Das EU-Kanada-Handelsabkommen CETA („Comprehensive Economic Trade Agreement“) ist ein „lebendes Abkommen“, das je nach Bedarf später noch geändert werden kann. Aber wie geht das? Wer darf da was tun? Und haben Parlamente überhaupt noch was zu sagen? Zur Rolle von Treaty Committees in CETA, also der CETA-Ausschüsse, befragte foodwatch den Völkerrechtler Wolfgang Weiß von der Uni Speyer.
- Welche Rolle spielen die Treaty Committees/Vertragsgremien bei CETA? Warum gibt es überhaupt diese Gremien und gab es diese in dieser Bedeutung schon immer bei Feihandelsabkommen?
Die Treaty Committees im CETA sind beschlussfassende Organe, die aus den Repräsentanten der Vertragsparteien bestehen, in der Regel Vertreters Kanadas und der EU-Kommission. Mit ihren Beschlüssen sollen die Treaty Committees den Vertrag fortentwickeln, ergänzen oder umsetzen. Das Mandat des CETA Joint Committee ist sehr weit angelegt: „The CETA Joint Committee is responsible for alle questions concerning trade and investment between the Parties and the implementation and application of this Agreement” (Art. 26.1 Abs. 3). Dass das Mandat über Anwendung und Umsetzung hinausgeht, belegt die Auslistung seiner Aufgaben in Art 26.1 Abs. 4. Auch die speziellen Committees haben Beschlussfassungszuständigkeiten (Art. 26.2 Abs. 4 am Ende). Beschlussfassende Vertragsgremien gibt es in Handels- oder Assoziationsabkommen der EU schon lange. Am bekanntesten dürfte der Assoziationsrat im Assoziationsabkommen zwischen der EU und Türkei sein, der etwa den Arbeitsmarktzugang türkischer Arbeiter in die EU festlegt.
Während früher aber Beschlussfassungszuständigkeiten nur sehr vereinzelt in den Abkommen festgelegt wurden, und diese Zuständigkeiten recht detailliert festgelegt worden waren, hat sich die Verwendung dieser Beschlussfassungsorgane in den Freihandelsabkommen der neuen Generation erheblich ausgeweitet. Das bedeutet konkret, dass in den Abkommen, beginnend mit dem CETA Abkommen, eine Fülle von Treaty Committees eingerichtet wird (in CETA insgesamt zehn), deren Aufgaben teilweise sehr weitreichend sind und die auch zu verbindlicher Beschlussfassung befugt sind, die über eine reine Anwendung von CETA-Regeln hinausgeht, sondern Beschlüsse zu wichtigen Fragen betrifft oder den Erlass allgemeiner Regeln darstellt.
CETA und die neueren Freihandelsabkommen setzen somit nicht nur sehr viel mehr dieser Gremien ein, sondern geben diesen auch viel zahlreichere und umfassendere Kompetenzen So haben die Treaty Committees ungefähr 30 verschiedene Beschlussfassungszuständigkeiten. Damit stellen diese Treaty Committees der Sache nach eine neue Ebene von Hoheitsausübung dar. Durch die Freihandelsabkommen werden Regulierungsaufgaben an sie delegiert
- Welches sind die wichtigsten Vertragsgremien bei CETA und worin bestehen ihre Aufgaben?
Das wichtigste Treaty Committee ist das CETA Joint Committee. Es überwacht die Aufgabenwahrnehmung durch die speziellen Committees und hat die umfangreichsten Befugnisse. So kann es spezielle Committees beenden, neue einrichten und diesen Aufgaben zuweisen (Art 26.1 Abs. 5 lit. g, h). Ferner kann es punktuell das CETA ändern (Art. 26.1 Abs. 5 lit. c) in Verbindung mit Art. 4.7 Abs. 1 f), Art. 8.1, Art. 8.10 Abs. 3, Art. 20.22) und eine verbindliche Auslegung einer CETA-Regel vorgeben (Art. 26.1 e). Ferner kann es die Änderung von Anhängen und Protokollen des CETA beschließen (Art. 30.2 Abs. 2). Die speziellen Committees haben eine Fülle von Aufgaben. Hervorzuheben ist hier etwa die Zuständigkeit des Warenhandelsausschusses, über die Maßnahmen zur Umsetzung des Austausches von Produktwarnungen zwischen EU und Kanada zu beschließen (Art. 21.7 Abs. 5), oder die Zuständigkeit des Dienstleistungsausschusses, den Verhaltenskodex der Richter am Investitionsgericht und die anwendbaren Verfahrensregeln zu ändern (Art. 8.44 Abs. 2 und 3 b).
- Wie setzen sich die Mitglieder der Treaty Committees zusammen?
Die Treaty Committees bestehen grundsätzlich aus Vertretern der EU und Kanadas, nicht aber aus solchen der Mitgliedstaaten. Für das CETA Joint Committee ist ausdrücklich festgelegt, dass sich der Handelsminister Kanadas und der EU-Wettbewerbskommissar, oder deren Vertreter, den Vorsitz teilen (Art. 26.1 Abs. 1). Auch in den speziellen Ausschüssen sitzen ein Vertreter Kanadas und einer der EU dem jeweiligen Ausschuss vor. Ob daneben auch nationale Vertreter Mitglieder sind, ist anders als beim CETA Joint Committee nicht ausgeschlossen. Nahe liegt dies aufgrund der Formulierungen in CETA bei folgenden speziellen Committees: Art. 5.14.1 sieht Vertreter der Regulierungs- und der Handelsseite jeder Vertragspartei mit Zuständigkeit für SPS-Maßnahmen vor, Art. 6.14.2 Vertreter von Zoll-, Handels- oder anderen zuständigen Behörden der Parteien, Art.13.18.1 bezieht sich auf Vertreter von Finanzdienstleistungsbehörden, Art.19.19.1 spricht allgemein von Vertretern der Vertragsparteien; nach Art. 21.6.3 haben im Forum für die Regulierungszusammenarbeit ein hochrangiger Vertreter Kanadas und der Kommission den gemeinsamen Vorsitz; weitere Mitglieder können „maßgebliche Beamte der Vertragsparteien“ sein.
- Wie laufen die Entscheidungsprozesse für das Zustandekommen eines Beschlusses eines Treaty Committees von Beginn an ab?
Die Treaty Committees treffen sich mindestens einmal jährlich, auf Verlangen einer Vertragspartei oder des CETA Joint Committee auch häufiger. Jede Vertragspartei kann jederzeit eine Anwendungs- oder Auslegungsfrage an das CETA Joint Committee herantragen und damit ein Thema vorgeben, zu dem sich die Parteien binnen 30 Tagen zu treffen bemühen. Die Sitzungstermine und die Tagesordnung jeder Sitzung werden vom CETA Joint Committee selbst beschlossen (Art 26.1 Abs. 2).
Die Vorschläge zu Tagesordnungspunkten und die Beschlussentwürfe werden zwischen den Parteien vorbereitet. Auf Seiten der EU erfolgt das federführend durch die EU-Kommission, die sich hierzu mit den Mitgliedstaaten im Handelspolitischen Ausschuss nach Art 207 Abs. 3 AEUV abstimmt, der aus Vertretern der Mitgliedstaaten besteht; die Tagesordnung der Treaty Committees sind Gegenstand der Sitzungen des Handelspolitischen Ausschuss. Die Kommission legt dann in Vorbereitung der Sitzung eines Treaty Committee einen Entwurf für einen Ratsbeschluss zu den Tagesordnungspunkten dem Rat vor. Der Rat legt durch seinen Beschluss dann gemäß Art 218 Abs. 9 AEUV den Standpunkt fest, den die EU-Kommission im jeweiligen Treaty Committee zu diesem Punkt vertritt. Die Beschlussfassung über die zwischen Kanada und der EU abgestimmten Beschlussvorschläge erfolgt dann im Treaty Committe auf einer grundsätzlich in persönlicher Anwesenheit erfolgenden Sitzung; dazu bedarf es der Einstimmigkeit von EU und Kanada. Beide müssen mit dem Beschluss einverstanden sein. Dann ist der Beschluss zustande gekommen und verbindlich und muss von den EU Mitgliedstaaten befolgt und umgesetzt werden, regelmäßig ohne dass noch eigens eine Ratifikation erfolgt.
- Warum sind die Entscheidungen der Treaty Committees nicht ausreichend demokratisch legitimiert? Was heißt genau: „vereinfachtes Verfahren“ und welche ist dessen rechtliche Grundlage?
Demokratische Legitimation erfordert auch in der EU, dass wesentliche Entscheidungen oder Rechtsetzung vom Volk legitimiert werden. Das erfolgt im repräsentativen System dadurch, dass diese Art von Hoheitsmacht vom EU-Gesetzgeber ausgeübt wird. Eine Delegation von wesentlichen Entscheidungen oder von Rechtsetzung an exekutive Akteure darf entweder gar nicht erfolgen oder nur dann, wenn der EU-Gesetzgeber effektive Kontrollmöglichkeiten hat. Die Hoheitsausübung durch Treaty Committees erfolgt ohne Beteiligung eines Parlamentes. Es handeln in einem Treaty Committee und auch in der Vorbereitung seiner Beschlüsse nur exekutive Akteure. Das ist dann nicht mehr demokratisch legitimiert, wenn diese Akteure nicht nur exekutive Entscheidungen treffen, sondern wesentliche Fragen entscheiden oder gar allgemeine Regeln erlassen wie ein Gesetzgeber, jedenfalls dann, wenn Parlamente dabei keine Mitsprache haben.
Wie oben bei Frage 4 dargelegt, ist mit der Vorbereitung der Beschlussfassung in einem Treaty Committee und der abschließenden Festlegung der EU- Haltung dazu nur die Kommission und der Ministerrat betraut. Das Europäische Parlament ist dabei nicht einbezogen, genausowenig wie nationale Parlamente, selbst wenn die Treaty Committees in Bereichen tätig werden, für die auch die Mitgliedstaaten zuständig sind. Das Europäische Parlament wird über die Ratsbeschlüsse nur informiert (Art 218 Abs. 10 AEUV), manchmal erst im Nachhinein.
Das Europäische Parlament mag zu den Beschlussentwürfen der Kommission zwar eine Resolution verfassen, aber diese hat keinerlei Auswirkung. Die Kommission ist nicht verpflichtet, diese bei der Entwurfsformulierung zu beachten; ebenso wenig der Rat bei seiner Beschlussfassung. Bei der Ratsbeschlussfassung nach Art 218 Abs. 9 AEUV ist, wie erwähnt, keinerlei Beteiligung des Europäischen Parlaments vorgesehen. Das ist demokratisch defizitär, da das Europäische Parlament bei Rechtsetzung, wichtigen Entscheidungen, aber auch beim Abschluss von Handelsabkommen gleichberechtigt neben dem Rat entscheidet und die gleichen Rechte wie dieser innehat. Das hat der EuGH ausdrücklich festgestellt.
Bei der Beschlussfassung von Treaty Committees wirkt das Europäische Parlament hingegen nicht mit, obschon, wie in Frage 1 und 2 aufgezeigt, die Beschlüsse Bereiche betreffen, die als Rechtsetzung eigentlich Befugnis des EU Gesetzgebers sind, oder aber die in ihrer Umsetzung eine Änderung der EU-Gesetzgebung erfordern könnten. Die Änderung des CETA, die den Treaty Committees zugewiesen ist, ist eine Vertragsänderung, die eigentlich der Zustimmung des Europäischen Parlamentes bedarf. Durch die Delegation von Vertragsänderungen auf Treaty Committees, deren Beschlüsse für die EU nach Art 218 Abs. 9 vorbereitet werden, wird das normale Vertragsänderungsverfahren ersetzt. Die Vertragsänderung erfolgt damit in einem vereinfachten Verfahren, das gezielt die sonst erforderliche Zustimmung des Europäischen Parlaments entfallen lässt.
Man könnte zwar einwenden, dass das Europäische Parlament diese Delegationen durch seine Zustimmung zu CETA insgesamt abgesegnet hat. Doch kann eine allgemein erteilte Zustimmung zu Beschlussfassungskompetenzen für eine Legitimation konkreter Beschlüsse nicht hinreichen, wenn es dabei um wesentliche Fragen oder um den Erlass allgemeiner Normen geht. Das Demokratieprinzip fordert eine effektive demokratische Kontrolle solcher Hoheitsausübung durch den EU-Gesetzgeber, und damit auch durch das Europäische Parlament. Solche Kontrollrechte bestehen aber nicht. Das Europäische Parlament kann einen Beschluss eines Treaty Committee weder verhindern noch seine Änderung oder Zurücknahme veranlassen. Es wird nur informiert, und erhält im Nachhinein jährliche Gesamtberichte über die Durchführung und Umsetzung der Freihandelsabkommen, die auch über die Aktivitäten der Treaty Committees berichten. Das erlaubt keine effektive Kontrolle.
- Wie können die Entscheidungen eines Ausschusses wieder zurückgenommen werden?
Die Zurücknahme oder Änderung eines Beschlusses eines Treaty Committee ist nicht eigens geregelt. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gilt daher, dass der Rechtsakt nur in dem Verfahren wieder geändert oder gar aufgehoben werden kann, in dem er erlassen wurde. Damit gilt für die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses das gleiche wie bei der Annahme: Die Beschlussfassung findet einvernehmlich in den Committees statt; Kanada und die EU müssen sich einig sein. Die Vorbereitung der EU-Position obliegt wiederum der Kommission, und den EU-Standpunkt beschließt der Rat. Das Europäische Parlament wird nicht einmal angehört.
- Worin sehen Sie persönlich die größten Gefahren der Rolle der Treaty Committees, rechtlich, aber auch politisch?
Die Freihandelsabkommen der neuen Generation etablieren ein System von Treaty Committees, die zu selbständigen Hoheitsakten befugt sind, ohne in ihrer Hoheitsausübung parlamentarisch legitimiert zu sein. Diese Treaty Committees sind mit rechtsetzenden Aufgaben und mit Änderungen am Vertragstext betraut. Solche weitreichenden Hoheitsübertragungen der EU auf neue völkerrechtliche Organe bedürfen einer insoweit erweiterten demokratischen Kontrolle, die bisher nicht besteht. Das CETA wie auch die anderen neuen Freihandelsabkommen bauen die Rechte der Exekutive aus, ohne begleitende parlamentarische Kontrollrechte nachzuziehen. Das betrifft auch die Demokratie auf nationaler Ebene. Die Kontrolle der Entwicklung der Europäischen Integration durch nationale Parlamente wird durch die Begründung einer weiteren Hoheitsebene zusätzlich erschwert.
Dabei wenden sich meine Bedenken nicht generell gegen jede Institutionalisierung internationaler Zusammenarbeit und Teilhabe der EU hieran. Hoheitsausübung kann durchaus im beschränkten Umfange und unter rechtlichen Sicherungen auf völkerrechtliche Gremien delegiert werden. Allerdings müssen diese Grenzen eingehalten werden: Der Umfang muss auf exekutive Aufgaben beschränkt sein, und weitergehende Befugnisse bedürfen intensivierter parlamentarischer Kontrolle über die Ausübung dieser Befugnisse. Diese erweiterten Kontrollrechte bestehen beim CETA genauso wenig wie bei anderen Abkommen. Sie wurden auch nicht in unionalen oder nationalen Begleitgesetzen geschaffen. Die Delegation erheblicher Hoheitsentscheidungen, insbesondere im Bereich Regelsetzung und Vertragsänderung, darf nicht ohne effektive parlamentarische Kontrollmechanismen erfolgen. Das immer weitere Auswuchern von Treaty Committees droht, eine immer dichter werdende neue Ebene von Hoheitsausübung einzurichten, ohne dass Schritte unternommen werden, dies demokratisch zu legitimieren. Hier sind gerade auch die nationalen Parlamente gefordert. Sie müssen intensivere parlamentarische Kontrollrechte für diese Art von Hoheitsausübung einfordern. Mit verstärkten Berichtspflichten ist es nicht getan. Es gilt, die Grenzen solcher Delegationen durch klare Regelungen über parlamentarische Beteiligung festzulegen, ehe der Einsatz solcher Treaty Committees weiter ausufert. Wie bereits angesprochen, darf das CETA Joint Committee diese institutionellen Strukturen sogar noch weiter ausbauen.
Prof. Dr. Wolfgang Weiß ist Chair in Public Law, Puclic Internationale Law and European Law an der Universität für Verwaltungswissenschaft Speyer. Er vertritt mit Prof. Bernhard Kampen die CETA-Klage von Mehr Demokratie, Campact und foodwatch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.