Hat sich aufgrund vieler Proteste und Einsprachen das umstrittene Handelsabkommen der EU mit den südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur erledigt? Gut wäre es, denn das (ausverhandelte) Abkommen macht die Klimaerhitzung unumkehrbar. Doch die deutsche Regierung ist weiterhin grundsätzlich für das Abkommen, schreibt attac Österreich in einem Newsletter.
Wie ist der politische Stand?
Ende Juni 2019 haben die EU und die Mercosur-Staaten eine politische Einigung verkündet. Dem Abkommen müssen alle EU-Regierungen zustimmen, ebenso wie das EU-Parlament und danach alle Parlamente der Mitgliedsländer. Das Abkommen ist noch nicht ratifiziert und auch unter den Regierungen höchst umstritten.
Der österreichische Nationalrat hat die österreichische Regierung im September 2019 auf ein Nein zum Abkommen verpflichtet, auch das niederländische Parlament hat Anfang Juni 2020 eine Empfehlung gegen die Unterzeichnung ausgesprochen. Mit der Bindung der österreichischen Regierung auf ein Nein, ist das EU-Mercosur Abkommen vorläufig gestoppt. Das ist ein großer Erfolg für und das Ergebnis aus der breiten Kritik von vielen NGOs, Kirche, Gewerkschaften und Parteien an diesem Klimakillerabkommen.
Das Abkommen wackelt….
Die deutsche Regierung hatte angekündigt, dass sie das Assoziierungsabkommen bis zum Ende ihrer Vorsitz-Periode im Dezember 2020, aber spätestens bis zum Ende des aktuellen Dreiervorsitz abschließen will. Zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft haben deshalb 265 Organisationen und Gruppen aus der EU und den Mercosur-Ländern einen offenen Brief an ihre Regierungen geschickt, damit das Abkommen endgültig gestoppt wird.
Unter dem Eindruck internationaler Proteste und der ungebrochenen Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes drehte sich im Sommer 2020 die Stimmung europaweit. Nach den Parlamenten der Niederlande und Walloniens sowie Frankreichs Präsident Macron haben die europäischen Agrarminister*innen Anfang September 2020 Widerstand gegen das Abkommen angekündigt. Selbst Angela Merkel zeigte sich erstmals skeptisch. Die für November 2020 geplante Unterzeichnung des ausverhandelten Abkommens ist damit – vorerst – in weite Ferne gerückt.
… ist aber noch lange Zeit nicht gestoppt!
Getrieben von ihren Konzernlobbys werden viele Regierungen auf einen Abschluss drängen, sobald die Brände im Amazonas wieder abflauen und die Interessen der europäischen Agrarindustrie berücksichtigt werden. Und Deutschland steht weiter grundsätzlich zum Abkommen. Spätestens seit CETA wissen wir, wie sehr einzelne Staaten unter Druck geraten, wenn sie sich der neoliberalen EU-Handelsagenda widersetzen. Der internationale Druck auf die österreichische Regierung und die anderen kritischen Länder wird steigen, deshalb müssen wir dagegen halten. Die Regierung darf auf keinen Fall umkippen und dem Abkommen zustimmen!
Der derzeitige Kampf um das Mercosur-Abkommen zeigt klar und deutlich, dass die EU-Handelspolitik von Konzernen vorangetrieben wird und grundsätzlich hinterfragt und neu ausgerichtet werden muss. Egal ob Mercosur, CETA oder TTIP 2.0 – all diese Abkommen ignorieren die Klimakrise, verhindern gute Arbeitsbedingungen, schwächen die bäuerliche Landwirtschaft sowie kleine und mittelständische Unternehmen und stärken transnational agierende Konzerne.
Warum ist das Abkommen so gefährlich?
Schon jetzt kommen aus dem Mercosur 250.000 Tonnen Rindfleisch auf den Binnenmarkt der EU. Mit Mercosur sollen die Quoten für Rindfleisch um knapp 100.000 Tonnen und für Geflügel um rund 90.000 Tonnen erhöht werden. Bei Zucker sind es voraussichtlich mehr als 120.000 Tonnen und bei Ethanol über 600.000 Tonnen.
- Laxere Lebensmittelkontrollen
Die Erhöhung der Quoten könnte auch mit Lockerungen bei europäischen Antibiotika-Regelungen oder bei Auflagen gegen die Rodung von Wäldern einhergehen. Die EU selbst schlug eine Beschleunigung der Exportgenehmigung für tierische Produkte vor. Das Importland soll auf amtsärztliche Kontrollen einzelner Viehbetriebe verzichten, wenn das Exportland „ausreichende Garantien“ erbringt, die Standards des importierenden Landes einzuhalten – eine weltfremde Klausel angesichts der notorischen Lebensmittelskandale und des chronischen Behördenversagens. Auch die Häufigkeit der Importkontrollen soll sinken. Der Gammelfleisch-Skandal 2017 zeigt, dass hier die Lebensmittelsicherheit aufs Spiel gesetzt werden könnte.
- Angriff auf das Vorsorgeprinzip
In der EU ist das Vorsorgeprinzip rechtlich verankert. Es ermöglicht Produkten bei Risiken und wissenschaftlicher Unsicherheit (z.B. bei Krankheitserregern, Pestizid- und
Tiermedikamentenrückständen oder GVO-Kontamination) die Zulassung zu verweigern. Im gesamten Entwurf des Mercosur-Vertragstextes findet sich nur eine einzige Erwähnung des Vorsorgeprinzips – bezeichnenderweise im nicht-sanktionsbewehrten, also zahnlosen, Nachhaltigkeitskapitel. Vorsorgliche Beschränkungen im Sinne des Vorsorgeprinzips könnten somit als potenzielle Verstöße gegen das Assoziationsabkommen geahndet werden.
- Wettlauf nach unten bei Preisen und Standards
Die Fleischindustrie im Mercosur setzt auf Masse: Großbetriebe bewirtschaften bis zu 40.000 Rinder oder 100.000 Stück Geflügel. Das setzt einerseits die kleinstrukturierte bäuerliche Landwirtschaft massiv unter Preisdruck und verschärft die Klimakrise, andererseits gefährdet es die hohe Lebensmittelqualität in Europa. Das billige Fleisch wird auf Kosten der lokalen Bevölkerung und Umwelt produziert: Die Massentierhaltung erfolgt auf gerodeten Regenwaldflächen, die für das Klima der ganzen Welt von enormer Bedeutung sind. Tierwohl, Fleischqualität,
- Biodiversitäts- und Klimaschutz und Menschenrechte spielen keine Rolle.
Die Landwirtschaft und Viehzucht der EU kann mit den Billigpreisen der Mercosur-Importe nicht mithalten. Mit dieser Konkurrenz steigt auch in Europa der Druck in Richtung intensive Landwirtschaft und mehr Einsatz von billigem Kraftfutter. Dabei steht die agrarökologische kleinbäuerliche Landwirtschaft bereits jetzt unter enormem Druck des agroindustriellen FactoryFarmings, sei es in Lateinamerika oder Europa. Je mehr Fleisch importiert wird, desto mehr Regenwald wird gerodet, und desto mehr Landkonflikte gibt es um die Lebensräume von indigenen Bevölkerungsgruppen.
- Mehr hochgefährliche Pestizide
Kranke Menschen, vergiftetes Wasser und kontaminierte Böden sind nur einige der Folgen des massiven Pestizideinsatzes in Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Doch das EU-Mercosur-Abkommen wird den Export von in der EU nicht zugelassenen Pestiziden in die Mercosur-Länder weiter antreiben. Das Abkommen schafft die Zölle für Pestizide in den Mercosur komplett ab, wodurch die Importe steigen werden. Profitieren werden davon große europäische Pestizidhersteller wie Bayer oder BASF.
Und auch europäische Verbraucher*innen sind betroffen. Das EU-Mercosur-Abkommen sieht vor, Lebensmittelkontrollen weiter abzubauen. Rückstände hochgefährlicher Pestizide könnten somit auf den Teller europäischer Verbraucher*innen landen.
- Mehr Agrartreibstoffe
Das Kapitel zu “Energy and Raw Materials (ERM)“ soll den Handel mit Agrartreibstoffen (“biofuels”) erleichtern. Diese verursachen in Summe höhere Treibhausgasemissionen als Diesel aus fossilen Brennstoffen. Durch indirekte Effekte auf Landnutzungsänderungen (ILUC) würden zusätzlich Entwaldung und damit verbundene Biodiversitätsverluste die Klimakrise weiter verschärfen – ganz entgegen der Ansagen der EU.
- Zahnlose Kapitel zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit
Die zahlreichen Landkonflikte, die der Vormarsch des Agrobusiness in den Mercosur-Staaten anheizt, verlangen nach handelspolitischen Regeln, die die Menschenrechte schützen. Allein im Jahr2017 kam es in Brasilien zu 70 Morden an Kleinbäuer*innen, Indigenen und Aktivist*innen, die sich gegen das vordringende Agrobusiness verteidigten. Gerade in noch waldreichen Regionen, etwa Amazonien oder dem Gran Chaco in Argentinien und Paraguay, bedrohen Viehwirtschaft und Plantagen die ansässige Bevölkerung. Doch das Assoziationsabkommen ist auch in dieser Hinsicht völlig unzureichend. Die Kapitel zu Menschenrechten und Nachhaltigkeit bieten keine Sanktionsmöglichkeiten und damit keinen ausreichenden Schutz vor Waldvernichtung, Biodiversitätsverlust oder Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen.
- Undemokratische Gremien als Einfallstor für Industrielobbies
Das Assoziationsabkommen sieht die Einrichtung eines Unterausschusses für Lebensmittelsicherheit vor, was mithin auch Industrievertreter*innen oder Expert*innen mit Verbindungen zur Lebensmittelindustrie umfassen kann. Dessen Untergruppen befassen sich unter anderem mit Biotechnologie, Pestizidrückständen, Tierwohl und Antibiotika-Resistenzen. (Mehr Infos in der Langfassung)
- „Monsanto-Gesetze“ und Biopiraterie
Das Abkommen sieht vor, den freien Saatguttausch zu verbieten und zu kriminalisieren. Die geplante Ausweitung geistiger Eigentumsrechte für Agrarkonzerne würde den Zugang von Indigenen und Kleinbäuer*innen zu Saatgut erschweren. Dies wäre ein weiterer Schritt in die Privatisierung und Patentierung von Saatgut. Vorgesehen ist auch die Unterzeichnung eines weiteren Abkommens, welche die Patente auf Leben in globalem Maßstab erleichtern soll.
- Digitalisierung von Machtkonzentration
Im Kapitel über “Electronic Commerce” sollen die Vereinbarungen und die nationalen Regulierungen zugunsten von Konzernen so locker wie möglich ausgestaltet werden. Das würde die Machtkonzentration im IT-Sektor verstärken. Insbesondere Brasilien ist aktuell der Vorreiter im Prozess der Digitalisierung der Landwirtschaft, jedoch unter nahezu vollständiger Kontrolle von einigen wenigen Konzernen.
- Veraltetes Mandat und intransparente Verhandlungen
Trotz vielfacher Kritik führte die EU-Kommission die Verhandlungen auf Basis des Mandats von 1999 (vor der EU-Osterweiterung, dem Lissabon-Vertrag und dem Pariser Klimaabkommen) und ignoriert damit auch die jahrelange Kritik an den ökologischen und sozialen Defiziten der EU-Handelspolitik. Entgegen den Behauptungen der EU-Kommission wird das Abkommen im Geheimen und ohne Konsultation mit Zivilgesellschaft, Parlamenten und sozialen Bewegungen verhandelt. Die einzigen derzeit verfügbaren Dokumente sind aus Leaks stammende Entwürfe, die keine Einblicke in die Zugeständnisse ermöglichen.