen Einfluss von Bürger*innen dauerhaft ein. Wir brauchen eine demokratische und am Gemeinwohl ausgerichtete Entwicklung unserer Gesellschaft! Die Handelspolitik hat sich daran zu orientieren. Der Ratifizierungsprozess von CETA muss gestoppt werden!
Klima-Killer CETA
CETA verhindert einen wirksamen Klimaschutz. Es ist ein Skandal und ein Zeichen von Heuchelei: das Ende Oktober 2016 unterzeichnete CETA-Abkommen ignoriert sowohl den Klimaschutz als auch das Pariser Klimaabkommen vom Dezember 2015. Zu dem Zeitpunkt der Unterzeichnung war nicht nur klar, dass das Pariser Klimaabkommen in Kraft treten würde2, es hatten bereits Kanada und die Europäische Union dieses Pariser Abkommen ratifiziert. Auch in dem Zusatz „Gemeinsames Auslegungsinstrument“ des CETA Vertrages gibt es statt konkreter Maßnahmen nur eine einzige schwammige Formulierung zur Umsetzung der definierten Klimaziele.
CETA weist kein eigenes Klima-, Energie- oder Ressourcenkapitel auf, im Gegenteil: Ü̈ber das gesamte CETA-Abkommen sind Bestimmungen und Maßnahmen verstreut, die mit einem Klimaschutz unverträglich sind. Es befördert Liberalisierungen und sogar Einschränkungen bei der Förderung erneuerbarer Energien. Denn es sind bei der regulatorischen Kooperation technologieneutrale Ansätze vorgeschrieben.
Sehr problematisch sind die vorgesehenen Regelungen zum Investitionsschutz, die es fossilen Energiekonzernen ermöglichen, den Ausstieg aus fossilen Energieträgern zu behindern bzw. ihn sich auf Kosten der Steuerzahler*innen bezahlen zu lassen. Sollte zum Beispiel ein gesetzliches Tempolimit zur Senkung des Spritverbrauchs auf deutschen Autobahnen beschlossen werden, könnte das ein Einfalltor für Investitionsschutzklagen sein.
Wirtschaftlich betroffen von einem Tempolimit wären nämlich auch die rund 360 Tankstellen des Raststätten-Unternehmens Autobahn Tank & Rast. Es befindet sich seit 2015 im Besitz eines Konsortiums aus deutschen und internationalen Infrastrukturinvestoren, zu denen auch das kanadische Investmentunternehmen Omers Infrastructure gehört. Das kanadische Unternehmen könnte die Investorenklagerechte bei CETA nutzen, um den Staat Deutschland vor einem internationalen Schiedsgericht wegen entgangener Gewinne auf Schadensersatzleistung zu verklagen. Diesen Weg könnten auch andere Investoren beschreiten. Denn der CETA-Vertrag räumt allen transnationalen Konzernen und Investmentfirmen, die Niederlassungen in Kanada haben, Investorenklagerechte gegen die EU und ihre Mitgliedsstaaten ein. Einen Vorgeschmack bietet die Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, der Deutschland auf Basis eines anderen Abkommens (Energiechartavertrag) wegen des Atomausstiegs auf Schadensersatzleistungen von insgesamt 6,1 Mrd. Euro verklagt hat.
Schon während der CETA-Verhandlungen war es der Öl-Industrie gelungen, eine EU-Treibstoffqualitäts-Richtlinie, die eine Klassifizierung der Treibstoffe nach ihren Emissionen vorsah, zu verwässern. Diese hätte die Einfuhren von kanadischem Teersandöl verhindert, das einen 23 % höheren CO2-Ausstoß aufweist als herkömmliches Öl. Infolge des Einknickens der EU wurde der großflächige Abbau von kanadischen Teersanden, dem bislang eine Urwaldfläche von der Größe Englands zum Opfer gefallen ist, weiter gefördert. Bereits zwischen 2017 und 2018, dem ersten Jahr nach der vorläufigen Anerkennung von CETA, verdoppelte sich der europäische Import von Erdöl aus Kanada. 97 % des kanadischen Erdöls bestehen aus dem klimaschädlichen Teersandöl. Ein Importstopp unter Hinweis auf die Klimaschädlichkeit des Teersandöls ist nun, nach Abschluss des CETA-Vertrags, durch ein zwischenstaatliches Schiedsgericht angreifbar, das Sanktionen wie Strafzölle verhängen kann. Zum Ziel des Klimaschutzes, braucht es folgende Maßnahmen:
1) Beschränkungen für die Förderung, den Einsatz und den Export fossiler Energieträger
2) Ausbau des Einsatzes Erneuerbarer Energien und
3) den Schutz natürlicher Senken wie Wälder, Moore und weiterer Gebiete.
Das CETA-Abkommen kennt keine dieser Maßnahmen, im Gegenteil es dient dem Handel mit dreckiger Energie und unterläuft das Pariser Klimaschutzabkommen. Klimaschutzmaßnahmen, ob sie auf kommunaler Ebene beschlossen werden oder ob es gesetzliche Regelungen auf Länder- oder staatlicher Ebene sind, können mit Bestimmungen des CETA-Vertrages kollidieren und sind über Konzernklagerechte bzw. zwischenstaatliche Schiedsgerichte angreifbar. Nicht der Klimaschutz hat sich an den Gewinnerwartungen des Handels auszurichten, die Handelspolitik hat sich dem Klimaschutz unterzuordnen!
CETA: Zugriff auf die öffentliche Daseinsvorsorge
Der Kerngedanke der öffentlichen Daseinsvorsorge ist, dass öffentliche Dienstleistungen und Einrichtungen für eine Versorgung mit lebenswichtigen Gütern (wie Wasser, Strom) und Dienstleistungen (wie medizinische Versorgung, Pflege) sowie für eine Teilhabe aller Bürger*innen an der gesellschaftlichen Entwicklung (Bildung, Kultur) gewährleistet sind. Die seit Jahren in der EU fortschreitende Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Bereiche durchlöchert diesen Kerngedanken. Freihandelsabkommen wie CETA führen zu einer weiteren Kommerzialisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Sie bringen neue Akteure ins Spiel und schreiben den Status quo der Liberalisierung und Privatisierung fest. Ein Problem unter anderen ist, dass Re-Kommunalisierungen nun nur noch zum aktuellen Marktpreis möglich sein sollen. Vor allem bei verkauften Grundstücken zeigt sich in der Praxis, dass sie teilweise so schnell im Wert steigen, dass ein Wiedererwerb in großem Stil kaum mehr finanzierbar ist.
Aber nicht nur das, als lebendes Abkommen (Living Agreement) ermöglicht CETA, dass auch künftige Privatisierungen zu unumkehrbaren Verpflichtungen werden. CETA regelt den Marktzugang und verbietet den nationalen Gegebenheiten angepasste Bedarfstests, Rechtsform-, Kapitalbeteiligungs- und Personalvorgaben. CETA macht Vorgaben für die Ausschreibung, fixiert Schwellenwerte, begrenzt „Local-Content“-Vorgaben sowie Umwelt- und Sozialstandards (wie etwa Tariftreue-Gesetze). CETA verpflichtet alle öffentlichen Dienstleistungssektoren, die nicht auf Ausnahmelisten (sog. Negativlisten) erfasst sind, zur Marktöffnung. Das gilt auch für zukünftige Leistungen. CETA gibt Regierungen über den zwischenstaatlichen Streitmechanismus und Investor*innen über die Konzernklagerechte scharfe Durchsetzungsmechanismen an die Hand: So könnte zum Beispiel der kanadische Investor Canadian Pension Plan Investment Board (CPPIB) die bei CETA vorgesehenen Investorenklagerechte nutzen, um gegen in Deutschland erlassene Personalbemessungsvorgaben zu klagen. Denn CPPIB hält 14,5 % der Aktien von Orpea, einem europäischen Betreiber von rund 1000 Pflegeheimen mit 100.000 Betten. Als Tochter der europäischen Orpea-Gruppe gehört Orpea zu den führenden Adressen für Postakut- und Rehabilitations-Kliniken sowie psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland. Der Konzern ist nicht nur einer der größten privaten Anbieter von Seniorenhäusern mit stationärer Pflege, sondern auch Betreiber der Celenus-Kliniken und damit Deutschlands drittgrößter privater Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen.
Die Pandemie hat nicht nur gezeigt, wie wichtig der Krankenhaus- und Pflegebereich ist, sondern auch verdeutlicht, unter welchen schlecht bezahlten, gesundheitlich belastenden Bedingungen Menschen dort arbeiten müssen. Und nicht nur das: Wie die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) im Mai 2020 aufdeckte, bereiten sich zahlreiche Großkanzleien auf Klagen vor, mit denen ihre Klienten Schadensersatz verlangen können, wenn sie von staatlichen Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie betroffen sind.
Denn staatliche Verbesserungsmaßnahmen, die die Gewinne der ausländischen Investoren schmälern, könnten mit Hilfe der in CETA vorgesehenen Konzernklagerechte zu hohen Forderungen der Investoren sogar auf entgangene Gewinne, die in der Zukunft lägen, führen!
Die öffentliche Daseinsvorsorge muss vor Freihandelsabkommen wie CETA geschützt werden, die sie der weiteren Privatisierung und Liberalisierung aussetzen und eine Rückführung in die Öffentliche Hand (Rekommunalisierung) erschweren. Statt am Gewinn muss sich die öffentliche Daseinsvorsorge am gesellschaftlichen Bedarf orientieren. Neoliberale Handelsverträge haben in einer am Gemeinwohl ausgerichteten Daseinsvorsorge nichts zu suchen!
CETA: Abschaffung von Demokratie und Entmachtung der Parlamente
Ein weiterer Effekt von CETA ist der kontinuierliche Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Diese Gefahren verbergen sich hinter positiv klingenden Kapitelüberschriften wie „Regulierungszusammenarbeit“ („Regulatorische Kooperation“) und „Transparenz“. Wer sollte schon etwas gegen Kooperation und Transparenz haben? Da jedoch die „Regulierungszusammenarbeit“ zur Angleichung von Umwelt- und Sozialstandards in geheim tagenden Ausschüssen erfolgt und Informationsrechte explizit Personen eingeräumt werden, die ein „diesbezügliches Interesse haben“, sprich Lobbygruppen sind, muss davon ausgegangen werden, dass der Einfluss der Wirtschaft auf die Aushandlung von Standards gestärkt wird. Mithin ist zu erwarten, dass die Kombination der beiden genannten Kapitel eine erhebliche Gefährdung für Umweltschutz, Arbeitsrechte und Gesundheitsstandards bedeutet. Zugleich sind demokratische Entscheidungsprozesse bedroht. Denn durch die in den Kapiteln festgelegten Maßnahmen werden Einfallsstore für Konzerninteressen geöffnet und parlamentarische Entscheidungen beeinflusst oder gar umgangen.
Die regulatorische Kooperation zielt darauf, Unterschiede in Gesetzgebungen, Regulierungen, Normen und Prüfverfahren der beiden Seiten, die den Handel negativ beeinträchtigen könnten, zu reduzieren oder ganz aufzuheben. Dies kann auf drei Wegen erfolgen, durch eine Harmonisierung (beide Seiten einigen sich auf gemeinsame Standards), durch eine gegenseitige Anerkennung (d.h. die Standards und Verfahren der anderen Seite werden als gleichwertig akzeptiert) und durch eine Vereinfachung der Verfahren und Standards. Zur Umsetzung der regulatorischen Kooperation wurde ein „Forum für die Zusammenarbeit in Regulierungsfragen“ geschaffen, das gemeinsam von hochrangigen Regierungsbeamten aus Kanada und Vertreter*innen der Kommission geleitet wird. Die Kooperation in diesem Gremium ist zwar freiwillig, jedoch ist davon auszugehen, dass sich beide Seiten an die vom Forum gefassten Beschlüsse halten werden. Zudem bereitet das Forum die Entscheidungen für den übergeordneten Gemischten CETA-Ausschuss vor.
Zusammengesetzt aus Vertreter*innen der Europäischen Union und der Regierung Kanadas ist der Gemischte CETA-Ausschuss ein mächtiges Gremium, der zu allen Bereichen des Vertrages Beschlüsse fassen kann, die für die Vertragsparteien bindend sind. Dabei ist unklar, in welchem Verhältnis diese neuen Gremien zu den EU-Organen stehen. Das birgt das Risiko, dass das europäische Parlament und die Parlamente der Nationalstaaten von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen sind. CETA führt auf diese Weise zu einer weiteren Aushöhlung der Demokratie und der demokratischen Grundrechte. Als problematisch könnte sich darüber hinaus die Arbeit weiterer Ausschüsse und Arbeitsgruppen unter CETA erweisen, die die regulatorische Kooperation ausgestalten.
Gesetzesvorhaben und Entscheidungen nationaler Parlamente, die z.B. die kommunale Daseinsvorsorge, den Klima – und Umweltschutz, die Lebensmittelsicherheit und die Arbeitnehmer*innenrechte betreffen, können durch das System der Ausschüsse schon im Vorfeld parlamentarischer Beratung beeinflusst werden. Über die Arbeit der Ausschüsse wird unzureichend informiert. Zwar veröffentlicht die EU-Kommission in Absprache mit der kanadischen Regierung Tagesordnungen und Kurzprotokolle der Sitzungen auf ihrer Homepage.
Wichtige Details aber, die zur Bewertung der Verhandlungen in den Ausschüssen nötig sind, gibt sie nicht preis, um die Beziehung zu Kanada und die internen Beratungen der EU-Organe nicht zu gefährden. Das Münchener Umweltinstitut ist vor den Europäischen Gerichtshof gezogen, um gegen die Geheimniskrämerei zu klagen und sein Recht auf Information durchzusetzen, nachdem die Kommission sich weigerte, weitere Informationen zur Verfügung zu stellen.
Dass diese Risiken nicht nur abstrakt, sondern ganz real sind, zeigt eine kürzlich veröffentlichte stichprobenartige Überprüfung der Arbeit des Ausschusses, der sich mit Fragen der Sicherheit von Lebensmitteln befasst. Unter Anwendung des kanadischen Informationsfreiheitsgesetzes wurden Protokolle einer Sitzung dieses Ausschusses beschafft, die zeigen: Kanada
• nutzt den Ausschuss, um europäische Standards wie das Vorsorgeprinzip und Gefährdungsbeurteilungen von Pestiziden anzugreifen,
• drängt darauf, dass bei Harmonisierung der Rechtsvorschriften mit Kanada auch die Rechtsvorschriften mit den USA berücksichtigt werden, die für Kanada mit Blick auf den nordamerikanischen Markt wichtig sind, und
• nutzt den Ausschuss, um die EU-Regulierungsbehörden etwa bei der Frage der Herabsetzung von Grenzwerten für das umstrittene Herbizid Glyphosat mit der Androhung von Streitfällen unter Druck zu setzen.
Es werden weitere unüberschaubare supranationale Institutionen geschaffen, die mitnichten transparent sind und Entscheidungen produzieren, die von den Parlamenten weder verfasst noch kontrolliert werden können. Bereits bei der vorläufigen Anwendung von CETA zeigt sich, wie damit hinter verschlossenen Türen bestehende Gesetze und Regelungen ausgehebelt oder umgangen werden sollen.
Statt einer schrankenlosen Globalisierung und Schwächung von Demokratie und Rechtsstaat braucht es die Stärkung von Strukturen, die Bürger*innen aktive Gestaltungsmöglichkeiten einräumen und eine demokratische Kontrolle von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ermöglichen. Politik und Wirtschaft haben sich am Menschen zu orientieren und nicht umgekehrt. Das gilt auch für die Handelspolitik! In unserer Verfassung steht: „Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Regierungen und Parlamente dürfen keine Verträge unterschreiben, die der Durchsetzung dieses Grundsatzes zuwiderlaufen. Wir brauchen vielmehr ethisch fundierte Verträge für einen ökologisch nachhaltigen und lebensdienlichen Handel.
Dieser Text ist das Ergebnis der Diskussion einer auf der Online-Konferenz zu CETA am 17. Mai 2020 gebildeten Arbeitsgruppe lokaler, freihandelskritischer Bündnisse und Initiativen in Deutschland. Kontaktadresse und V.i.S.d.P.: M. Rieger, 83119 Obing.
Stand: Oktober 2020.